Tagebuch

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Dienstag, 01. Juni 2004
Mein Geburtstag beginnt mit einem Verbrechen. Um halb 6 klingelt das Telefon, Leo muss zu einer Täteruntersuchung. Während er schon halb aus der Tür mit einem Kollegen telefoniert, um herauszufinden, ob man bei einem Penisabstrich das Wattestäbchen anfeuchtet oder nicht, krieche ich wieder ins Bett und schlafe nochmal ein. Nicht ohne darüber nachzudenken, dass er mir nicht gratuliert hat. Ich bin ihm alles andere als böse. Das ist nur ein weiteres Symptom unseres Lebens hier. Aber beim Einschlafen wünsche ich mir, dass er zurückkommt, weil es ihm eingefallen ist.
Um kurz nach sieben kommt er zurück, um mir zu gratulieren und mir ein Schokocroissant zu bringen. Ich bin mit dem wundervollsten Mann der Welt zusammen. Und schlafe trotzdem noch ein bisschen weiter. Es ist einfach zu gemütlich, wenn zwei Katzen mit im Bett liegen.
Auch der Rest des Tages wird mit Bedacht gemütlich. Zuerst ein Frühstück mit Schokocroissant und Earl Grey, dann ein Bad mit sämtlichem Zubehör und sowie jede Menge langausgedehnte Schönheitspflege. Viel Spielen mit den Bebis. Dann ein Bummel über den Isemarkt, der mehr Wochenmarkt als Flohmarkt ist. Immerhin esse ich in Teig frittierte Kibberlinge, und gönne mir hinterher noch einen Crepe mit Nutella und Banane. Und weil ich auf dem Markt nix zum Kaufen gefunden habe, genehmige ich mir einen kleinen Einkauf bei Budnikowski und kehre mit meiner Jagdbeute - zwei Körper-Lotions - nach Hause zurück.
Leo kommt pünktlich um 19h nach Hause und bringt mir eine Sonnenblume mit. Genau, was ich mir gewünscht habe. Genau wie alle anderen Geschenke. Echt lieb, wie sie alle an mich denken.
Schließlich schwingen wir uns aufs Fahrrad und gehen auf die Suche nach einem orientalischen Restaurant, an dem ich neulich mal vorbeigelaufen bin. Das Essen ist exzellent, und wir überlegen, wie wir den Koch am besten entführen können.

Komisch, man merkt sofort, dass ich das nicht für mich geschrieben habe, sondern fürs Web. Naja, vielleicht lerne ich das noch besser. Wie war denn jetzt mein Geburtstag wirklich? Sonnig. Positiv. Belanglos. Ein bisschen einsam. Aber insgesamt war's ein sehr schöner Geburtstag. Und wenn ich noch einen Kuchen bekomme, mit Kerzen zum Ausblasen dann wünsche ich mir... dass ich nächstes Jahr wieder mit all meinen Freunden feiern kann.


Donnerstag, 10. Juni 2004
Weltuntergang über Hamburg-Fuhlsbüttel. Sagte gestern der Mann vom Wetterbericht. Und ein bisschen hat sich das tatsächlich so angehört. War wirklich ein heftiges Gewitter. Den ganzen Morgen war's richtig düster, und der Donner war so laut, dass sogar die Bebis es bemerkt haben und ganz wuselig geworden sind. Nicht direkt ängstlich, mehr aufgedreht. Dabei war's in Hoheluft offenbar noch harmlos. Etwas weiter nördlich sind Bäume umgefallen, der Strom ist ausgefallen, die Bahn fuhr nicht mehr, und jede Menge Autos sind zerstört worden. Und den ganzen Tag war's schrecklich schwül.
Heute ist wieder strahlender Sonnenschein, so wie meistens hier. Jawohl, in Hamburg ist gutes Wetter, und das echt oft. Zwar nicht so warm wie in München, aber es regnet selten, und die Sonne scheint fast jeden Tag. Soviel zu Vorurteilen.
Nicht, dass das hier in der Wohnung so wirklich den Impact hätte. Im Schlafzimmer wird's vormittags recht warm, aber ansonsten ist es für eine Dachwohnung angenehm kühl. Und es gäbe schönes Licht zum Fotos von den Kätzchen machen... wenn wir eine Kamera hätten. Unsere ist vom Staat beschlagnahmt worden. Ebenso wie unser Auto, unser Laptop, unser USB-Stick und Leos Freizeit. Wenn ich wieder einen job hab, schenke ich dem Institut für Rechtsmedizin eine Kamera, so teuer sind die ja nicht mehr.
Aber erstmal konzentriere ich mich darauf, meine Abschlussarbeit fertig zu machen. Das dauert noch bis Mitte Juli, und dann werfe ich mich wieder mit aller Gewalt auf den Arbeitsmarkt. Lustig, es ist fast wie zu Uni-Zeiten. Spät aufstehen, dann an den PC, umgeben von stapelweise Büchern, und keine Verpflichtungen außer einer (nicht mehr ganz so) weit entfernten Deadline. Abgesehen von dem leisen schlechten Gewissen, das einem ständig einredet, man arbeite zu langsam, ist das gar kein so schlechtes Leben. Und Mann, bin ich froh, wenn das vorbei ist. ;)


Donnerstag, 17. Juni 2004
Das musste ja kommen. Kein schlechtes Gewissen, schönes Wetter... kaum wird man übermütig, kriegt man einen Dämpfer. Dass sich das kurz-vor-Sommer-Wetter auf 12 bis 16 Grad abgekühlt hat, kann man ja noch hinnehmen. Selbst wenn mir Langzeit-Hamburger glaubhaft versichern, dass das diesen Sommer auch nicht mehr wärmer wird. Aber dass das Arbeitsamt mir eine Sperrfrist verpassen will, weil ich mich bei einem der Zeitarbeitsangebote gar nicht erst beworben habe... Und schlimmer noch, dass sie mir weiter Zeitarbeitsangebote zuschicken, bei denen ich mich tatsächlich bewerben muss - können die nicht noch ´nen Monat warten? Ich will nur in Ruhe meine Arbeit fertig machen, und das ist schwer genug. Jetzt muss ich mich tatsächlich da bewerben. Bläh.
Immerhin geht's Kodama wieder gut. Am Freitag hat sie den ganzen Tag das Auge zugekniffen, und es war ganz trüb. Abends bin ich mit ihr zum Tierarzt, der ihr eine neongrüne Kontrastflüssigkeit ins Auge geträufelt hat, so dass sie quietschgrüne Tränchen weinen musste. Sah sehr dekorativ aus auf dem schwarzen Fell, aber ich glaube nicht, dass sie das richtig zu schätzen wusste.
Offenbar hat sie sich - wahrscheinlich beim Raufen mit ihrer Schwester - die Hornhaut verletzt. Deswegen musste sie fünfmal täglich Augentropfen bekommen, was sie aus ganzem Herzen gehasst hat. Dafür wurde das Auge schnell besser, und jetzt sieht man gar nichts mehr. Und wir haben kaum noch Leckerlis - schließlich musste es jedes Mal eine Belohnung geben, wenn sie (widerwillig) stillgehalten hat.
Nicht, dass diese Erfahrung sie oder gar ihre Schwester vom Raufen abbringen würde. Die zwei kämpfen sich weiter durch die ganze Wohnung, meistens ohne erkennbaren Sieger. Manchmal tatzeln sie auch nur halbherzig nacheinander, vor allem, wenn sie gemütlich zusammengekuschelt auf dem Schreibtisch liegen; der Übergang zwischen gegenseitiger Körperpflege und Kämpfen ist fließend. Ich muss am Wochenende unbedingt mal ein paar Filme von ihnen machen.
Aber jetzt muss ich mich erst ganz schnell wieder an die Arbeit machen.


Donnerstag, 24. Juni 2004
Vorstellungsgespräch bei einer Zeitarbeitsfirma. Der Mann, der mich interviewt ist so was von schleimig: Anzug mit breiten Nadelstreifen (eher Zebrastreifen), zurückgegelte Haare und das Hemd bis zur Mitte der Brust aufgeknöpft. Und bei so jemandem soll man dann einen positiven Eindruck hinterlassen. Auch egal, ich will den job eigentlich gar nicht. Viel lieber hätte ich den bei Plan International: PR-Mitarbeiter bei einem Kinderhilfswerk. Ooh, wenn das klappen würde
Wie lange wollen Sie denn arbeitslos bleiben, fragt mich der Mann von der Zeitarbeit, als ich ihm sage, dass ich noch eine andere Bewerbung laufen habe, die mir besser entspricht. Der hat leicht reden. Er ist von Natur aus schleimig, und hat offenbar den optimalen Beruf für seine Prädisposition gefunden. Wenn ich nur wüsste, wofür ich prädisponiert bin...
Auf dem Rückweg laufe ich an einem Plakat des Museums für Arbeit vorbei. Ein Museum ist etwas für Dinge, die es nicht mehr gibt, die lange tot sind, und die wir nicht mehr sehen könnten, wenn sie nicht in einem Museum aufbewahrt würden. Museum für Arbeit.


Freitag, 25. Juni 2004
Mu liegt neben der nicht bezogenen Matratze, die mal unser Sofa war, und zupft kleine Stückchen aus dem Schaumstoff. Zwischendurch tigert sie gurrend und singend und jaulend durch die Wohnung. Wenn sie nicht grade Pfützen irgenwohin macht. Rollig sein muss schlimm sein.
Alles fing vor ein paar Tagen an, als ich einen frisch gewaschenenTeppich ins Bad gelegt hatte. Kaum 10 Minuten später hatte jemand eine große Pfütze darauf hinterlassen. Also Teppich gleich wieder in die Waschmaschine, neuen hingelegt. Eine Stunde später wieder ins Bad gekommen, wieder Pfütze. Beschlossen, erstmal keinen Teppich mehr ins Bad zu legen. Zwei Tage später (vorgestern) kam Britta zu Besuch. Wir saßen gemütlich beim Frühstück auf dem Sofa, da hüpft die Katze neben mich auf die Matratze und fängt an zu pieseln. Hab versucht, ihr deutlich zu machen, dass das nicht der richtige Ort dafür ist, aber das Katzenklo, vor dem ich sie absetzte, interessierte sie nicht die Bohne.
Nachmittags saß ich wieder auf dem inzwischen nicht mehr bezogenen Sofa, und telefonierte mit Tinka. Und schwups, selbes Spiel. Und dann haben wir auch noch den Fehler begangen, abends auszugehen. Als wir wiederkamen, war die andere Matratze auch noch voll. Jetzt gibt es in unserem Wohnzimmer keinen gemütlichen Diwan mehr, sondern nur noch einen traurigen Haufen Kissen und abgezogene zum Trocknen aufgestellte Matratzen, die alles andere als anziehend riechen. Und weil aufrecht stehende Matratzen so ungemütlich zum Pieseln sind, hat gestern Abend jemand eine Pfütze ins Bett gemacht. Rollig sein muss schlimm sein.


Samstag, 10. Juli 2004
Ich werde von Leos Handy geweckt, und höre im Halbschlaf zu, wie er der spanischen Rezeptionistin am Institut den Unterschied zwischen gewürgt und erwürgt erklärt. Diese Routine hat schon nach den wenigen Monaten etwas vertrautes, fast beruhigendes. Man gewöhnt sich nicht nur an alles. Man lernt auch, den status quo zu mögen. Eigentlich sollte mich das beunruhigen, tut's aber nicht.
Ich erkläre mich sogar bereit, auf das Kind eines Kollegen aufzupassen, während der mit Leo zu einem Einsatz fährt. Schließlich nimmt der Vater den Sohn aber doch lieber mit zur Sektion, damit das Kind nicht so Angst hat. Was für eine Welt.
Habe ich erwähnt, dass ich die Thesis fast eine Woche vor Abgabetermin fertig hatte. 2004 ist wirklich das Jahr der Veränderung.
Komisch, wie Stimmungen umschlagen können. Nach dem Vorstellungsgespräch bei Colgate war ich völlig geknickt, hatte das Gefühl, als hätte ich keine wirkliche Perspektive darauf, je wieder etwas sinnvolles zu arbeiten. Jetzt scheint mir die Aussicht, dort als Sekretäring zu arbeiten nicht mehr die eines Gefängnisses, sondern die eines Auswegs. Finanzielle Absicherung, eine Aufgabe erfüllen, nicht mehr von fremdem Geld leben, und meine Ruhe haben. Klingt recht attraktiv.


Sonntag, 11. Juli 2004
Wir feiern die Abgabe der Thesis. Ein Ausflug nach Blankenese [Fotos gibt's
hier], das schicke Villenviertel am Elbstrand westlich von Hamburg. Das Wetter ist wolkig und stürmisch, wie man sich's vorstellt. Wir laufen durch den Sand und lassen uns fast wegwehen, geniessen die Aussicht von einem Leuchtturm aus auf über die Wellen hüpfende Boote, und bewundern die am Hang liegenden Villen, die z.T. ziemlich unvillenhaft und konventionell aussehen. Aber es sind auch viele schicke Klischee-Villen dabei, und einige wirklich heimelig wirkende Hexenhäuschen. Da könnte man's aushalten, wenn die vielen Treppen nicht der einzige Weg wären, die Häuser zu erreichen. Solang man noch nicht alt ist, und kein Schnee liegt, und man keinen Krankenwagen braucht, ist das ja bewältigbar... Und trotzdem, sehr reizvoll.
Wir finden ein an den Hang geschmiegtes Cafe mit Gartenlaube und Elbblick, in dem wir uns Kaffee und Kuchen gönnen. Kurz nachdem wir uns auf den Rückweg machen, fängt es an zu regnen, aber als erfahrene Wahlhamburger haben wir einen Schirm dabei und erreichen das Auto halbwegs trocken. Danach pakistanisch Schlemmen gehen und Kino. Ein Sonntag ohen Zeitplan und Verpflichtungen. Gibt es irgendwas schöneres?


Donnerstag, 15. Juli 2004

Zwei Vorstellungsgespräche. Colgate läuft ganz gut, auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich die Frage "Was wollen Sie mit Ihren Qualifikationen denn auf so einer Stelle" befriedigend beantwortet habe. Was denken denn die? Dass die jobs auf der Straße liegen? Der holländische Chef macht einen beunruhigend Asum-haften Eindruck, bestätigt durch eine Bemerkung des englischen Finance-Managers... Diesmal würde ich ja ausnahmsweise auf die Warnungen meines Instinkts hören, aber habe ich die Wahl?
Colgate wäre auf jeden Fall noch besser als Stage Holding. Ein schickes, hippes Unternehmen, alles voller Künstler und Schicki-Micki-Typen. Aber im Prinzip kein schlechtes Arbeitsfeld, Musicals organisieren und so. Aber ein 50-Stunden-Tag mit Zeitarbeits-Bezahlung und der Perspektive, der Kaffe-Koch-Tippsen-Hiwi zu sein... Seufz.
Trotzdem werde ich das wohl versuchen müssen, wenn Colgate mich nicht will. Naja, was soll's, da Leo sowieso so lange arbeitet, fällt's ja fast nicht auf, wenn ich das auch mache. Arme Bebis.
Immerhin sind die beiden in letzter Zeit etwas weniger stressig, auch wenn Mu immernoch überall hinpieselt. Am Montag sind wir davon aufgewacht, dass mir eine Katze auf den Kopf gefallen ist. Sie hat's tatsächlich geschafft, an unserem Baldachin raufzuklettern bis zur Decke, bevor die Reissnägel nachgegeben haben... Naja, die Narben sind schon fast verheilt, und die Blutflecken im Bett sind auch nicht schlimm, weil wir's eh dauernd waschen müssen... Hoffentlich klappt am Montag alles mit der Kastration. Arme Bebis.


Freitag, 16.- Sonntag, 18. Juli 2004
Der Flughafen in Lübeck ist nicht viel mehr als ein Bierzelt mit Runway. Sieht so aus, als wäre Ryanair die einzige Fluggesellschaft hier. Sieht aus, als würde das Wochenende ziemlich warm werden. Wir gönnen uns ein Eis und fliegen 20 Min. zu früh ab. Endlich Urlaub!
Ich stelle erneut fest, dass England mich fasziniert. Ich kann nicht sagen warum genau, aber schon im Landeanflug auf Stansted spüre ich den Atem von tausend Büchern und Geschichten, den Widerhall der Worte von Dickens und Doyle, Wilde und Woolf, die gegenwart von Elfen, Zwergen und Kobolden...
Matthias holt uns zusammen mit Kathrin, einer ehemaligen Arbeitskollegin, vom Bus ab, und wir stopfen uns mit hervorragendem indischem Essen voll. Verwirrend, in einem indischen Restaurant in England inmitten einer Blase von Deutsch zu sitzen... Aber die Kellner verstehen uns trotzdem.
MIB kommt verspätet an, aber trotz des Reise-Stresses scheint er genauso froh, uns zu sehen wie wir ihn. Wir sitzen bis tief in die Nacht in Matthias' Wohnzimmer und unterhalten uns, als würden nicht tausende von Kilometern und Monate der Trennung zwischen uns liegen.
Am Samstag morgen kommt Pi zu uns ins Bett gekrabbelt uns läßt sich von beiden Seiten kraulen. Fast bin ich stellvertretend eifersüchtig für unsere Bebis; es ist einfach rührend, wie sie uns zeigt, dass sie uns wiedererkennt. Auch Zooli läßt sich den Bauch kraulen und gestattet uns unsere Wiedersehensfreude. Unglaublich, wie massiv die beiden im Gegensatz zu unseren sind. Hatte sie viel zierlicher in Erinnerung.
Wir frühstücken draußen - in der Sonne! - und besichtigen den Camden Lock Market, ein Labyrinth von Gängen und garagenartigen Läden, in denen man die coolsten Klamotten, abgedrehtesten Möbel und allen möglichen unnötigen Ramsch kaufen kann. Wir müssen unbedingt wiederkommen, wenn mein Arbeitslosigkeit-bedingtes Einkaufverbot aufgehoben ist und viel Geld hierlassen.
Nachmittags Rollenspiel mit Anke, Dominik und Richard. Fein, Anke mal wieder zu sehen, nur schade, dass es ihr nicht so gut geht und wir so wenig zum Reden kommen. Aber das Rollenspiel mit den Engländern macht viel Spaß, beide sind klasse Spieler.
Zur Feier von Makkuns Geburtstag gehen wir mit vielen Arbeitskollegen zusammen zum Thailänder und werden schon wieder mit hervorragendem Essen gemästet. Noch nie so gute Ente im Pfannkuchen gegessen. Und ich - ich! - bin schon nach der Vorspeise satt.
Danach löst sich die Gesellschaft langsam auf, nur der harte Kern, Kathrin, Anna, Matthias, Leo und ich gehen noch zum Tanzen. Die Disko ist eine Überraschung: ein kleiner Keller, der eigentlich eine gemütliche Bar abgeben würde, aber die fünf Quadratmeter zwischen Klotür und Theke sind vollgestopft mit Leuten, die versuchen zu Tanzen. Es war schon den ganzen Tag schwül, aber wenn man sich in dieser Masse auch noch zu bewegen versucht, könnte man sich genausogut im Juli in Tokyo befinden, so heiss und feucht wird es.
Die Musik ist nicht besonders motivierend, zwar auf unser Alter abgestimmt, aber hauptsächlich Prince und Michael Jackson, und von beiden eher die langweiligeren Lieder.
Dafür lernen wir einen besoffenen Kriminellen kennen, der vor uns mit seinen Taten prahlt, und je mehr wir ihn mit Missachtung strafen, desto dicker trägt er auf. Die ganze Finchley Road hat er schon in die Luft gesprengt, zusammen mit seinen irischen Brüdern. I'm a Ryan, not an O'Reilley. Was immer das bedeuten mag. Die Frau, die uns gegenüber sitzt, imponiert mir, weil sie ihm die Meinung sagt. Gleichzeitig halte ich das für recht leichtsinnig. Immerhin ist der Typ nicht ganz klein, ziemlich besoffen und meiner Meinung nach relativ geistesgestört. Einer seiner Kumpel nimmt sich schließlich seiner (bzw. unserer) an, und zieht ihn von uns weg. Wir kommen mit dem Päärchen gegenüber ins Gespräch. Reichlich seltsam. Beide im Tennis-Dress, sehen aus wie Überbleibsel aus den frühen Achzigern, und er wirkt mehr als leicht debil. Sie versuchen uns zu beeindrucken, er gibt Tennisstunden im Fernsehen und sie führt ein Millionen-Pfund-Unternehmen und ist regelmäßig in Japan. Dass sie tatsächlich versuchen, uns kollektiv ins Bett zu kriegen, geht völlig an mir vorüber. Matthias gegenüber sind sie wohl direkter, aber Leo hat's auch mitgekriegt. Wir verabschieden uns freundlich.
Am Sonntag schlafen wir fast bis 12. Trotz der Hitze. Unglaublich, dass London so schwül sein kann. Verspätetes Frühstück gibt's beim Burgerladen im Einkaufszentrum - ziemlich lecker. Und dann müssen wir auch schon wieder los.
Es hat so gut getan, mal wieder in der alten Runde zusammenzusein, und neue nette Leute kennenzulernen. Wenn wir in Hamburg nur etwas geregeltere Verhältnisse hätten, dann wäre es sicher leichter, öfters mal was mit den Hamburgern zu unternehmen. Aber selbst dann, die Münchner sind einfach durch nichts zu ersetzen. Hoffentlich schaffen wir's im August mal nach München. Und London müssen wir auf jeden Fall nochmal wiederholen.


Montag, 19. Juli 2004
Um halb 11 bringe ich die Bebis zum Kastrieren. Kodama maunzt den ganzen Weg über ganz erbärmlich, und beide hassen mich bestimmt dafür, dass ich sie einfach so dem bösen Fremden überlasse, der sie immer so gemein piekst, und dann weggehe. Den ganzen Tag über beschäftige ich mich mit Putzen. Vor allem die Stellen, an die Mu mit vorlieber hingepieselt hat. Aber auch die Katzenklos kriegen eine Generalreinigung, und sämtliche Wäsche wird gewaschen und überhaupt soll alles so sauber und gemütlich wie möglich für die beiden sein, wenn sie heimkommen.
Um 4 rufe ich den Tierarzt an: sie haben alles gut überstanden, um 6h kann ich sie abholen.
Leo kommt extra dafür nach Hause, und wir tragen unsere müden, glasig guckenden Kätzchen schnell nach Hause, wo sie in ihren Halskrausen rumtorkeln und alles scheiße finden. Das erste, was Kodama tut, ist sich in ihre Halskrause zu übergeben. Natürlich hat sie keine Lust, dass wir ihr das Ding wieder anlegen, nachdem alles wieder sauber ist. Sie bringt es mehrmals fertig, das Pfötchen durch die Öffnung der Krause zu stecken, hängenzubleiben und seitlich umzufallen. Ausserdem laufen beide ständig gegen die Wand und bleiben dann verwirrt stehen, als müßte sich vor ihnen gleich eine Tür öffnen, die gestern doch noch da war...? Hoffentlich können wir die Krausen bald weglassen.
Die Nacht ist anstrengend. Kodama läuft die ganze Zeit durchs Haus, und streift dabei mit ihrer Halskrause am Boden und an den Wänden und Möbeln entlang. Mu sitzt auf meinem Kopfkissen und versucht in den unmöglichsten Stellungen - mit dem Kopf liegend aber mit den Hinterpfoten stehend und seitlich an die Wand gelehnt - zu schlafen. Bei jedem Geräusch wache ich auf. Und Kodama macht verdammt viele Geräuscht.
Immerhin kann Leo sc hlafen. Und ich habe ja am Dienstag Zeit zum Ausschlafen.


Dienstag, 20. Juli 2004
Den Bebis geht's schon viel besser. Beide sind wieder wacher, laufen rum, klettern (!), und fressen mir das Nassfutter zumindest aus der Hand. Die kahlrasierten Bäuchlein mit den Nähten und dem eingenähten Tupfer sehen zwar schlimm aus, scheinen aber nicht allzu weh zu tun. Morgen werden schon die Fäden gezogen, und dann können wir hoffentlich auch bald die Halskrausen abmachen. Und bis jetzt, toi toi toi, hat noch niemand irgendwo hin gepieselt ausser ins Katzenklo.
Hoffentlich erholen sie sich bald wieder!

Montag, 26. Juli 2004
Der Mensch an sich hat keine Würde. Ich sehe Ausschnitte aus ‚Die Alm' und kann einfach nichts anderes glauben. Was für eine Art von Helden schaffen wir uns da? Widerlich. Erbärmlich.
Aber was schreibe ich vom Fernsehen. Trotz Arbeitslosigkeit bietet das wirkliche Leben mehr als genug Stoff.
Am Samstag war schönes Wetter, und Leo hatte frei. Nicht ohne den Freitagsdienst noch voll auszunutzen. Um 6:45, weniger als eine Stunde vor Dienstende, kam ein Anruf, und der Einsatz hat ihn bis 9h beschäftigt. Aber danach gab's ein luxuriöses Frühstück, einen Ausflug auf den Ohlsdorfer Friedhof, einen Kinobesuch und ein Abendessen im Beinahe-Biergarten.
Der Friedhof ist ein riesiger Park mit z.T. weit verstreut liegenden Gräbern. Viele davon recht schlicht und unspektakulär, dafür einige umso pompöser bis protzig. Immerhin begegnen wir keinen Inge-Meysel-Fans und finden nicht mal das frische Grab. Nicht dass wir's suchen würden. Irgendwann Anfang des letzten Jahrhunderts war es wohl Mode, natürlich aussehende Grabsteine zu verwenden, und die schräg zu beschriften. Viele Gräber liegen ganz versteckt in kleinen Gebüsch-Höhlen oder auf eigenen kleinen Privat-Lichtungen.
Insgesamt weniger ein Friedhofsbesuch als vielmehr ein netter Spaziergang durch den Park.
Auf dem Weg nach draußen unterhalten wir uns über den Unterschied zwischen Zombies und Ghoulen, und schocken damit ein paar alte Damen, die auf den Bus warten. (Der Friedhof ist so groß, dass es nicht nur Autostraßen, sondern auch mehrere Buslinien gibt.)
Nachdem wir uns am Nachmittag Bully Herbigs neuen Film angeschaut haben, schwelgen wir in Langemann und die Morgencrew-Nostalgie und gönnen uns im Grindelhof - einer idyllischen Seitenstraße im Univiertel - Spareribs und Radler - pardon, Alsterwasser. Beides schmeckt nicht ganz so wie zu hause, aber deswegen sind wir ja auch nicht nach Hamburg gekommen - damit alles so ist wie da, wo wir herkommen. Und das nächste Mal esse ich doch den Fisch. :)
Die Bebis sind schon wieder richtig fit und munter, auch wenn die Fäden noch nicht wie erwartet letzte Woche gezogen worden sind. Die Armen müssen immer noch ihre Halskrausen tragen, was sie ziemlich nervt. Ab und zu nehmen wir sie ab, jeweils nur einer Katze auf einmal, damit wir besser aufpassen können. Mittlerweile wissen sie ganz genau, dass sie nicht am Bauch rumschlecken dürfen, was sie natürlich nur davon abhält, so lange sie sich beobachtet fühlen. Nachts sind sie noch schmusiger als vorher; Mu krabbelt meistens auf mein Kopfkissen und schläft nach viel treteln und rumwuseln in meinen Arm gekuschelt ein. Kodama wickelt sich wahlweise um Leos oder meine Füße, oder kuschelt sich in die Mitte zwischen uns. Bin gespannt, ob das so bleibt, wenn übermorgen endlich die Fäden rauskommen.


Sonntag, 1. August 2004
Von wegen, kuschelig bleiben. Die Chaos-Katzen sind zurück.
Am Mittwoch sind die Fäden rausgekommen. Was für ein Kampf. Kodama hat sich noch einigermaßen einfangen lassen. Aber als sie dann in ihrer Transporttasche saß, hat sie sich so aufgeführt, dass sogar ihre Schwester Angst vor ihr bekommen hat. Sie hat's tatsächlich fertiggebracht, ihre Halskrause abzustreifen. Inzwischen habe ich versucht, Mu einzufangen, und mir jede Menge tiefe Kratzer eingefangen. War echt hart, sie so in Panik zu sehen. Wir müssen irgendwas tun, damit sie mit den Transporttaschen nicht nur Tierarzt assoziieren.
Beim Tierarzt haben wir sie dann jeweils zu zweit festgehalten, die Arzthelferin die Hinter- und ich die Vorderpfoten, während der Arzt die Fäden gezogen hat. So kleine Kätzchen und so stark. War ganz erschöpft hinterher. Körperlich wie emotional, weil die armen beiden Bebis so leiden mussten.
Am Abend dann der große Moment: die Halskrausen abnehmen und sie nach Herzenslust den Bauch schlecken lassen. Zuerst haben sie immer noch ein bisschen misstrauisch zu uns rübergeschielt, aber das verging recht schnell. Dann haben sie nach und nach ihre Lieblingsspielzeuge wieder entdeckt - Mu kann sooooo hoch hüpfen, wenn sie auf der Jagd nach einem Tischtennisball ist - und genussvoll ohne Behinderung gefressen.
Nur geschmust haben sie erstmal nicht. Eine gewisse Schmoll-Quarantänezeit muss wohl sein. Aber mittlerweile ist auch die vorbei, und wir werden nachts wieder von Mu dauerbelagert und von Kodama sporadisch heimgesucht (vorzugsweise auf der Jagd nach ihrer Schwester oder unseren Zehen).
Dabei scheint ihnen die Hitze nicht viel auszumachen. Vor allem Mu beglückt uns mit der zusätzlichen Wärme ihres Fells. Trotzdem bringe ich's nicht übers Herz, sie auch nur beiseite zu schieben.
Am Donnerstag hab ich's endlich mal geschafft, meine Arbeitslosigkeit zu genießen, und bin nach dem Bewerbung-Schreiben ins Freibad gegangen. Zwecks Sommerferien war's da natürlich Rappelvoll, aber umso mehr hat sich's nach Urlaub angefühlt. Hab mich in die Sonne gesetzt (nicht ohne Lichtschutzfaktor 20), ein Buch gelesen, mich ab und zu im Wasser abgekühlt, immerhin 500m geschwommen, und den Leuten zugeschaut. Schade, dass Leo so lang arbeiten musste - eigentlich wollte ich auf ihn warten, und dann noch zusammen mit ihm schwimmen. Aber als er schließlich anruft, hat das Freibad nur noch 10 Minuten auf.
Immerhin gönnen wir uns ein Essen beim Griechen, natürlich draußen sitzend. An dieser Stelle muss ich mich mal selbst loben: wenn man mit einem Rechtsmediziner zusammen ist, braucht man einen starken Magen. Manchmal ist es schon schwer, den Bissen runterzuschlucken, den man gerade im Mund hat, wenn man von diversen Verletzungsarten, Tötungsvarianten und Krankheiten hört... Aber um nichts in der Welt möchte ich diese Geschichten missen. Und die Begeisterung, mit der Leo sie erzählt.
Jetzt brauche ich nur noch eine Stelle, für die ich mich genauso begeistern kann. In den letzten zwei Wochen gab es einige interessante Stellenangebote, auf die ich mich beworben habe. Bin eigentlich ganz zuversichtlich, dass jetzt bald was klappt. Am Montag ist das nächste Vorstellungsgespräch...


Donnerstag, 19. August 2004
Hui, ein großes Loch im Tagebuch. Viel passiert, viel aufzuholen. Also Rückblende, Teil 1:

Donnerstag, 05. August 2004
Vorstellungsgespräche und andere Kuriositäten. Am Montag hatte ich das kürzeste Gespräch meines Lebens. Inkl. kurz warten, Geschäftsführer kennenlernen, Lebenslauf runterbeten, jobdescription anhören und wieder rausgehen weniger als 10 Minuten. Meine Nachfolge-Kandidatin gibt mir im wahrsten Sinne des Wortes die Klinke in die Hand.
Obwohl der Geschäftsführer von Stage Holding äußerlich relativ bodenständig wirkt - jemand, der dauernd mit Künstlern umgeht, stellt man sich irgendwie recht überkandidelt vor, aber er sieht recht businesslike aus - bestätigt sich das Vorurteil am nächsten Tag. Die Absage kommt mit der Begründung, dass bei allen Kandidatinnen die Qualifikationen gestimmt haben, aber keine dem Chef so sympathisch war, dass es für einen ein- bis zweimonatigen Zeitarbeitseinsatz ohne Übernahmeoption gereicht hätte. Dabei haben sie beim ersten Mal gesagt, dass sie dringend jemanden suchen. Drei Kreuze, dass ich da nicht arbeiten muss.
Heute ein Gespräch bei einer Zeitarbeitsfirma, die einen Event-Manager für eine Medizintechnikfirma sucht. Ich falle fast vom Stuhl, als mich die Frau fragt, ob ich Berührungsängste mit medizinischen Geräten und deren Anwendung hätte. Die müsste mal hören, worüber Leo und ich beim Abendessen reden, dann würde sie wahrscheinlich Berührungsängste kriegen. Leider gibt es viele Konkurrenten, die schon in der entsprechenden Branche gearbeitet haben, d.h. ich hab wohl trotzdem keine Chance. Egal, momentan bin ich trotzdem ganz optimistisch.

Freitag, 06. August 2004
Am Institut für Rechtsmedizin sind z.Z. zwei Gaststudentinnen aus Japan. Leo hat ihnen von mir erzählt, und jetzt möchten sie gerne japanisch mit mir reden. Also hole ich sie im Institut ab, und mache mit ihnen ein bisschen Sightseeing. Es ist furchtbar heiß, also halte ich eine Alsterrundfahrt für eine gute Idee, übersehe dabei nur, dass die Boote nicht überdacht sind. Trotz (oder wegen) des annähernden Sonnenstichs funktioniert die Kommunikation gut, die zwei sind nett und freuen sich über eine Englisch-Pause. Ich führe sie in die Geheimnisse des europäischen Eiskaffees ein (Vanilleeis und Sahne statt schlichter Eiswürfel wie in Japan), wir schlendern am Hafen entlang, und kommen fast zu spät wieder zurück. Mein Japanisch ist nach ca. 6 Monaten etwas eingerostet, aber auch nach 4h Reden zeige ich noch keine akuten Erschöpfungssymptome. Es besteht wohl doch noch Hoffnung auf Reaktivierung dieser kopfverdrehenden Sprache.

Samstag, 07. August 2004
Henni und Drea sind zu Besuch. (Für alle Leser, die nicht in meinen Familienstammbaum eingeweiht sind: mein Bruder und seine Freundin.) Die zwei kommen mit dem Nachtzug, und finden trotz meines Angebots, sie abzuholen, ganz allein zu uns nach Hause. Leo, der von seinen vielen Diensten völlig erschöpft ist, lassen wir ausschlafen, und gehen nach Eppendorf Frühstücken. Da gibt's recht schicke Cafes, man kann auf der Straße sitzen, und so früh ist es auch noch nicht zu heiß dafür. Schön, so mit netten Leuten zusammen in der Sonne zu sitzen, Kräuterkäse, Krabbensalat und frisches Obst zu genießen, und das einzige Problem, das man hat, sind die Wespen.
Leo stößt zu uns und wird von dem, was wir bestellt haben, auch noch satt - auch wenn wir uns auf dem Heimweg ein Eis nicht verkneifen können.
Am Nachmittag steht Hennis Geburtstagsgeschenk auf dem Programm: ein Besuch in Hagenbecks Tierpark, wo es am Abend gleich mehrere Klassik-Konzerte gibt. Eigentlich bin ich ja kein Fan von Zoos. Die eingesperrten Tiere tun mir immer furchtbar leid. Aber wahrscheinlich hat sich vieles verändert, seit ich das letzte Mal in einem Zoo war, und viele Arten überleben ja nur noch in Zoos... Also Vorbehalte beiseitelassen und einfach genießen.
Wir kommen rechtzeitig an, um uns alle Tiere anzuschauen. Gleich am Anfang ein Highlight: Elefanten füttern. Mit dem richtigen Futter (das man natürlich gegenüber kaufen kann) ist das laut Broschüre eine aufregende Abwechslung für die Tiere. Und für die Menschen erst. Ein Elefantenrüssel ist groß, sabbernass und unglaublich borstig.
Insgesamt wirkt der Zoo schon sehr tierfreundlich. Nur wenige Tiere stehen stumpfsinnig rum oder wiederholen immer wieder die selbe Bewegung. Es gibt viel frischen Nachwuchs, und überall laufen Pampashasen frei rum. Der Park ist schön gestaltet, mit einem riesigen Felsen in der Mitte, auf dem Ziegen und ähnliches rumklettert, vielen Wasserflächen (u.a. einem japanisch gestalteten See mit Brücke und Toori), alten Bäumen und an jeder Ecken einem Crepe-Stand. An einem prunkvollen Tor ist eine Plakette mit der Geschichte des Zoogründers angebracht. Der pflegte offenbar recht innige Beziehungen zu seinen Tieren, und besuchte u.a. regelmäßig die Raubkatzen in ihrem Gehege. Sie schienen immer genug Respekt vor ihm zu haben, um ihn nicht zu fressen, bis er eines Tages im Gehege stolperte und hinfiel. Einige Raubkatzen stürzten sich sofort auf ihn, aber einer der Löwen ging dazwischen und rettete ihn. Selbst wenn es nur eine Legende ist, kriege ich bei dem Gedanken immer noch Gänsehaut.
In der Voliere stoßen wir auf eine traurige Szene: einer der beiden Tukane flattert kraftlos von seinem Ast und bleibt am Boden liegen. Der andere geht auf ihn los und hackt mit seinem großen Schnabel auf ihn ein, während er nur hilflos vor sich hin zuckt. Ich suche einen Tierpfleger, aber der einzige Angestellte, den ich finde, führt ein Kind auf einem Pony durch die Gegend und scheint nur mäßig interessiert. Als ich zurückkomme, rührt sich der Vogel nicht mehr, und der mörderische Artgenosse starrt uns von seinem Ast herunter vielsagend an. Die anwesenden Kinder sind relativ unbeeindruckt ob dieser darwinistischen Darbietung. Naja, kommt ja auch oft genug ähnliches im Fernsehen. Trotzdem macht mich der Anblick des verendeten Tukans am Boden des Käfigs kurzzeitig ganz unerträglich traurig.
Wir verlassen den Tatort und treffen zwischen Giraffen und Ziegen die beiden Japanerinnen wieder. Zusammen mit ihnen schauen wir uns ein Konzert auf dem See und zwei Vogel-Flugshows an, mit Pelikanen (dass die mit den Schnäbeln überhaupt fliegen können...?) und Aras. Ich finde die Musik unwissenderweise recht hübsch, aber laut fachkundigem Urteil meines Bruders sind die Musiker nicht besonders gut aufeinander und auf das Stück eingestimmt. (Wenn ich sage "vom Blatt spielen" schwingt immer die Ehrfurcht des musikalischen Analphabeten mit, aber wenn Henni es sagt, klingt es wie "seriengefertigt in Hongkong".)
Wir ziehen um und folgen den Klängen einer einzelnen Harfe, bis wir Instrument und Spielerin gefunden haben. Eine Weile lang trübt hier nichts die Idylle, die Harfe klingt sehr schön, ab und zu spazieren barock gekleidete Gestalten an uns vorbei, wohl um die Stimmung der Musik zu unterstützen, und wir genießen Crepes mit Nutella und Banane und Apfelmus.
Dummerweise sind uns die Wespen vom Frühstück gefolgt, eine sticht Henni in die Hand. Auf der Suche nach Eiswürfeln oder Erster Hilfe (letzteres unauffindbar) landen wir bei einem dritten Konzert, das wir uns anhören, während ein Eiswürfel nach dem anderen auf Hennis Hand schmilzt.
Danach gibt's noch ein Feuerwerk am Ziegenfelsen, was ich für einen Zoo reichlich unangemessen finde - es entsteht doch einiges an Lärm und Rauch, muss man das den Tieren antun? Das von Musik untermalte Feuerwerk ist allerdings grandios, wobei die größte Attraktion ein Pfau ist, der mit bemerkenswerter Coolness zwischen riesigen bengalischen Feuern umherstolziert. Wettstreit Natur gegen Menschenhand. Zum Glück schlägt er kein Rad, und fängt auch sonst nicht Feuer. Können Pfaue einen Tinnitus bekommen?
Es ist immer noch furchtbar warm, als wir heimkommen, und wir wagen es, bei offenem Fenster zu schlafen. Bis jetzt haben die Bebis nie versucht auszubrechen, also hoffen wir, dass sie es auch nachts nicht tun.
Sie haben ja auch mit den Gästen genug Ablenkung. Vermutlich ist es Kodama, die in der Nacht Andreas Bein mit einem Spielzeug verwechselt und mit ausgefahrenen Krallen drauflosspringt. Fraglich, ob die Narben bis Weihnachten schon verschwunden sein werden. Dafür sind die zwei so rücksichtsvoll, mit größeren Kampfaktionen (die zwar ohne Miauen, aber trotzdem relativ geräuschvoll ablaufen) ca. bis 5h morgens zu warten. So, wer jetzt trotzdem noch zu Besuch kommen will, der klicke einfach auf ‚Reservierung'.

Sonntag, 08. August 2004
Henni und Drea sind so tapfer, früh aufzustehen und auf den Fischmarkt zu gehen. Leo und ich schlafen aus. Gegen 9 Uhr treffen wir uns mit dem Auto an der U-Bahn und düsen los Richtung Ostsee. Die beiden haben einen Riesen-Obstkorb gekauft, der uns den ganzen Tag (und den Rest des Besuchs) über ernähren wird. Andrea häkelt auf der Fahrt, ein Geschenk für einen Freund, wir ignorieren das Radio und unterhalten uns - es tut wirklich gut, mal wieder von Angesicht zu Angesicht zu reden, auch wenn chatten eine gute Möglichkeit ist, in Kontakt zu bleiben.
Der Timmendorfer Strand ist hoffnungslos überfüllt - jedenfalls suggeriert das die Parkplatzsituation. Wir fahren weiter nach Norden, bis wir in Scharbeutz ankommen. Auch da ist nix mit Parken, aber immerhin gibt's einen Supermarkt mit Parkplatz, und von da sind's gerade 10 Minuten zu Fuß.
Der Strand kostet Eintritt, und es sind praktisch nur noch Stehplätze frei. Wir quetschen uns zwischen andere Handtücher und kümmern uns nicht weiter um die Enge. Der Wind macht die Hitze fast erträglich, man kann rumliegen und lesen, Obst essen, zwischendurch ins flache Wasser hüpfen, das kurioserweise voller Marienkäfer ist (einen konnte ich retten!), wieder Obst essen, vor sich hindösen, und habe ich schon Obst essen erwähnt?
Wir verbringen den ganzen Tag mit Faulsein, und dank Lichtschutzfaktor 20 gibt's nicht mal nennenswerte Sonnenbrände.
Auf dem Rückweg finden wir ein Fischrestaurant an einem See, wobei Biergarten der richtigere Ausdruck wäre: man holt sich das Essen selbst an verschiedenen Ständen, und sitzt draußen auf Holzbänken. Wir stopfen uns mit geräuchertem Aal, frittierten Scampis und Backhering voll und genießen die Stimmung, bis der Wind uns leichtbekleidete vertreibt.

Montag, 09. August 2004
Leo muss wieder arbeiten. Wir schlafen aus, gönnen uns ein spätes Frühstück (mit viel Obst) und ziehen dann los zum Sightseeing.
Wir entscheiden uns für eine Hafenrundfahrt und treffen uns mit Roman an den Landungsbrücken, wo wir das erstbeste Boot nehmen. Nicht ohne vorher ein Softeis zu verschlingen, das uns buchstäblich in den Händen schmilzt.
Anfangs ist der Fahrtwind angenehm kühl, aber irgendwann ist Flaute, und wir werden auf dem nur teilweise überdachten Boot gegrillt. Dafür bekommt man vom Wasser aus einen schönen Blick auf Speicherstadt, Hafendocks und Skyline, samt jeder Menge Informationen und Hamburger Reiseführer-Wortwitz.
Dann versuchen wir, ins Gewürzmuseum zu kommen, aber das hat leider Montags geschlossen. Statt dessen laufen wir durch die Speicherstadt und müssen alle paar Meter Halt machen, um den Flüssigkeitshaushalt in Ordnung zu bringen.
Schließlich ziehen Henni, Drea und Roman weiter nach Planten un Blomen, das Wetter - bzw. den Schatten der Bäume - genießen, und ich fange zu hause an, eine Pizza zu backen. Irgendwie müssen wir noch zweieinhalb Ananas verbrauchen, und immer kann man auch keinen Obstsalat essen.

Dienstag, 10. August 2004
Wieder lang ausschlafen. Bei der Hitze kann man einfach nichts anderes machen. Es sei denn, man muss arbeiten. Armer Leo.
Heute steht eine Stadtrundfahrt auf dem Programm. D.h. ich bringe die beiden zum Bus, da ich das ganze schon dreimal mitgemacht habe. Das lässt mir Zeit, noch ein paar Bewerbungen zu schreiben. Am Wochenende habe ich gleich zwei klasse Stellenanzeigen entdeckt, eine von einem japanischen Musikinstrumentehersteller, der jemanden fürs Marketing und für die Koordination zwischen Japan und Europa braucht, und eine von einer japanischen Werbeagentur. Beides passt nicht 100%ig, aber Japanisch können ist mit Sicherheit ein entscheidender Vorteil...
Abends treffen wir uns in St. Pauli. Nach einem leckeren Essen auf der Terrasse eines taktisch günstig gelegenen Restaurants - man kann den Leuten, die vorbeilaufen, zuschauen wie im Theater - schlendern wir die Reeperbahn rauf und wieder runter. Einmal Große Freiheit und zurück durch Seitengassen, die im Dunkeln vielleicht unheimlich sein können, bei Tageslicht aber nur ausgestorben und leicht heruntergekommen wirken. Auf der anderen Seite der Straße stehen die Mädchen. Frauen kann man noch nicht sagen, keine ist offenbar älter als 22. Alle sind so sportlich angezogen, so jung und gutaussehend und durchtrainiert, dass ich zuerst eine Werbeaktion irgendeiner Sportfirma vermute. Ein Mann spricht uns an, dass es gefährlich sei, als Frau hier alleine rumzulaufen. Was sehr komisch ist, weil wir ja gar nicht allein sind. Und, wie Drea kommentiert, bei der Masse an Geschäfts-Frauen ist es für einen Mann allein wahrscheinlich gefährlicher.
Als die Sonne untergeht, ziehen wir um auf den Dom (eine Art Hamburger Mini-Oktoberfest, das dreimal im Jahr stattfindet, nur ohne Bierzelte und kleiner - trotzdem nennen sie sich das größte Volksfest Deutschlands) und schauen uns die Stadt bei Sonnenuntergang von oben aus dem Riesenrad an. Auch von oben kann man nur sagen: Hamburg ist wirklich schön. Auf der einen Seite die Hafenkräne, davor prachtvolle Kirchen und Marktgebäude, daneben die Speicherstadt mit ihren roten Klinkerbauten, überall viel Grün und kaum Hochhäuser....
Wir schlendern weiter über den Dom, essen Schmalzgebäck und Poffertjes, obwohl eigentlich gar nichts mehr in uns reinpasst, und suchen den Ausgang, der uns nach Planten un Blomen bringt. Dort gibt's um 10 Wasserlichtspiele mit musikalischer Untermalung. Wir sind etwas zu spät, aber die Show läuft noch, die Wiese vor dem Parksee ist voller Menschen, die rote und blaue und grüne Wasserfontänen bewundern und die Musik genießen. Manchmal wird man etwas nass, aber der Abend ist warm genug, um das zu verkraften.
Leo war bis neun in der Arbeit. Nichts gegen gelegentliche Überstunden, aber das ist echt zuviel des guten. Schon irgendwo witzig, wenn öffentlich über die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche diskutiert wird, und alle protestieren, aber keiner hat ein Problem damit, sich von einem Arzt behandeln zu lassen, der 12h am Tag arbeitet, und vielleicht zusätzlich noch einen anstrengenden Nachtdienst hinter sich hat...

Mittwoch, 11. August 2004
Etwas schuldbewusst schicke ich Henni und Drea wieder alleine los. Heute Nachmittag ist Vorstellungsgespräch, und wir wollten heute Abend noch Fisch kochen, d.h. ich muss einkaufen, und unsere Zugtickets für die Fahrt nach München besorgen... Die zwei wollen sich die Sachen anschauen, die sie bei der Stadtrundfahrt verpasst haben, weil sie offenbar den einen Bus erwischt haben, bei dem man nicht an jedem Punkt der Tour aussteigen kann. Sehr doof. Ist für nächstes Mal notiert, dieser Reiseveranstalter wird nicht mehr genommen.
Das Vorstellungsgespräch ist bei einer Firma, die Trainings für Cisco Systems macht, und verläuft für meinen Geschmack viel zu gut. Der job ist nicht mehr als Sekretariatsaufgaben, Termine vereinbaren, Briefe tippen, etc. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Lebenslauf wirklich gelesen wurde, jedenfalls wird mir zum ersten Mal nicht die Frage gestellt, ob ich mich nicht für überqualifiziert halte. Echt saublöd: ich will da gar nicht arbeiten, aber da die Stelle übers Arbeitsamt kommt, habe ich keine Wahl, außer mich so zu verbiegen, dass die glauben, mein Zweitstudium sei gar nichts wert, ich hätte keinerlei Ansprüche an meine Tätigkeit, aber trotzdem nicht vor, in nächster Zeit Kinder zu kriegen, und auch die Bezahlung wäre völlig wurst. Immerhin habe ich nach einigen solchen Gesprächen offenbar genug Übung, um den Geschäftsführer dort zu beeindrucken. Und weiß nicht, ob ich mich ärgern oder freuen soll.
Bei Fisch und Hitze ist mir spontan ein Gericht eingefallen, das ich auf den Philippinen gegessen habe, das aber eigentlich aus Südamerika kommt: Ceviche. Im Prinzip wie Sashimi, d.h. roher Fisch, aber in Limonenmarinade eingelegt und sehr schön sauer und erfrischend. Rezepte gibt's zum Glück im Internet, und was ich da fabriziere, schmeckt zwar nur annähernd wie das Original, kommt aber trotzdem bei allen gut an. Sogar mit Tomaten in der Marinade.
Henni und Drea schaffen es tatsächlich, die Katzentransportkiste und die dritte Ananas noch irgendwie unterzubringen, und brechen zu ihrem Nachtzug auf. Und ich freu mich tierisch, dass wir in zwei Tagen nachkommen.

Freitag, 03. September 2004
Freitag Nachmittag, 17:30. Die Sonne scheint. Ich sitze im Bus nach Hause, im feinen Kostüm, die Hände voller Druckerschwärze, und lese Bravo. Aber vielleicht fange ich doch besser von vorne an.
Nachdem wir aus München zurückgekommen waren, haben sich die Ereignisse in Sachen Stellensuche überschlagen.
Von der Firma, bei der ich mich vorgestellt hatte, war ein Anruf auf dem AB, sie wollen mich einstellen. Blöd, dass ich da so was von überhaupt nicht arbeiten will. Aber habe ich eine Wahl? Ich rufe also an, lasse mir die (bescheidenen) Bedingungen durchgeben – die Bezahlung liegt ca. 50 EUR über meinem Arbeitslosengeld – und verspreche, im Lauf der Woche Bescheid zu geben.
Große Krise. Der job ist stinklangweilig und hat mit meiner Ausbildung so gut wie nichts zu tun. Termine vereinbaren und Briefe tippen. Ok, kann ich beides. Aber ich kann auch Putzen, oder Schnee schaufeln, oder Schrauben in Schachteln sortieren. Das heißt noch lange nicht, dass ich meinen Lebensunterhalt damit verdienen will.
Doch schon am nächsten Tag kommt die Rettung: ein japanischer Anruf. Hakuhodo, eine japanische Werbeagentur. Sie haben sich beworben, wir würden Sie gern kennenlernen. Unglaublich. Zumal ich die Bewerbung kurz vor der Abfahrt nach München – also erst vor fünf Tagen – und in ziemlicher Hektik verfasst hatte. Und jetzt habe ich noch am selben Tag ein Vorstellungsgespräch. Das ziemlich gut läuft. Zwei Japaner interviewen mich in drei Sprachen, und scheinen recht überzeugt von mir. Die Welt sieht gleich viel besser aus.
Zwei Tage später bin ich zum zweiten Mal da. Diesmal, um meinen direkten Vorgesetzten kennenzulernen, einen Deutschen, der mir zwar ein paar skeptische Fragen zu meiner Erfahrung mit Agenturen stellt, aber ansonsten ziemlich entspannt wirkt.
Ich gehe das Risiko ein und sage der anderen Firma ab. Obwohl ich bei Hakuhodo noch nicht sicher bin, ist das ein sehr gutes Gefühl. Am liebsten würde ich dem Chef dort sagen, dass er beim nächsten Mal besser den Lebenslauf seiner Bewerber lesen sollte.
Dann, am darauffolgenden Montag, kommt die letzte Hürde: der japanische Chairman für ganz Deutschland. Er wirkt laut Aussagen seines eigenen Untergebenen wie ein Yakuza-Boss, ist aber nicht unfreundlich, stellt ein paar Standardfragen, nickt und geht wieder. Meine Hoffnung wird immer größer, zumal der japanische Untergebene offenbar auf meiner Seite ist und mich seinem Chef optimal zu verkaufen versucht. Er verspricht, mir diese Woche Bescheid zu geben.
Auf dem Heimweg gehe ich noch einkaufen, und als ich heimkomme, ist schon ein Anruf auf dem AB. Dummerweise erreiche ich niemanden mehr. Am nächsten Tag bekomme ich Gewissheit: sie wollen mich einstellen.

Hakuhodo ist die zweitgrößte Werbeagentur in Japan, und die achtgrößte weltweit. Das Hamburger Büro liegt am Rathausmarkt, mitten in der Innenstadt (entspricht dem Münchner Marienplatz), in einem alten Gebäude mit Paternoster. In Hamburg gibt es ca. 20 Mitarbeiter, vier oder fünf davon Japaner. Ich bin als Kontakter bzw. „account executive“ eingestellt, um Casio zu betreuen, speziell im Bereich Uhren und Digitalkameras. Was genau ich hier für eine Funktion erfülle, ist mir noch nicht ganz klar, auch wenn ich schon mitten drin bin und alle möglichen Dinge tue, die mir meist nur flüchtig erklärt werden. Bis jetzt verbringe ich den Hauptteil meiner Arbeitszeit damit, immer neue Versionen der gleichen Broschüre in verschiedenen Sprachen korrekturzulesen (was vor allem in Holländisch oder Italienisch recht interessant ist).
Aber alle Kollegen sind nett, das Arbeitsklima ist entspannt, und auch wenn’s viel zu tun gibt, habe ich das Gefühl, dass sich keiner totarbeitet. Mein direkter Chef ist sehr nett, ein Mensch bei dem man sich nicht vorstellen kann, dass er jemals laut wird oder irgendwelche dummen Spielchen spielt. Die einzige Sache, die ich gegen ihn vorbringen könnte (vorzugsweise bei einer Menschenrechtsorganisation), ist dass er mich Bravo lesen lässt – damit ich mich in die Zielgruppe reindenken kann...
Also, seit 1. September bin ich wieder Vollmitglied im arbeitenden Teil der Gesellschaft. Die Durststrecke hat sich gelohnt, ich habe tatsächlich einen job gefunden, in dem ich meine beiden Studiengänge miteinander verbinden kann, die Bezahlung ist ganz ordentlich (wenn auch nicht so hoch wie in München), die Aufgaben versprechen interessant zu sein, und das Arbeitsklima ist auch hervorragend. Besser hätte es kaum laufen können.
Und irgendwann werde ich auch wieder Zeit haben, dieses Tagebuch erstens regelmäßiger zu aktualisieren, und zweitens noch ein paar Rückblick-Einträge zu schreiben....


Sonntag, 12. September 2004
Vielleicht sollte ich aus aktuell-andauerndem Anlass mal was grundsätzliches zum Thema Mutterliebe schreiben.
Wir projizieren ja jeglichen vorhandenen Elterninstinkt in unsere beiden Katzenbebis. Auf diesem Übungsgelände kann man sehr schön sehen, inwieweit man überhaupt über sowas verfügt. Bzw. ob man's nicht rettungslos übertreibt. Wie gewisse Personen, die es zulassen, dass gewisse Katzen ihr genussvoll schnurrend auf den Bauch hüpfen, und da mittels krallenbewehrter Milchtritte ihr Wohlbefinden zum Ausdruck bringen. Das ist einfach so süß, dass man die unzähligen kleinen Narben auf dem Bauch gern in Kauf nimmt. Genauso wie die Unmöglichkeit, sich nachts im eigenen Bett zu bewegen, weil zwei Katzen auf einem draufliegen.
Schlimmer wird's schon mit dem schlechten Gewissen. Das setzt regelmäßig ein, wenn der Mensch es sich herausnimmt, nicht nur den ganzen Tag zu arbeiten, sondern abends auch noch auszugehen. Natürlich nicht, ohne für ausreichend Futter und Spielzeug zu sorgen. Aber trotzdem.
Vom wegfahren übers Wochenende will ich gar nicht reden. Wir haben eine Katzen-Sitterin, die die Bebis nach unseren Anweisungen bestens versorgt, wenn wir nicht da sind. Sie füttert sie nicht nur, sondern macht auch die Katzenklos sauber und kommt zweimal am Tag zum Spielen. Aber trotzdem. Eigentlich kann man das den Kleinen doch nicht antun. Oder?
Was wirklich über die Grenze der katzenelterlichen Liebe hinausgeht, ist die Stubenreinheit. Bzw. deren Abwesenheit. Als die beiden Wuslinge zu uns kamen, waren sie perfekt toilettentrainiert. Das einzige, was danebenging, war das mit Begeisterung aus dem Klo rausgescharrte Katzenstreu.
Dann wurde Mu rollig, und begann, alles zu markieren, was man nicht abwischen konnte. Sprich Sofa, Betten und Teppiche. Nur brutale Operationsmaßnahmen, sprich Kastration, konnte dieses Problem beheben. Und auch nicht ganz: der Badteppich ist nach wie vor ein beliebtes Angriffsziel, und kleinere Kartons sollte man auch nicht unbeaufsichtigt in dunklen Ecken stehen lassen. Immerhin ist die Sache dadurch aber zu beschränken. Auch wenn's sich auf dem blanken Fliesenboden im Bad manchmal recht ungemütlich steht.
Aber letzte Woche hat auch Kodama das Danebenpieseln für sich entdeckt. Das erste Mal wollte sie mir wohl beim Katzenklo-Saubermachen behilflich sein. Während ich im Katzenstreu rumwühlte, scharrte sie voller Begeisterung an der Stelle rum, wo das Klo immer steht. Ich war naiv genug zu glauben, dass sie das aus reiner Sympathie mit ihrem Lieblings-Kloreiniger-Menschen macht. Bis es anfing, streng zu riechen... Aber nicht nur Klo-Saubermachen scheint eine anregende (bzw. abführende) Wirkung zu haben. Auch eine Bügel-Session in der Nähe des Klos scheint auszureichen, damit man sich aufgefordert fühlt, mit präziser Zielsicherheit am Katzenklo vorbei zu pinkeln.
Und das ist die eine Sache, die noch so viel Mutterliebe nicht tolerieren kann. Zumal es hässliche schwarze Flecken auf dem Boden gibt, und wir beim Auszug unsere Kaution wiederhaben wollen.
Was tun also die konsequenten Katzeneltern? Wenn man die Piesler auf frischer Tat ertappt ist es einfach: schimpfen, packen, aufs Katzenklo setzen, loben. Wenn nicht, kann man nur: aus dem nassen Bett, in das man sich gerade hundemüde gelegt hat, wieder aufstehen und es frisch beziehen / eine Inkontinenzunterlage auf das Sofa legen / im Bad kalte Füße kriegen / so schnell wie möglich alles wegputzen. Und hoffen, dass die Kinder schnell wieder erwachsen werden.


Montag, 13. September 2004
So, nach fast zwei Wochen Arbeit ist eine kleine Anfangsbilanz fällig.
Grundlegendes zur Stelle und zur Agentur hab ich ja schon geschrieben. Hier kommen ein paar Details samt Kommentaren.
Es ist ungewohnt, wieder zur arbeitenden Bevölkerung zu gehören. Früh aufstehen muss ich nicht wirklich, weil die Arbeit erst um 9h anfängt, und ich von Tür zu Tür nicht mehr als eine halbe Stunde brauche. Dafür bin ich regelmäßig bis 18h im Büro, außer wenn dringende Termine anstehen und wir auf Druckunterlagen o.ä. warten müssen. Dann kann's auch ½ 8 werden. Bloß Freitags kommt man gegen 17h raus. Am Anfang, vor allem, als ich noch nicht so viel zu tun hatte, fand ich das schon etwas nervig. Vor allem wegen der Katzen, aber auch, weil ich es schlicht nicht mehr gewöhnt bin, dass ich mir meinen Tag nicht frei einteilen kann. (Auch wenn der frei eingeteilte Tag in der Regel hauptsächlich aus so sinnlosen Dingen wie Website-Basteleien u.ä. bestand.)
Mittlerweile hab ich mich dran gewöhnt, und hab auch genug Arbeit, um den ganzen Tag auszufüllen. Am Freitag hatte ich ein Gespräch mit meinem Chef, bei dem wir festgelegt haben, für was ich alles zuständig bin - allein der anzeigenbezogene Teil meines Verantwortungsbereichs umfasst ein Budget von über 1,7 Millionen Euro. Auch wenn von eigenverantwortlichem Arbeiten noch nicht viel zu merken ist. Ich hab einfach noch zu wenig Ahnung vom Agenturgeschäft, und schon das Grundvokabular fehlt mir - Lithos, Reinzeichnungen, Proofs und Improofs... - ganz abgesehen von den hier üblichen Arbeitsabläufen. Aber ich bemühe mich und schreibe jedes kleine Fitzelchen ganz genau auf, um den Überblick zu bewahren - jawohl, tue ich, und nein, es hat kein Alien die Kontrolle über mich übernommen o.ä.
Insgesamt ist es schon eine große Umstellung. Die letzten sieben Jahre bei der selben Firma haben einfach ein unglaubliches Maß an Routine aufgebaut. Alle Arbeitsabläufe waren bekannt, ich wusste genau, wen ich in welchem Fall was fragen musste, wer Lieferanten, Partner, Kunden, Konkurrenten waren, wo ich im Bedarfsfall Infos finden konnte, was für ein Level an Höftlichkeit/Vertrautheit mit wem angemessen war, etcetc. Das alles neu zu lernen ist anstrengender als erwartet. Aber ich stelle auch fest, dass meine bisherige Berufserfahrung mir schon eine gehörige Portion Selbstbewusstsein verschafft hat, was Umgang mit Kunden betrifft. Und dann habe ich auch nicht mehr den Anspruch, groß Karriere machen zu müssen. D.h. es ist wesentlich einfacher, dumme Fragen zu stellen und Fehler zuzugeben. Vielleicht liegt das aber auch an der Arbeitsatmosphäre hier.
Mein Chef ist ganz anders als der vorige. Gemeinsam haben sie nur die Gemütsruhe. Ansonsten ist Peter - alle hier sind per Du - wesentlich erreichbarer und natürlich zu 100% an meiner Arbeit interessiert, erklärt Sachen genau, fragt nach, ob alles ok ist (und das nicht, um zu kontrollieren, ob ich ihm aus dem Kopf antworten kann oder nachschauen muss) und ob mir die Arbeit Spaß macht, und bringt es auch fertig, positiv zu kommentieren. Insgesamt ein Wohlfühlchef, würde ich sagen.
Die Kollegen sind soweit ich sie bis jetzt kennengelernt habe auch sehr nett. Lockere Atmosphäre, kein besonderder Dresscode, vor allem nicht ein Stockwerk tiefer in der "Kreativabteilung", alle sind jung, unkonventionell und keineswegs karrierebesessen, und den meisten scheint ihre Arbeit Spaß zu machen.
Problem: ich sitze allein in einem Zweierbüro und kann durch die Tür zwar einige Kollegen sehen und telefonieren hören. Aber Gelegenheit zu einer privaten Unterhaltung gibt es kaum. Jeder geht mittags für sich alleine Essen, und ansonsten arbeitet man halt. Wahrscheinlich braucht's so was wie eine Messeteilnahme oder ein Incentive, damit ich mal jemanden näher kennenlerne. Immerhin habe ich schon rausgefunden, dass es hier noch eine Liverollenspielerin gibt. Dumm nur, dass ich mit der wenig zu tun habe. Aber der Kontakt wird sich schon noch intensivieren, zu allen, hoffe ich.
International geht es hier auch zu, der Kunde, den ich betreue, ist europaweit vertreten, und wir machen Werbematerial in deutsch, englisch, italienisch, spanisch, holländisch und französisch. Was ich hier noch nicht gebraucht habe, ist Japanisch. Der Geschäftsführer ist Japaner, aber außer Guten Morgen und Auf Wiedersehen haben wir nicht viel zu besprechen. Der Chef meines Chefs ist auch Japaner, aber bis jetzt nicht da. Und die drei andern japanischen Kollegen arbeiten an komplett anderen Projekten. Der Kunde ist japanisch, aber seine Marketing-Mitarbeiter sind alles Deutsche.
Macht aber gar nix, bin mit den anderen Sprachen genug beschäftigt. Das Japanische wird dann schon irgendwann wieder kommen.

Fazit: insgesamt hab ich's sehr gut getroffen, die Kollegen könnten etwas zugänglicher, aber kaum netter sein, und die Arbeit ist spannend, anspruchsvoll aber (noch) nicht überfordernd, und entspricht vor allem in großen Teilen meiner Ausbildung. Hätte es besser kommen können? Kaum. :)


Samstag, 16. Oktober 2004
Jetzt habe ich mein Tagebuch aber wirklich lange vernachlässigt. Zu meiner Verteidigung schildere ich am besten einfach mal einen typischen Tag im Büro in den letzten zwei Wochen:

9:00
Ich betrete das Büro. War gestern bis 20h hier, Meeting mit Kunden. Habe Bettina ½ Std. im Restaurant warten lassen. Dumm, dass sie kein Handy hat.
Erstmal Kaffee holen. Auf dem Weg von der Küche in mein Büro ruft mir Gabi, unsere Rezeptionistin, hinterher: Tanja, kannst du bitte [hier beliebigen Kundennamen einsetzen] zurückrufen?
Ich rühre meinen Kaffee um, während ich die Nummer wähle. Bei der Hälfte der ca. 20 wichtigsten Ansprechpartner beim Kunden kenne ich die Durchwahl schon auswendig.
Während ich mit dem Kunden telefoniere, höre ich, dass jemand auf der zweiten Leitung anruft. Ich beende das Gespräch so schnell es geht und nehme das nächste an. Wie schon beim ersten handelt es sich um eine Frage zu einem Projekt, mit dem ich bis jetzt nichts zu tun hatte. Aber da mein Chef im Urlaub ist, muss ich jetzt wohl oder übel auch solche Fragen beantworten. Ich versuche es mit dem Satz, den ich seit Tagen immer wieder wiederhole: Ich werde versuchen, es rauszufinden. Die Leute denken wahrscheinlich schon, sie sprechen mit einem Tonband, wenn sie mit mir telefonieren. Ich lege auf und überlege, wen ich fragen kann. Mein Chef ist nicht da. Sein Chef, ein Japaner, ist zwar schrecklich nett und fast immer verfügbar, aber vom Tagesgeschäft hat er ebenso wenig Ahnung wie ich von Gehirnchirurgie. Unser Productioner, also der Mensch, der sich um den Druck und die Auslieferung sämtlicher Werbematerialien, die wir so erstellen, kümmert, ist Freiberufler, und die nächsten zwei Wochen für uns nicht zu erreichen. (Nicht weil er nicht so nett wäre, auch in den ‚ungebuchten' Zeiten für Fragen zur Verfügung zu stehen, sondern weil er ebenfalls im Urlaub ist.) Unser Kreativdirektor, der mir wenigstens die eine oder andere inhaltliche Frage beantworten könnte, war zwei Wochen schwer krank und ist über aktuell laufende Sachen bestenfalls rudimentär informiert. Ich könnte bei unserem Stamm-Lithographen nachfragen, der ist zumindest über einen Teil der Projekte recht gut im Bilde, aber er ist - tada! - im Urlaub. Und die Grafikerin, die für das umfangreichste Projekt, das ich betreue, verantwortlich ist, kommt erst im Dezember wieder, weil sie ebenfalls Freiberuflerin ist. Sie könnte ich anrufen, aber das nützt nix, weil sie die Sachen ja sehen muss, um sie zu beurteilen.
Während ich fieberhaft nachdenke, wo ich die gewünschten Infos herbekomme, klingelt das Telefon. Ich gehe ran. Ein Kunde. Mit einer Frage. Ich werd's rausfinden. Sage ich, während das Display einen zweiten Anruf anzeigt.
Ich laufe mit meiner Liste von Fragen durch die Firma, mehr oder weniger erfolgreich. Zurück an meinem Platz finde ich eine Telefonnotiz (bitte [hier beliebigen Kundennamen einsetzen] dringend zurückrufen!), eine Ausdruck einer Broschüre, den ich freigeben soll, ohne recht zu wissen, worauf ich achten soll, und vier CDs mit Druckdaten, die geprüft und dann an alle möglichen Stellen verschickt werden sollen. Wenn ich nur wüsste wohin. Irgendwo auf dem Server gab's da eine Verteilerliste...
Während ich den Server durchsuche, klingelt das Telefon. Frau Fuß, nehmen Sie mal die Englische Kamerabroschüre zur Hand. Auf Seite 24. Sehen Sie's?
Ich sehe eine Seite, die ich ungefähr 20 mal in Französisch und Holländisch korrekturgelesen habe. Englisch und Deutsch ist schon gedruckt worden, bevor ich da war. Ich überfliege den Text. Sehe nix. Jedenfalls keine Fehler. Der Kunde belehrt mich, dass die Abbildung der Kamera total verrutscht sei, so dass die Beschriftungen der Knöpfe samt Erklärungen der entsprechenden Funktionen auf die völlig falschen Knöpfe hinweisen. Jetzt seh ich's auch. Sch...
Während ich Litho und Druckerei durchtelefoniere, um rauszufinden, wo der Fehler entstanden ist, und was ich tun muss, um die Broschüre möglichst schnell neu gedruckt zu bekommen, läuft Gabi vorbei und legt mir einen Telefonnotiz hin (bitte [hier beliebigen Kundennamen einsetzen] dringend zurückrufen!).
Während ich mit dem Kunden telefoniere, überfliege ich meine Emails. Bitte schicken Sie uns ein hochauflösendes Bild der Uhr aus dem letzten Sommerkatalog. Was kostet es, wenn wir das Poster von der letzten Messe noch dreimal nachdrucken? Könnten Sie mir für das neue Budget Kostenvoranschläge für sämtliche Katalogerstellungen machen? Bitte noch diese Woche. Wann werden die restlichen Displays geliefert? (Ich weiß nichtmal, was mit Displays überhaupt gemeint ist! Und für welches Produkt?)
Ich telefoniere mich durch die Liste der Druckereien und anderen Zulieferer, in der Hoffnung, dass dort jemand mehr weiß als ich. Nebenbei winke ich dem Sandwich-Mann, der täglich im Büro vorbeikommt und belegte Semmeln (pardon: Schrippen) verkauft. Per Zeichensprache kaufe ich ihm eine Käsesemmel ab, die zusammen mit der Banane, die ich eigentlich als Frühstück mitgebracht hatte, mein Mittagessen sein wird.
Immerhin nehme ich mir Mittags eine Viertelstunde Zeit, meine Email zu checken und online Zeitung zu lesen, während ich an meinem Schreibtisch esse.
Noch bevor ich die Brösel richtig weggewischt habe, kommt Gabi mit einem Angebot eines Fernsehstudios für eine Videoproduktion in der Hand zurück. Mino (mein japanischer Chef lässt sich von allen mit der Abkürzung seines Vornamens Minoru anreden!) hat sie gebeten, ein Angebot für den Kunden zu schreiben, aber da das normalerweise nicht ihr job ist, weiß sie nur annähernd, wie das geht. Ich weiß es auch nicht richtig. Aber ich muss es eh lernen, also her damit. Ich frage Mino, worum's bei dem Video überhaupt geht. Er weiss es auch nicht so genau. Unser Kreativdirektor ist ebenso uninformiert. Also auf die lange Liste der ungeklärten Fragen damit.
13:00
Von eins bis zwei hat mein Chef ‚office hour'. D.h. ich darf ihn in der Toscana anrufen, und ihm Fragen stellen, während im Hintergrund das Meer rauscht und seine Töchter quieken.
Meistens sagt er, kann das nicht warten, bis ich wieder da bin? Aber vieles kann eben nicht warten. Also versuchen wir die Dinge so gut es geht am Telefon zu managen.
16:30
Zum ersten Mal am Tag ist das Telefon für eine halbe Stunde still. Ich versuche die lange lange Liste von heute Vormittag abzuarbeiten, Infos zu sammeln und weiterzugeben, Datenversand und Broschüren-Anlieferungen zu koordinieren, Kostenvoranschläge zu erstellen, ohne irgendwas wichtiges auszulassen oder zu vergessen. Und habe dabei das Gefühl, ständig nur unbefriedigende Antworten zu geben und die Leute zu vertrösten.
Nicht dass nicht jeder schrecklich nett zu mir wäre. Sogar die Kunden zeigen Verständnis und machen gelegentlich sogar ermutigende oder gar lobende Kommentare. Und alle Kollegen unterstützen mich, wo sie nur können. Das dumme ist halt nur dass keiner da ist, der mich richtig unterstützen kann, weil alle, die über meine Sachen Bescheid wissen, im Urlaub sind.
18:20
Ob die Bebis schon arg Hunger haben? Aber ich kann noch nicht gehen, morgen ist eine wichtige Präsentation beim Kunden, und ich muss noch ein paar Charts vorbereiten. Und die 1,5 Überstunden, die ich heute gemacht habe, sind eigentlich für eine Werbeagentur noch nicht so besonders viel. Eine Freundin von Bettina, die auch in einer Agentur arbeitet, kommt regelmäßig erst nach 20h aus dem Büro raus. Also dankbar sein, Augen zu und weitermachen.
19:00
Nichts geht mehr. Ich versuche, noch schnell den Text der Vertriebsbroschüre durchzulesen, damit ich morgen früh gleich die Korrekturen in die Reinzeichnung geben kann. Aber die Konzentration ist futsch. Also gehe ich heim. Glaube ich. Kann mich nicht so recht erinnern, wo das ist. Aber der Bus wird mich schon hinbringen. Wenn ich woanders lande, ist das auch fast egal, weil ich vom Abendessen eh fast nix mitkriege, und dann sowieso auf dem Sofa noch vor der ersten Werbepause des 20:15-Films einschlafe. Hauptsache Leo ist da. Auch wenn der ebenso erschlagen ist wie ich.
Immerhin besteht Anlass zur Hoffnung: in zwei Wochen ist mein Chef wieder da, und dann kann ich ganz viele Sachen fragen oder gleich ganz an ihn weitergeben. Oder tot umfallen. Oder wenigstens zwei Wochen lang durchschlafen. Oder... gemein sein und Urlaub nehmen. :-)


Dienstag, 26. Oktober 2004
Unheimlich, wie ruhig es auf einmal ist. Die letzten drei Wochen waren unbeschreiblich (auch wenn ich's in meinem letzten Eintrag versucht habe). Soviel Arbeit auf einem Haufen, und so wenige Leute, die sich damit auskennen habe ich in dieser Kombination noch nie erlebt. Aber ich habe es überstanden, und fast alle sind wieder da, und die wichtigen (sprich: arbeitsverursachenden) Leute beim Kunden fliegen einer nach dem anderen nach Japan, d.h. sie sind erst mal aus dem Weg.
Gestern und heute war das Telefon so still, dass ich gegen den Impuls ankämpfen muss, sämtliche Kabel zu überprüfen. Heute morgen waren Email und Internet den halben Tag lang ausgefallen, und das hat sich so gut wie nicht auf die Arbeit ausgewirkt (!!).
Eigentlich sollte ich jetzt, wo der Stress offenbar vorbei ist, postwendend krank werden. Oder zumindest depressiv. Aber das Gegenteil ist der Fall, ich genieße die Erholung, und komme auch langsam über das Tief der letzten Woche hinweg. Da hatte ich ein bisschen die Krise, weil der Stress einfach nicht aufhören wollte, alles mögliche schief gegangen ist, und ich immer noch wegen jeder blöden kleinen Frage ("Brauchen Sie davon noch mal einen Ausdruck?" o.ä.) zu meinem Chef laufen muss. Wahrscheinlich war das einfach die Kombination aus ‚Arbeit-ist-nicht-mein-ganzes-Leben' und ‚Arbeit-nimmt-die-meiste-Zeit-meines-Lebens-ein'. Jetzt hoffe ich auf drei oder vier Stunden mehr Freizeit pro Woche, wenigstens vorübergehend. Dann klappt's auch wieder mit der Motivation.
Bis dahin überbrücke ich die Zeit, indem ich mich tierisch aufs Wochenende freue. 70er Jahre Murder Mystery in Salzburg. Fast alle unsere Münchner wiedersehen! (Auch wenn das ob der zeitgemäßen Kleidung bei dem einen oder anderen schmerzlich werden dürfte. Ich selbst nicht ausgenommen.)
Auch sonst versuchen wir unser bestes, um unser Leben wieder etwas weniger arbeitsorientiert zu gestalten. Auch wenn das bei Leo nicht einfach ist; neben ‚normalen' Institutsdiensten muss er regelmäßig noch Vomitivdienste schieben, und evtl. bald auch noch Alkoholdienste. Zum Teil mehrere gleichzeitig. Egal wie viel Geld das bringt, irgendwann ist das einfach zu viel. Jedenfalls sind wir gerade auf der Suche nach einer Tischrollenspiel-Gruppe - nächste Woche treffen wir ein paar Cthulhu-Spieler, die recht vielversprechend wirken.
Vielleicht sollte ich überhaupt mal vom Rollenspiel berichten, das ist bisher im Tagebuch noch zu kurz gekommen. Aber das hebe ich mir für den nächsten Eintrag auf, sonst vergraule ich am Ende noch Leser mit meinen endlos-Einträgen.
Zum Abschluss statt dessen noch ein bisschen Gemeckere:
Montagsdemos sind echt nervig. Genauso wie jede andere Form von Demos, Feiern, Bladenights und Promotionsveranstaltungen. Die passieren alle in der Innenstadt, sprich direkt unter meinem Bürofenster. Nicht nur, dass der Lärm die Konzentration stört. Die Menschenmassen und Polizeiabsperrungen halten auch die Kuriere auf, von deren rechtzeitiger Lieferung wir so abhängig sind. (Weil die Druckunterlagen morgen raus müssen, vorher aber noch vom Kunden freigegeben, und nebenbei ganz schnell noch auf Drucktauglichkeit überprüft werden sollen, etc.etc.) Und nicht zuletzt kommt der Bus nicht durch, der mich nach Feierabend doch so schnell wie möglich nach Hause bringen soll! Demos go home! Kann man nicht eine neue Form des Demonstrierens einführen? Das geht doch sicher auch per Internet.



Montag, 8. November 2004
In der Arbeit herrscht nach wie vor Flaute. Alle Kunden sind gerade irgendwo in Japan, oder im Urlaub, und es gibt nix zu tun. Das geht jetzt schon über eine Woche so, und langsam wird's echt langweilig. Ich habe meine Ablage erledigt, sowie die meiner Vorgänger, habe sämtliche alten Präsentationen, die ich auf dem Server gefunden habe, studiert, zig-mal kontrolliert, ob bei den laufenden Projekten alle Termine eingehalten werden, und meinen Chef des öfteren darauf hingewiesen, dass ich arbeitslos bin. Jetzt sitze ich halt rum und warte drauf, dass irgendwas passiert...
Das ist dann meistens abends der Fall, so zwischen 17 und 18h, und dann in der Regel so dringend, dass es heute noch erledigt werden muss. D.h. ich habe den ganzen Tag nichts zu tun, mache aber trotzdem meistens Überstunden.
Im Prinzip habe ich mir die Pause ja hart verdient. Aber irgendwie fühlt sich das trotzdem blöd an. Man kommt sich richtig nutzlos vor, und das ist sehr unbefriedigend. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Zustände sich bald wieder ändern, aber blöd ist es doch.
Vor allem, wenn ich dran denke, wie Leo schuften muss. Seinem Chef fallen täglich neue Gebiete ein, auf denen sich das Institut für Rechtsmedizin hervortun könnte. Dummerweise steht dieser Ideenreichtum in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur Anzahl der Mitarbeiter, sprich: immer mehr Ideen, und immer weniger Mitarbeiter, die sie ausführen können. Vorübergehend mal zusätzliche Aufgaben oder Dienste zu übernehmen, ist ja schön und gut, aber wenn das auf Dauer so geht, ohne die Perspektive auf Änderung...
Erschwerend kommt hinzu, dass es der Zeitmangel einfach ziemlich schwierig macht, neue Leute kennenzulernen. Zum Glück haben wir den Kontakt zu den Hamburger Vampire-Spielern, sonst würden wir wahrscheinlich gar nicht mehr rauskommen. (Notiz an mich selbst: öfters mit Britta Treffen wie letzten Samstag ausmachen, das macht einfach unheimlich Spaß - nicht nur, weil die einen urgemütlichen Kamin haben). Und ab nächste Woche fangen wir mal versuchsweise eine Cthulhu-Tabletop Runde an.
Trotzdem - wir vermissen unsere Münchner schon sehr. Das viel zu kurze Wiedersehen auf dem 70er Murder Mystery hat uns das wieder mal schmerzlich bewusst gemacht. Vier Tage mit euch (fast) allen zusammen zu sein, und dann gleich wieder weg zu müssen, war schon ziemlich hart.
Dafür war das Rollenspielen an sich einfach gigantisch. So viel Vorbereitung, so viel Atmosphäre, so viel Action und Drama und Rätsel und Grusel und Spannung... und hab ich schon die vielen netten Leute erwähnt? Einfach unbeschreiblich. Nochmal ein ganz dickes Lob an alle Organisatoren und an alle Mitspieler. Das war ein Event, von dem man noch seinen Enkeln erzählen wird (wenn man will, dass sie nächtelang nicht schlafen können).


Freitag, 19. November 2004
Heute muss ich mal was philosophisches loswerden.
Zitat eines Vortrags zum Thema Modetrends und Konsumverhalten: "Was fehlt ist Orientierung und Vertrauen. Deshalb werde Filtermechanismen wie Empfehlungen wichtiger. Bei dem japanischen Elektronikhändler RanKingRanQueen können sich beispielsweise die Kunden au einem Display im Schaufenster angucken, was die TopSelling-Produkte sind. Man kann sich also an den Vorlieben anderer orientieren. Wertvoll ist das, was von vielen Menschen als wertvoll betrachtet wird." Durch Marken, so der Vortrag weiter, erwerbe man vor allem Anschlussfähigkeit an eine soziale Gruppe (bzw. neudeutsch Community).
Jetzt finde ich ja Mode prinzipiell was sehr lustiges. Andauernd sieht man in den Schaufenstern, im Bus, im Büro neue Klamotten, hat regelmäßig guten Grund, weniger glückliche Mitbürger per Altkleidersammlung mit Anziehsachen zu versorgen, und immer eine gute Ausrede, sich grottenschlecht anzuziehen (ist halt grad in).
Und natürlich bin ich prinzipiell ein Anhänger von Demokratie.
Warum also erschreckt mich der Satz "Wertvoll ist das, was von vielen Menschen als wertvoll betrachtet wird" so?
Wenn ich zurückdenke, hatte ich schon immer ein (un-?)gesundes Misstrauen gegen alles, was jeder mag. Als Kind wollte ich nie nach Italien fahren und habe keinen darum beneidet, der mit Begeisterung davon sprach. Als Teenager konnte ich nicht verstehen, warum jeder unbedingt nach USA wollte. (Nicht, dass es nicht genug Gründe gäbe, sich dieses sicherlich interessante und wunderschöne Land mal anzuschauen.) Ich kann Kevin Kostner ebenso wenig leiden wie Richard Gere, und ich finde, Mel Gibson hat die Ausstrahlung eines Buchhalters. Von Tom Hanks will ich gar nicht reden (Leo sagt, ich werde dann immer unfair ;)).
Trotzdem bin ich kein erklärter Non-Konformist. In der Schule wollte ich immer so sein wie alle anderen (auch wenn die Zugehörigkeit zur angesagten In-Clique mir relativ egal war), ich habe kein Problem damit, jemanden zu treffen, der das gleiche Kleidungsstück trägt wie ich (kommt häufiger vor, wenn man in der Hamburger Innenstadt arbeitet und die Mittagspause zum Shoppen nutzt), und ich pflege sicherlich keinen besonders extravaganten Lebensstil.
Was also ist an dem Satz oben so gruselig?
Vielleicht der Umkehrschluss. Was nicht von vielen Menschen als wertvoll betrachtet wird, ist wertlos. Absatztechnisch gesprochen sicherlich richtig. Und wenn man keine ‚wertvollen' Marken erwirbt, ist man selbst nicht wertvoll. Nicht anschlussfähig. (Hätte das mal jemand zur Wendezeit den Politikern erzählt...)
Ich sehe ein, dass ich nichts in einem Sex-and-the-City-Fanclub verloren habe, wenn ich nicht auf Prada-Schuhe stehe. Aber identifiziere ich die Leute, mit denen ich zusammensein möchte, wirklich darüber, was sie kaufen? Bin ich so unsicher, dass ich ein leicht erkennbares Markenlogo brauche, anstatt auf mein Bauchgefühl zu hören, wenn ich eine Person beurteilen will? Brauche ich von anderen Personen vielleicht nicht mehr, als das, was ich auf den ersten Blick sehen kann? Was mich glücklich macht, mir Freundschaft und Geborgenheit vermittelt, ist nicht die Vertrautheit mit den Personen an sich, sondern die Vertrautheit mit den ewiggleichen Logos, Verpackungen, und Corporate-Identity-bestimmten Farbskalen. Oder weiß ich so wenig, was ich mir von anderen wünsche, dass Marken-Nutzung als Auswahlkriterium für Zugehörigkeit - Freundschaft herhalten muss?
Haben wir's mit dem Individualismus zu weit getrieben? Jeder ist so unterschiedlich von allen anderen, dass er außen kleine Schildchen anheften muss, die es erlauben, ihn irgendwo einzuordnen und zu bewerten?
So, jetzt hab ich mich in eine Ecke geschrieben, wo ich erstens die Welt gar nicht mehr verstehe, und zweitens nicht mehr durchblicke, worauf ich eigentlich hinaus will.
Vielleicht nur darauf, dass ich für die Welt der Werbung, die sich ja drauf verlässt, dass die Leute Marken wollen/brauchen/kaufen, nicht gemacht bin. Die Arbeit macht Spaß und ist interessant. Nur der Sinn für das Fortkommen der Menschheit fehlt ein bisschen. Obwohl... sie ernährt mich, und vielleicht bin ich ja irgendwie wertvoll für die Menschheit? Ich geb's zu, manchmal trage ich auch Markenklamotten... ;-)


Samstag, 29. Januar 2005
Streeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeesssssss!
Oh Mann, so viel Arbeit spottet jeder Beschreibung. Seit Jahresanfang geht's im Büro zu, dass ich die Leute in "24" um ihren ruhigen Tagesablauf beneide.
Ende Februar, pünktlich zur Messe, sind jede Menge Liefertermine, alles muss gleichzeitig fertig sein, und zwar bitteschön früher und in höherer Auflage als geplant, dafür in mehreren Varianten unter Berücksichtigung aller noch so spät kommunizierten Sonderwünsche... Noch dazu ist der Chef-Produktdesigner aus Japan im Januar hier, und will wissen, was im Markt so los ist und wie seine Produkte ankommen. D.h. parallel zu allem führen wir zusätzlich eine mittelgroße Marktstudie durch, und ich darf sowohl organisatorisch als auch dolmetscherisch tätig sein. Wobei mein Chef - typisch Japaner - alles bis ins kleinste kontrollieren will (gerade, dass er nicht die Ergebnisse auch noch vorher festlegt), d.h. ich verwende auch noch immens viel Zeit darauf, ihm Infos zu liefern und sinnlose Fragen weiterzugeben...
Mit dem Resultat, dass ich selten vor 20h aus dem Büro komme. Was man gut an dieser extrem vernachlässigten Homepage sehen kann. Ich habe abends nicht mal mehr die Energie, den Computer auch nur einzuschalten. Wie Leo so ein Arbeitspensum auf Dauer aushält, kann ich mir nicht vorstellen.
Immerhin, am Freitag war Abschlusspräsentation der Marktforschung, d.h. da muss ich jetzt nur noch die Übersetzung organisieren und ein paar kleinere Nachwehen durchstehen. Und ich hab sogar ein dickes Lob für meine dolmetscherische Leistung bekommen. Was ich ausnahmsweise glaube, wirklich verdient zu haben; war nicht ganz einfach, 10 Teenager, die über Modetrends diskutieren, synchron ins Japanische zu übersetzen, und das jeweils 5h am Stück bis 9h abends. Insofern bin ich schon ein bisschen stolz auf mich und vor allem heilfroh, dass das vorbei ist. J
Also, ich hoffe, ein Ende ist absehbar. Meine Kollegin und ich träumen schon von einem Leben nach der Inhorgenta, auch wenn wir's beide noch nicht ganz glauben können...


Sonntag, 6. Februar 2005
Puh. Ich schaff's nicht mal am Sonntag, einen kurzen Tagebucheintrag zuende zu schreiben (siehe oben). Naja, vielleicht klappt's heute besser.
Die Arbeit ist nach wie vor ziemlich anstrengend, aber es gibt inzwischen immerhin Tage, an denen ich vor 19h heimkomme, und das ist ja schon wirklich Luxus.
Außerdem hatten wir diese Woche tatsächlich mal die Energie, auf Möbelsuche zu gehen, und haben uns endlich für ein Bettgestell entschieden. D.h. Anfang März werdet ihr hier ein neues Foto von unserem Schlafzimmer finden. Bis dahin schlafen wir schon mal Matratze und Lattenrost ein, die glücklicherweise schon letzte Woche geliefert worden sind (nachdem wir sie Anfang Januar bestellt hatten). Also kann es für unsere arbeitsgeplagten Rücken nur besser werden.

Jetzt bin ich etwas in Verlegenheit, was ich eigentlich schreiben soll. Bei uns passiert zur Zeit echt nicht viel, außer Arbeit. Andererseits hab ich schon so lange nichts mehr geschrieben, dass auch ältere Infos wohl Neuigkeiten sind. %-}
Also, es gibt tatsächlich Dinge, die wir tun, wenn wir nicht arbeiten. Z.B. Rollenspielen. In der Hamburger Vampirgesellschaft sind wir mittlerweile fest integriert. Das Spiel hier ist ein bisschen anders als in München: es gibt nicht jede Woche einen neuen Prinzen, und die Mittel, mit denen Politik gemacht wird, sind allgemein etwas subtiler (sprich: weniger gewalttätig). Aber auch hier kann man selbst als nicht-Malk und selbst im Angesicht ziemlich ernster Bedrohungen herrlich skurile Gespräche führen. ("Erhält man ein in der Luft rotierendes Perpetuum Mobile, wenn man einer Katze ein Butterbrot auf den Rücken bindet und sie fallen lässt, weil per definitionem die Katze immer auf die Füße und das Butterbrot immer aufs Gesicht fällt...?")
Wobei unsere Katzen der lebende Gegenbeweis sind. Die bringen es fertig, im Liegen vom Sofa zu fallen.
Mu sitzt übrigens gerade auf meinem Schoß und tapst ab und zu auf die Tastatur, also bitte Rechtschreibfehler auf ihr Konto rechnen.
Ansonsten spielen wir seit einiger Zeit mit ein paar Leuten Cthulhu, was ziemlich spaßig ist. Die meisten der Spieler kommen von der DSA-Seite, und haben insofern eine wesentlich pragmatischere (oder sollte ich sagen konstruktivere ;-)) Herangehensweise an den Cthulhu-Wahnsinn, der uns so begegnet, als z.B. unsere alte Münchner Gruppe. Dafür treiben Leos und mein Charakter sie regelmäßig in den Wahnsinn, was zumindest für uns sehr spaßig ist. ;-)

Für Februar hat Anke ihren Besuch angekündigt, worauf wir uns schon sehr freuen. Ryanair sei dank kann sie billig nach Lübeck fliegen, von da aus mit dem Bus zu uns düsen und ein Wochenende lang mit uns Hamburg unsicher machen.
Danach bin ich ein Wochenende in München, wobei ich wahrscheinlich ein oder zwei Tage auf die Messe muss, aber immerhin, den Flug zahlt die Firma, und da kann man schon mal was für tun.
Und dann hat sich Michael angekündigt, der jetzt wieder öfters hier im Norden zu tun hat, d.h. er wird uns wohl auch bald besuchen. Juhu!
Trotz all der Besuche vermissen wir München schon sehr. Vielleicht schaffen wir's ja wieder mal zu einem Rollenspiel, oder, wenn bei mir in der Arbeit nicht mehr so viel los ist, mal wieder etwas länger, so wie an Weihnachten...

Weihnachten in München war einfach klasse: wir haben es geschafft, fast alle Leute zu sehen, sind von Brunch zu Abendessen zu Brunch zu Party gedüst, und haben uns trotz straffem Terminplan und fieser Erkältung so richtig wohlgefühlt und erholt. Es war einfach so gut wie perfekt: Rollenspielen wie in alten Zeiten, Silvester feiern mit lauter lieben Leuten, Puderzuckerschnee, Familienfeiern, stundenlanges Frühstücken in netter Gesellschaft mit den seltsamsten Zutaten (Chili-Marmelade, mit Sardellen gefüllte Oliven, Weißwürste und der Nutalla-Salami-Klassiker in allen möglichen Varianten), und endlich mal wieder mit allen Münchnern zusammensein... Es gibt nur eins: wir müssen das bald wiederholen.
Sogar die Bebis haben die Fahrt hin und zurück recht gut verkraftet, und fanden es bei meinen Eltern ziemlich spannend. So viele Ecken und Höhlen (=Schränke), in die man reinkrabbeln und alles durcheinanderbringen kann, Regale, auf die man raufklettern und dabei alles runterwerfen kann, und dann die riesengroßen Fenster zum Garten, mit Vögeln und Katzen und lauter anderen beweglichen, spannenden, erschreckenden Sachen...
Aber das ist schon wieder ganz lang her, der Alltag hat uns wieder, und langsam aber sicher werden wir assimiliert. Es kommt mir schon gar nicht mehr komisch vor, Guten Tag statt Grüß Gott und Tschüß statt Wiedersehen zu sagen, ich muss nicht mehr über den norddeutschen Akzent meiner Kollegen lachen, und gucke auf der Wetterkarte im Fernsehen nicht mehr automatisch ganz nach unten, sondern ganz nach oben. Sogar Labskaus haben wir ohne Schwierigkeiten als essbar akzeptiert. Trotzdem spiele ich mit dem Gedanken, meinen Einstand mit einem Weißwurstfrühstück für die Kollegen zu feiern. Letzte Woche wurde nämlich mein Vertrag verlängert, d.h. ich bin jetzt auf unbestimmte Zeit fest angestellt. Mein Chef meinte, er ist so zufrieden mit mir, dass er mich gerne klonen würde. Das ist echt toll bei meiner Arbeit: die Leute sagen einem tatsächlich, wenn sie denken, man hat was gut gemacht. Ich kann gar nicht sagen, wie motivierend das ist. Dafür verzichte ich gerne auf einen Teil des Gehalts, das ich in München bekommen habe. Und das, obwohl ich wesentlich mehr arbeite. Ein gutes Betriebsklima ist einfach unbezahlbar.

So, mit diesem Wort zum Sonntag schließe ich erst mal wieder, und hoffe, dass ich in nächster Zeit öfters zum Schreiben Zeit habe. Ganbarimasu!

Sonntag, 6.März 2005
In Hamburg herrscht tiefster Winter.
Nicht nur, dass es relativ kalt ist, es liegt auch richtiger, echter Schnee. Und am Wochenende war's auch noch sonnig. Man könnte fast meinen, man ist in München. Andererseits war ich ja gerade erst dort, und kann nur sagen, hier ist es doch irgendwie ganz anders.
Außerdem, so hübsch es auch ist, ist das Wetter doch dafür verantwortlich, dass wir kein Auto mehr haben. An dem Wochenende, an dem ich völlig sinnlos in München auf der Messe rumhing (wenn ich nicht wenigstens Tinka + Wompfie und Michael getroffen hätte, hätte ich mich so tierisch über diese echt verschwendetet Geschäftsreise geärgert), war Leo am Samstag Abend in Marburg zum Rollenspielen. Sonntag früh ist er zurückgefahren, und auf der A7 kurz vor Hannover (für alle Münchner: das ist so was wie die A9 kurz vor Allershausen, wo auch immer die Unfälle passieren) auf eine vereiste Stelle geraten. Und mit über 100 kmh in die Leitplanke gefahren. Ohne dass die blöden Airbags aufgegangen wären. Und irgendwie, durch welches Wunder auch immer, völlig ohne jeden Kratzer geblieben. Obwohl das Auto erst mal auf der linken Spur stehengeblieben ist, ist keiner in ihn reingefahren und auch sonst ist nichts passiert. Den Notarzt, den ein paar hilfreiche Leute sofort gerufen haben, hat er gleich wieder weggeschickt. Nur das Auto ist wohl nicht mehr zu retten, und steht jetzt irgendwo bei Hildesheim bei einem Abschleppdienst, wo es auf den Versicherungsgutachter wartet. Ich bin froh, dass ich es nicht zu sehen gekriegt habe; wenn ich mir den Unfall nur vorstelle, wird mir jedesmal schlecht bei dem Gedanken, was Leo alles hätte passieren können... Danke, Schutzengel.

D.h. wir sind jetzt erst mal unmotorisiert, was aber innerhalb Hamburgs kaum auffällt. Man kommt fast überallhin mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Der einzig merkliche Unterschied ist die Zeit, die wir sparen, weil wir nicht mehr stundenlang auf der Suche nach einem Parkplatz um den Block kurven.
Allerdings sind öffentliche Verkehrsmittel halt auch manchmal recht unangenehm. Z.B. gestern nacht, als wir von einem Vampire-Spiel nach hause gefahren sind. Der Spielort liegt in keiner allzu guten Gegend, was uns bisher kaum aufgefallen war, aber nachts um 2 in der U-Bahn merkt man's halt dann doch...
Außer uns war nur noch ein anderes Pärchen im Abteil, als ein Haufen ziemlich betrunkener Jungs einstieg. Die fingen auch gleich an rumzupöbeln, vor allem einer von ihnen, der gut 2m groß und wirklich hackedicht war. Zuerst setzte er sich beinahe auf den Mann drauf, dann setzte er sich neben die Frau und fing an, sie anzutatschen. Wahrscheinlich nicht, um sie wirklich zu belästigen, sondern mehr weil er sonst das Gleichgewicht nicht hätte halten können. Aber das war mir völlig egal, bei solchen körperlichen Übergriffen gehen bei mir alle Lichter aus und ich verspüre das akute Bedürfnis, denjenigen zu verprügeln. Möglichst mit bloßen Händen.
Der Freund des Mädchens war keine große Hilfe, mehr als samt Freundin aufstehen und Abstand gewinnen fiel ihm nicht ein. Kann man ihm nicht wirkl8ich verdenken, der Mann war ungefähr zwei Köpfe größer als er. Aber ich finde, er hätte sich wenigstens dazwischen stellen können. Dem Großen fiel es nämlich gar nicht ein aufzuhören oder einen in irgendeiner Weise akzeptablen Abstand zu der Frau zu halten.
Also griff Leo ein und machte den Typen darauf aufmerksam, dass die Frau in Ruhe gelassen werden wollte, was der natürlich nicht so ohne weiteres einsah. Schließlich ließ er dann aber doch von dem Pärchen ab, die sich an der nächsten Haltestelle in einen anderen Wagen flüchteten, und uns mit der Gruppe Jungs allein ließen. So konnte sich der Große voll auf Leo konzentrieren.
Ich war mittlerweile so weit, dass ich mich ohne nachzudenken auf ihn gestürzt hätte. Glücklicherweise habe ich mich aber doch mit allen Fingernägeln in die Sitzbank gekrallt und kein Wort gesagt. Statt dessen hat Leo den Typen absolut souverän dazu gebracht, sich soweit zu entspannen, dass die ganze Gruppe zum Schluss um uns rum saßen und uns von ihrem Tennisverein erzählten und wir alle gute Kumpels waren. (Sprich, ich hab mir auf die Zunge gebissen und weiter die Hände in den Sitz gekrallt, um nicht zu explodieren, und Leo hat dem Großen erzählt, wie imposant und einschüchternd er auf das Mädchen gewirkt haben muss, und dass es ganz klar war, dass die nix blickt und Panik bekommt...)
Ich kann's immer noch nicht fassen, wie man so geistesgegenwärtig und souverän und gelassen reagieren kann. Und bin endlos stolz auf Leo. :-)

Hier folgt noch ein kleiner Beitrag, den Mu geschrieben hat, die auf meinem Schoß liegt und die Wärme des Laptops genießt:

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Sonntag, 13. März 2005
So ein schönes ruhiges Wochenende. Michael ist zu Besuch, und wir hängen nur faul rum und ratschen, essen, trinken, rauchen Wasserpfeife, gucken Video und spielen Computerspiele. Ok, wir sind auch ausgegangen und haben Leute getroffen, aber hauptsächlich waren wir faul. Und das tut echt gut. Auch wenn Leo Kotzdienst hat, und wir uns nicht weiter als 15 min. vom Krankenhaus entfernen können. Was u.a. unsere Faulheit unterstützt - so Sachen wie ins Kino gehen sind einfach nicht möglich.
Trotzdem, das Wochenende ist einfach herrlich entspannend, ich hoffe bloß, dass MIB sich nicht allzu vernachlässigt fühlt. Er scheint Erholung genauso nötig zu haben wie wir. Ab Montag ist er wieder in Oldenburg, Leo muss wieder Vollzeit mal 180% arbeiten, und ich darf Krisenmanagement betreiben, weil mein japanischer Chef gerade einen unserer Lieferanten vergrault hat...
Uh! Hoffentlich ist bald wieder Wochenende.
Immerhin gibt's eine gute Nachricht: die Versicherung hat schon bezahlt, und sogar in etwa so viel, wie ich erwartet hatte. Jetzt müssen wir noch das Auto entsorgen - buhu! - und dann schleunigst drüber nachdenken, was wir uns als nächstes kaufen. Puh, eine Art von einkaufen, die selbst mir ein bisschen zu anstrengend ist. Andererseits... wenn man ein Auto hat, hat man zumindest theoretisch die Möglichkeit, mal übers Wochenende spontan wegzufahren...
Ich will Urlaub!


Montag, 21. März 2005
Frühling! Hier herrscht strahlender Sonnenschein, und das schon fast drei Tage am Stück. Das Stimmungsbarometer steigt, auch wenn es in der Arbeit gelegentliche Dämpfer gibt. Leo hat an Ostern Dienst, und auch ich werde zumindest Karfreitag wohl in der Arbeit verbringen. Das nervt natürlich, aber wir werden's überleben. Beim Autokauf zeichnet sich eine nicht rein vernunftgesteuerte Entscheidung ab, sprich ich habe mich mal wieder in ein Auto verguckt, anstatt brav Testberichte zu studieren. Was ich zwar momentan nachhole, aber wenn man erstmal ein Modell favorisiert, dienen die Dinger ja nur dazu, den Kaufwunsch zu bestätigen... Mal sehen, was die Probefahrt bringt. Und vielleicht hat Leo ja einen mäßigenden Einfluss und holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück. ;)
Letztes Wochenende hatten wir einen netten Abend mit hervorragendem Essen mit Bettina und ihrem kleinen Bruder, der hier gerade Praktikum macht. Vier Bayern in Hamburg. Und am Vormittag haben Bettina und ich die Mönkebergstraße (Hamburgs Kaufingerstraße) unsicher (wenn auch nicht viel reicher) gemacht. Fast wie in alten Studienzeiten...
Ostern werden wir wohl mangels Freizeit und fahrbarem Untersatz hauptsächlich zu hause verbringen. Aber wenn das Wetter so bleibt, fällt uns bestimmt das eine oder andere ein, damit wir mal wieder aus dem Haus kommen.
Hmpf. Dieser ganze Tagebucheintrag ist so dermaßen uninspiriert, dass ich lieber die Klappe halte. Es braucht eben doch nicht nur Zeit zum Schreiben, sondern auch Inspiration. Der geneigte Leser möge mir meine Einfallslosigkeit verzeihen, hoffentlich die Geduld nicht verlieren und gelegentlich wieder hier vorbeischauen, wenn die Muse(n) mir wieder gewogener sind.


Samstag, 26. März 2005
Vor drei Wochen waren wir genau ein Jahr hier. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Wie lang mir das schon scheint. Wie weit weg unser Leben in München schon ist.
Eigentlich wäre das Jubiläum wohl traditionell ein Anlass, Bilanz zu ziehen. Aber zur Zeit ist alles so anstrengend, dass ich das lieber auf einen Zeitpunkt verschiebe, wo ich etwas entspannter bin. Außerdem habe ich eh zu tun. Gestern habe ich über vier Stunden in der Arbeit verbracht. (Für alle Münchner: Karfreitag ist auch hier ein Feiertag, wenn man nicht dummerweise einen Arbeitgeber wie Leos oder meinen hat.) Auf vier Stunden konnte ich den Aufenthalt im Büro nur begrenzen, weil ich mir Arbeit mit nach Hause genommen habe (und es geschafft habe zu gehen, als mein japanischer Chef gerade ankam, was ihn nicht davon abhielt, mir gleich noch mehr Arbeit mitzugeben). Wenigstens hat Leo auch Dienst. D.h. wenn ich mich ranhalte, kann ich die Präsentation, die ich bis Montag (Münchner: auch das ist hier eigentlich ein Feiertag) vorbereiten muss, in der Zeit fertigmachen, in der er in der Arbeit ist.
Wenn diese Präsentation vorbei ist, wird alles besser. Ganz sicher. Ich weiß, ich habe das schon im Februar vor der Messe gesagt. Aber vielleicht wird's ja diesmal wahr...
Immerhin ist es letzte Woche so richtig frühlingshaft geworden. Die Vögel singen, sogar noch nach Einbruch der Dunkelheit, und bis Donnerstag war's richtig warm und sonnig. Aber das Hamburger Wetter ist offenbar gut informiert und weiß, dass zu viel UV-Strahlen schädlich für die Haut sind. Deswegen hat es pünktlich zum Wochenende eine schützende Wolkendecke aufgelegt, und es Freitag aus reiner Sympathie mit allen Leuten, die arbeiten mussten, kräftig regnen lassen.
Da war's dann auch gar nicht so schlimm, dass Leos Fahrrad neulich endgültig kaputtgegangen ist. Wer will bei so einem Wetter schon mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Und wir können's uns ja auch leisten, ein neues zu kaufen, am besten farblich passend zum Auto, das wir sicher irgendwann kaufen werden, wenn wir mal Zeit zum Informieren und Probefahren haben. Und dann gleich noch passend zur Waschmaschine, die gestern den Geist aufgegeben hat. Wenigstens müssen wir nur eines dieser drei Teile in den vierten Stock rauftragen.
Kann es sein, dass ich etwas frustriert rüberkomme?
War wohl tatsächlich besser, die Jahresbilanz zu verschieben.
Und statt eines Rückblicks noch einen Ausblick einzufügen: morgen versuchen wir uns vorübergehend einen fahrbaren Untersatz zu besorgen und fahren irgendwo ins Blaue. Vielleicht ans Meer oder in die Lüneburger Heide. Oder einfach nur so, bis es uns irgendwo gefällt. Kein Dienst, keine Präsentation, und - tada - laut Wettervorhersage zwar keine Sonne, aber immerhin auch kein Regen. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: alles wird besser.


Sonntag, 1. Mai 2005
Heute sind Leo und ich fünf Jahre zusammen. Unglaublich, dass seit diesem Abend mit Rollenspiel und Freunden und Kino und schüchternem Händchenhalten und einem laaaaaaangen langen Kuss schon so viel Zeit vergangen sein soll.
Unglaublich, was seither schon alles passiert ist.
Wenn mir vor fünf Jahren jemand erzählt hätte, wie ich diesen Tag verbringen würde...
Das gemütliche Frühstück inklusive wunderschöner Rosen und einer Orchidee hätte ich ohne weiteres geglaubt. Vielleicht sogar noch das ausführliche Schmusen mit den Katzen. Beim Verlauf des weiteren Vormittags wäre ich schon misstrauisch geworden: Leo trotz Erkältung in der Arbeit, und ich, vom Putzteufel besessen, zu hause. Nachmittags wieder glaubwürdiger: Kuchen backen und einen Teil noch ofenwarm zusammen verputzen. Danach einfach zu surreal, um es zu glauben: Wir machen uns auf den Weg zu einem Straßenfest, aber weil Leo Dienst hat, muss er vorher noch mal im Institut vorbei. Ich begleite ihn und schaue bei der Arbeit zu, bis mir der Geruch zu unangenehm wird. An den Anblick habe ich mich mittlerweile ziemlich gewöhnt. Ich warte draußen in der Sonne, bis Leo fertig ist, und wir gehen zusammen Essen.
Habe ich mir mein Leben jemals so vorgestellt? Ganz bestimmt nicht. Andererseits... Vielleicht hätte ich doch auch damals schon etwas mehr geglaubt, als ich oben geschrieben habe. Irgendwie schien damals alles möglich zu sein... Und wenn mein Leben jemals genauso ist, wie ich es mir fünf Jahre vorher vorgestellt habe, läuft sowieso irgendwas falsch. J

Freitag, 22. Juli 2005
Freitag Abend, 19:32. Ich sitze in der Arbeit und warte darauf, dass ich nach Hause gehen kann. Eigentlich genieße ich die Ruhe, so still sind Telefon, Email und Chef sonst nicht. Es gäbe zwar noch genug, was ich erledigen könnte, während ich darauf warte, dass ein Datentransfer abgeschlossen ist. Aber nach 12,5 Stunden Arbeit (nicht Anwesenheit, sondern durchgängig konzentrationsintensive Arbeit) hab ich erstaunlicherweise keine Lust mehr. OK, ich hatte immerhin 20 min. Mittagspause, das ist schon mehr als gewöhnlich. Außerdem bin ich auch noch zum Essen eingeladen worden, also ziehe ich vorsichtshalber lieber 30 min. ab. Bleiben 12h Arbeit. Nach einer Woche mit durchschnittlich 10-11h täglich, Mittagspause mit Fertiggericht vor dem Bildschirm.
Entsprechend lange habe ich gebraucht, die Neuigkeit, die mir mein (netter deutscher) Chef beim Mittagessen im Stehimbiss mitteilte, geistig zu verarbeiten. Für meine Kollegin, Ende Mai entlassen, wird es keine Nachfolgerin geben.
Das bedeutet für mich, dass das 1,5-Mitarbeiter-Arbeitspensum, dass ich seit Juni erfülle, sich in näherer Zukunft nicht verringern wird. Da wir kürzlich einen neuen Kunden hinzugewonnen haben, wird eher noch mehr Arbeit dazukommen.
Das bedeutet für mich, dass ich den job nicht mehr machen kann. Schade, es hat Spaß gemacht, ich hatte mich gerade richtig eingelebt, und glaube auch, dass ich in dem, was ich tue, recht gut bin, was ein sehr befriedigendes Gefühl ist. Aber für meine körperliche und geistige Gesundheit kann das nicht mehr lange so weitergehen, sonst breche ich zusammen.
Ich merke schon, dass ich mich nicht mehr wirklich gegen alberne Alltags-Paranoia wehren kann. Neulich bin ich zu meinem (*%/$§%/&! japanischen) Chef gegangen, und habe ihm gesagt, dass ich leider das neue Projekt, das er mir aufgedrückt hat, unmöglich in dem Timing schaffen kann, das er verlangt. Das veranlasste ihn zu der Aussage, er sei frustriert von meiner Arbeitseinstellung. (Das bin ich auch, aber ich glaube, wir denken da in unterschiedliche Richtungen.) Jetzt kommt die Aussage, dass es keine neue Kollegin geben wird. Ist das seine Art mir zu sagen, dass er am längeren Hebel sitzt?
Normalerweise würde ich über diesen Gedanken lachen, und ihn sofort wieder vergessen. Aber ich ertappe mich dabei, wie ich nachts wachliege und ernsthaft über solche Dinge nachgrüble.
Aber vielleicht ist das auch kein Wunder - wenn man unter einem Schwachsinnigen arbeitet, wird man wahrscheinlich selber irgendwann unzurechnungsfähig.
Im Folgenden möchte ich einige Beispiele anführen, die beweisen, dass er und nicht ich völlig bescheuert ist. Der Datentransfer ist erst zur Hälfte fertig, d.h. ich habe noch genug Zeit.

Trauerspiel japanischer Chef - Szene 1
Wir führen eine Konsumentenbefragung für unseren Kunden durch. Dazu arbeiten wir zum ersten Mal mit einem externen Dienstleister zusammen, der sich auf so was spezialisiert hat. Zur Abstimmung schicken uns die einen Befragungs-Leitfaden (d.h. eine Liste von Fragen, die sie den Konsumenten stellen). Da drin steht: Konsumenten bekommen die Produkte vorgelegt und sollen auf einem Blatt vermerken, was ihnen daran gefällt und was nicht.
Mein Chef streicht diesen Satz dreimal rot und einmal blau an, und fragt mich, wie das denn konkret aussieht. Ich kenne ihn schon ein bisschen, und hüte mich deswegen, bloße Vermutungen zu äußern. Statt dessen biete ich an, bei dem Moderator der Befragung anzurufen und nachzfragen.
Der Moderator sagt mir wie erwartet, dass die Produkte auf einem Tablett angeordnet werden, mit Nummern versehen, und dass jeder Befragte einen Zettel bekommt, auf dem links steht: "Das gefällt mir" und rechts "Das gefällt mir nicht".
Ich laufe zurück zu Chef und berichte.
Er: Davon brauchen wir aber schon vorab noch ein Muster.
Ich: Von den Produkten? Die kommen doch vom Kunden.
Er: Nein, von dem Blatt.


Trauerspiel japanischer Chef - Szene 2
Wir führen für den Kunden ein großes Außenwerbungs-Projekt durch. In mehreren Großstädten wird auf großen speziell angefertigten Plakatflächen geworben (wer will, kann sich das ganze anschauen. Münchner finden das Plakat in der Weinstr. zwischen Odeons- und Marienplatz, Hambuger in der Spitalerstr. gegenüber vom Hauptbahnhof). Es gibt zwei Varianten, einmal groß, einmal klein. Für jede Stadt haben wir vom Hersteller ein gesondertes Angebot bekommen, das alle Leistungen beinhaltet.
Der Kunde fragt, ob er Teile erst später bezahlen kann. Der Hersteller sagt, das kostet mehr weil Paketpreis. Ich bitte um ein schriftliches Angebot, wie viel mehr es kostet. Der Lieferant schickt ein Fax, in dem jeweils der alte sowie der neue Preis für eine große und eine kleine Ausführung steht.
Der Kunde hat ungefähr 100 verschiedene Dokumente, in denen er nachschauen kann, in welchen Städten große und in welchen kleine Plakate stehen, alles übersichtlich aufbereitet und auf einen Blick zu erkennen.
Ich lege das Angebot dem Chef vor, weil ich alles, was ich nach Japan schicke, grundsätzlich checken lassen muss.
Er: Wieso ist das kein richtiges Angebot, der Kunde wollte doch ein Angebot, kein Fax.
Ich: Das ist ein Angebot. Da steht's: Leistung, Paketpreis, gesonderter Preis. Ist in Deutschland rechtlich als verbindliches Angebot gültig.
Er: Das sieht nicht so aus wie die alten Angebote.
Ich: Ja. Die alten Angebote waren jeweils mehrere Leistungen für eine Stadt. Hier geht es um eine einzelne Leistung, die für alle Städte die gleiche ist. Der einzige Unterschied ist die Größe.
Er: Das geht nicht. Der Kunde wird das nicht verstehen.
Ich: Der Kunde weiß, wo große und wo kleine Plakate stehen.
Er: Das kann ich nicht akzeptieren. Ruf den Hersteller an, der soll ein neues Angebot schicken.
Ich: Der Hersteller liegt mit Nierenkolik im Bett. Seine Sekretärin hat das Angebot gemacht, und sie hat das nur hingekriegt, weil sie ihn zu Hause angerufen hat. Muss das wirklich noch mal sein?
Er: Natürlich.
Ich rufe die Sekretärin an. Entschuldige mich tausend mal. Mache eine mentale Notiz, dass ich eine Gute-Besserungs-Karte schreiben muss.
Die Sekretärin schreibt in das Angebotsfax die Städte, die ich ihr anhand der Liste, die dem Kunden vorliegt, diktiere, und schickt es mir noch mal. Ich lege das Fax wieder Chef vor.
Er: Ok, jetzt stehen die Städte drin. Ich hoffe, der Kunde kann das akzeptieren, obwohl es kein richtiges Angebot ist.
Ich: Gnnnnnfffjaichauch.
Er: Hm. Ob der Kunde daran jetzt erkennen kann, wie sich die neuen von den alten Preisen unterscheiden?
Ich: Oh ja. Da steht's, jeweils in der selben Zeile: Paketpreis XXX, gesonderter Preis YYY. Ich habe auch schon die Übersetzung danebengeschrieben. Außerdem habe ich noch eine Excel-Tabelle erstellt, wo ich auch noch die Differenz ausgerechnet habe. Die lege ich dazu. Kann ich das dann rausschicken?
Er: Leg besser noch Kopien der alten Angebote dazu. Und vergiss nicht, die Stellen anzustreichen, wo der Preis steht. Ich will das ganze dann noch mal sehen, bevor du's rausschickst.


Trauerspiel japanischer Chef - Szene 3
Einer der Produktdesigner des Kunden ist für ein paar Wochen aus Tokyo nach Deutschland gekommen, um den europäischen Markt kennenzulernen. Wir haben für ihn in Zusammenarbeit mit einem Marktforschungsunternehmen eine Konsumentenbefragung durchgeführt (nicht die in Szene 1 erwähnte). Mit diesem Unternehmen haben wir schon oft zusammengearbeitet, Kunde und wir waren immer zufrieden. Die kennen auch mittlerweile genaustens unsere Bedürfnisse. Als die Ergebnisse vorliegen, möchte der Designer diese seinen europäischen Kollegen inkl. Geschäftsführung (natürlich Japaner) vorstellen. Also treffen wir uns zwecks Präsentationsvorbereitung mit dem Kunden und dem Marktforschungsunternehmen. Letzteres hat die Präsentation wie immer äußerst professionell, gut verständlich und überhaupt perfekt vorbereitet. Trotzdem brauchen wir, nicht zuletzt sprachbedingt, geschlagene 5 Stunden, um alles durchzusprechen. Vor allem mein Chef hat viele Änderungswünsche. Bei den meisten geht es um die Reihenfolge der Folien.
Nach dem Ende des Meetings sitzen wir mit dem MaFo-Unternehmen noch eine halbe Stunde ohne Kunden in deren Besprechungsraum, um weitere Details zu besprechen.
Schließlich scheinen wir zum Ende zu kommen. Ich brenne darauf, ins Büro zurückzukommen, um endlich meine Arbeit erledigen können; mein (privates!) Handy zeigt 3 Anrufe in Abwesenheit aus dem Büro.
Chef: Gut. Ein erfolgreiches Meeting. Wir treffen uns dann morgen nachmittag bei uns im Büro.
Ich + MaFo: Häh?
Ich: Ähm, die Präsentation ist übermorgen, hier beim Kunden.
Chef: Ja, aber ich habe gerade beschlossen, dass wir uns morgen nochmal treffen. Schließlich gibt es ja noch einige Änderungen. Das müssen wir uns anschauen.
Ich: Tut mir leid, aber das geht nicht. Ich habe heute schon sehr viel Zeit verloren [ich weiss, es war ein Fehler, das zu sagen, aber meine Selbstbeherrschung war bis dahin so gut wie aufgebraucht]; ich kann morgen nicht nochmal...
Er: Wann kannst du denn?
Ich: Nächsten Monat.
Chef: Dann treffen wir uns eben morgen Abend. Ist 20h ok?
MaFo: Hmm, das ist schlecht. Die Präsentation ist übermorgen, und wenn dann noch Änderungen sind, und ich die Unterlagen noch 20mal ausdrucken muss, dann schaffe ich das nicht rechtzeitig.
Chef (an mich gerichtet): Also?
Ich (resigniert): Wie wär's mit 16h?
Nächster Tag. Ich sitze schuftend am Schreibtisch, Chef betreibt management by walking around, sprich, er hat nichts zu tun.
Er: Wie läuft's? Alles in Ordnung?
Ich: Sehr viel zu tun. Ich hoffe, wir schaffen das mit der Besprechung der Präsentation recht schnell, ich habe wahnsinnig viel zu tun. Meinen Sie, wir schaffen das in 15 Minuten oder so?
Er: Ich glaube nicht. Was ist denn das Problem?
Ich überlege kurz, ob ich ihm den Status jedes einzelnen meiner ca. 20 Projekte darlegen oder nur den allgemeinen Status (=verspätet) zusammenfassen soll.
Ich: Das Problem ist, dass momentan die heisse Produktionsphase ist. Wir haben viele Daten zu spät bekommen. Andererseits sind ein paar Deadlines vorverlegt worden. Und ein paar Sachen sind einfach schiefgegangen.
Er: Warum?
Ich: Weil zu viel Arbeit da ist. Ich habe einfach keine Zeit, mir Dinge genau durchzulesen; mit manchen Sachen werde ich nicht rechtzeitig fertig. Ich habe nicht genug Zeit.
Er: This is not an excuse.
Nachmittags, kurz vor 16h. MaFo kommt etwas früher. Chef ist noch im Meeting. Ich ergreife meine Chance, setze mich mit MaFo zusammen und kontrolliere, ob alle Änderungen richtig gemacht worden sind. Natürlich sind sie. Nach 10 min. haben wir 57 von 60 Seiten durchgesprochen.
Chef kommt aus dem Meeting, ich berichte ihm stolz, dass wir schon fast fertig sind und alles perfekt ist.
Er: Ok. Setzen wir uns in den Konferenzraum.
Er beginnt, die Präsentation durchzublättern. Fährt mit dem Finger jede Zeile nach, während er sie liest. Der Kugelschreiber in meinen Händen biegt sich langsam durch. Ich bewundere die Geduld von MaFo, habe aber nicht mehr den Wunsch, mich zu beherrschen. Eine sehr leise Stimme in meinem Hinterkopf fleht mich an, mich nicht unglücklich zu machen.
Chef ändert erneut die Reihenfolge einiger Folien. Wünscht sich nicht nur Deckblätter vor den einzelnen Hauptabschnitten, sondern auch vor den Unterabschnitten der Gliederung. Als er alles durchgeschaut hat, kehr er zur Gliederung zurück.
Chef: Ich glaube, Sie sollten das durchnummerieren.
MaFo: Ja, klar, kein Problem.
Chef schreibt Nummern von 1 bis 6 vor die Gliederungspunkte. Man kann ja nie wissen, ob diese Gaijins so weit zählen können.
Dann meditiert er erneut über der Gliederung. Ich spiele mit dem abgebrochenen Griff meines Kugelschreibers und beobachte die Sekundenanzeige auf meiner Uhr.
Mittlerweile ist fast eine Stunde vergangen.
Chef: Vielleicht sollten wir die Nummerierung doch nochmal ändern. Meinen Sie nicht, dass man Punkt 2-4 auch als Unterpunkte von Punkt 1 sehen könnte.
MaFo: Hmm, ja, wenn Sie meinen. Kann man so oder so sehen. Aber natürlich mache ich das gerne.
Chef streicht 1-6 durch und schreibt neue Zahlen neben die Gliederungspunkte.
Plötzlich schaut er mit direkt an und sagt: Das ist alles sehr wichtig, findest du nicht?
Die leise Stimme in meinem Hinterkopf hält gespannt den Atem an.
Wenn er wüßte, wie ich auf diese Frage gewartet habe. Wenn er wüßte, wie sehr ich darauf brenne, ihm zu sagen, wie extrem und ultimativ unwichtig das ist, was er da tut. Dass die Präsentation beim ersten Mal schon wunderbar klar und verständlich war. Dass der Kunde, auch wenn einige seiner Landsleute darunter sind, nicht völlig unfähig ist, einfach dargestellte Zusammenhänge zu verstehen, egal, ob sie mit 1-6 oder mit A-F oder gar nicht durchnumeriert sind.
Ich hole tief Luft, weiche seinem Blick aus und murmle: Ja, sicher.
Die Stimme der Vernunft dankt mir überschwenglich, weil ich instinktiv eine weitere Stunde Diskussion von uns abgewendet habe.

Wenn man das so liest, klingt das ja eigentlich eher absurd-lustig. Ist es auch. Aber wenn man bedenkt, dass ich seit Monaten arbeite, als wäre die Sklaverei nie abgeschafft worden, unter extremem Termin- und Kostendruck, mit der zusätzlich erschwerenden Bedingung, dass beim Kunden auch noch eine Mitarbeiterin fehlt, und sich keiner mit ihrer Arbeit auskennt, und immer mit dem wenn-das-schiefgeht-verlieren-wir-den-Kunden-Gespenst im Nacken... dann ist Lachen tatsächlich die einzige Verzweiflungsmaßnahme, die noch wirkt. Insofern hoffe ich, dass der geneigte Leser sich beim Lesen ebenso amüsiert hat wie ich beim Schreiben. Es ist wirklich absurd. Und auch wenn es mich in den Wahnsinn treibt - ich habe abends immer was zu erzählen, was sich kein Geschichtenerzähler der Welt würde auszudenken wagen, wenn er glaubwürdig sein will. Life is stranger than fiction.


August 2005

Nachtrag: Kurz nach dem letzten Eintrag spielten sich die zwei folgenden Szenen im Büro ab.

Das Büro meines japanischen Chefs ist direkt neben meinem. Sein Telefon klingelte. Man hörte ihn von der Rezeption aus loslaufen, um noch rechtzeitig rangehen zu können, bevor der Anrufer - sicher wahnsinnig wichtig - auflegte. Dann hörte man deutlich, wie er vor seiner Bürotür ins Schliddern geriet, den Halt verlor und sich voll auf die Nase legte. Normalerweise, bei jedem anderen Menschen, egal wem, wäre ich sofort aufgestanden um nachzuschauen, ob was schlimmes passiert ist. Aber ich konnte mich nicht dazu bringen, etwas anderes zu tun als an meinem Schreibtisch zu sitzen und breit zu grinsen.
Einen Tag später stand ich an der Rezeption und unterhielt mich mit unseren zwei Sekretärinnen. Wir kamen auf den Japaner zu sprechen, und ich fragte wo er sei - in der Firma machen sich alle drüber lustig, dass er, der große Chef, meistens erst gegen 10 h kommt, um dann Zeitung zu lesen, zwei Stunden Mittagspause zu machen, nachmittags sinnlos durch die Firma zu stolzieren, um dann nach weiterem Zeitunglesen um halb 4 zum Sprachkurs zu verschwinden. Nicht so heute, er war gegen 10 h da gewesen, dann aber schon eine Stunde später wieder verschwunden. Die Sekretärin informierte mich, dass er nach hause gegangen sei, weil er krank sei. Einen Moment lang sahen wir drei uns schweigend an, um dann alle gleichzeitig "Oh wie schaaaade" zu rufen. Ich wünsche echt niemandem, dass er krank ist, aber in diesem Fall macht mein Gewissen mittlerweile eine Ausnahmen. Das mag schlecht fürs Karma sein, aber ich kann nicht dagegen an. Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit japanischen Vorgesetzten.


Sonntag, 6. November 2005

Vielleicht sollte ich das hier nicht Tagebuch, sondern Monatsbuch nennen, oder gleich Jahreszeitenbuch. Häufiger klappt das zur Zeit mit den Updates nicht. Aber ich versuch's einfach weiter, und bitte den geneigten Leser um Geduld.
Um bei den Jahreszeiten zu bleiben: der Herbst ist dieses Jahr in Hamburg einfach sensationell schön. Wir sind immer noch nahe an der 20 Grad Marke, und die Sonne scheint und scheint und scheint... Vielleicht sollten wir uns tatsächlich ernsthaft nach einer Wohnung mit Balkon umschauen.
Letztes Wochenende haben wir einen spontanen Ausflug in die Lüneburger Heide gemacht. Die Landschaft dort ist wirklich sehenswert, klassischer Wald wechselt sich ab mit herb-wilder Heidelandschaft voller Wachholderstbäume, Sandboden mit bemoster, pilzübersäter, duftender Walderde, es gibt, für uns Neuhamburger schon ungewohnt, sanfte Hügel von über 100 m Höhe. Überall stößt man auf Findlinge aus irgendwelchen Eiszeiten, deren Anzahl nur noch von der der Pferdekutschen übertroffen wird, die fußlahme Touristen durch die Heide karren.
Insgesamt sind wir ca. vier Stunden durch die Heide gewandert, unterbrochen von einem Besuch im Heidemuseum (= rekonstruiertes Bauernhaus von anno dazumal) und einer österreichischen Jause (= alle Zutaten bis auf den Matjes-Hering auf einem Österreich-Markt in Hamburg erstanden) auf dem höchsten Punkt der Umgebung. In jeder Hinsicht ein gelungener Urlaub, mit einer Ausnahme: wir haben keine Fotos gemacht. D.h. wir müssen wieder hin. :)

Und weil ich gar so lange nichts geschrieben habe, kommt hier ein kurzes Update:
Wir beide haben nach wie vor viel Arbeit, Leo zur Zeit mit viel Diensten und äußerst unsicherer Gesamtsituation. Sein Vertrag ist bis Ende des Jahres verlängert, allerdings sind die Hamburger Krankenhäuser aus dem Tarifvertrag ausgestiegen, d.h. die Konditionen für die Angestellten haben sich verschlechtert. Was das finanziell bedeutet, muss sich erst noch rausstellen, aber eine Verbesserung wird's kaum werden. Immerhin gab's kürzlich mal einen Warnstreik mit Demonstration - vielleicht bringt das ja was.
Immerhin hat er von seinem Chef die Zusicherung, dass der ihn weiterhin behalten will. Mehr als Halbjahresverträge gibt's aber auch weiterhin nicht.
Ich werde seit drei oder vier Wochen von meinem Japaner völlig in Ruhe gelassen. Wir wechseln kaum ein Wort miteinander, und wenn er was von mir will dann nur einfache Dinge wie Kopien oder Ausdrucke von irgendwelchen alten Präsentationen. Ich habe den Verdacht, dass eine Kollegin, die etwas temperamentvoller ist als ich, ihm mal die Meinung gesagt hat, und dass dabei mein Name im Zusammenhang mit Aussagen wie "die sucht sich sicher bald was anderes" gefallen ist. Andere Gerüchte besagen, dass er vielleicht bald nach Japan zurückbeordert wäre.
Wie auch immer, ich finde die Situation sehr angenehm. So kann ich mich auf meine Arbeit konzentrieren. Und in letzter Zeit war es tatsächlich vergleichsweise ruhig. Die neue Saison beginnt erst in zwei oder drei Wochen, bis dahin kann ich noch ein bisschen durchatmen.
Den Kätzchen geht's relativ gut, bis auf die Tatsache, dass Mu eine Futtermittelallergie hat. Mit Spezialfutter vom Tierarzt haben wir das mittlerweile einigermaßen im Griff, aber lästig ist's halt doch. Armes Bebi!
Der nächste Urlaub ist auch schon geplant: Weihnachten geht's zwei Wochen nach München, mit Katz und Kegel. Und da wird nur und ausschließlich ausgespannt!


2006

Sonntag, 19. Februar 2006

In unserem Tiefkühlfach befinden sich ein Putenbrustfilet, eine Packung Rahmspinat, und zwei kleine Stücke gegrillter Katze. Auf die näheren Umstände möchte ich nicht eingehen. Unseren eigenen Bebis geht's gut.

Soviel zum Alltag unserer Küchengeräte. Unser eigener ist ähnlich absurd, aber vielleicht nicht ganz so überraschend.
Seit meinem letzten Eintrag hat sich mein Arbeitsalltag rapide verschlimmert. Schon Ende November war das Arbeitsaufkommen kaum noch zu ertragen, geschweige denn zu bewältigen. Der Stress wurde immer schlimmer, die Arbeit war allein nicht mehr zu schaffen, der Kunde verlegte Deadlines nach vorne, rückte aber dafür mit wichtigen Informationen nicht raus, die zur Einhaltung selbiger Deadlines essentiell gewesen wären, dafür bildete sich unsere Kreativabteilung ein, Diva spielen zu können (alles von nicht mehr miteinander sprechen über langjährige Lieferanten rausmobben bis zu "sprich mich heute bitte nicht an, ich bin eigentlich gar nicht da"). Das Management interessierte sich dafür nicht, ich saß ja dazwischen und bekam alles ab. Wenn ich über Weihnachten nicht Urlaub bekommen hätte, wären wahrscheinlich einige Kollegen kurzfristig zu Leos Kunden geworden.
Nach Weihnachten ging's - schwer zu glauben, geschweige denn glaubhaft zu beschreiben - noch schlimmer weiter. Nach zwei Tagen war ich wieder soweit, dass ich nachts nicht mehr schlafen konnte und nicht mehr weiter wußte. Am dritten Tag schrieb ich eine Email ans Management - meiner Meinung nach relativ unemotional, sie enthielt nur die Info, dass über 50% meiner Projekte verspätet seien, weil ich die Arbeit nicht mehr bewältige, und die Frage, was ich offiziell zum Kunden sagen soll, wenn er sich über die Verspätung beschwert - ging nach Hause und legte mich mit (ehrlicher) Grippe für die nächsten drei Tage ins Bett.In der Zwischenzeit wurde die Email jedem in der Firma, der sich nicht wehrte, vorgelegt, alle wurden um Rat gefragt. Nur mit mir sprach keiner drüber, als ich wieder im Büro war. Ausser meinem direkten Chef, der mich bat, sowas in Zukunft nicht mehr zu machen: "Wie stehen wir denn vor dem Management da?" Ich will ja jetzt echt nicht meckern, aber in meiner Email stand genau das drin, was er auch schon immer gesagt hat. Wenn er zu feige ist, das dem Management zu sagen, braucht er sich nicht wundern, dass er keinen neuen Mitarbeiter bekommt.
Nach diesem Ausbremser war's für mich vorbei. Seither mache ich mehr oder weniger Dienst nach Vorschrift, eine volle Stunde Mittagspause, nie mehr als eine halbe Stunde nach Feierabend im Büro bleiben. Das ist sehr blöd für manche Kollegen und Lieferanten, die sich jetzt noch mehr reinhängen müssen, und die ich eigentlich nicht im Stich lassen möchte. Aber irgendwann geht's einfach nicht mehr. Dabei bin ich noch nicht mal am schlimmsten dran, einige meiner Kollegen werden noch wesentlich schlimmer verheizt.
Doch genug der Beschwerden, es gibt auch Positives zu berichten. Um beim beruflichen zu bleiben: Vor Weihnachten habe ich mich auf eine Stelle beworben, die für mich gemacht worden zu sein scheint. Für die Stellenanzeige klingt, als wäre sie aus meinem Lebenslauf abgeschrieben. Die Firma macht Solaranlagen, boomt wie verrückt und ist nur 10 Min. weiter weg als mein Noch-Arbeitgeber. Und ich kenne auch noch jemanden, der dort arbeitet. Vor gut einer Woche kam endlich die Einladung
zum Bewerbungsgespräch. Hab extra einen Tag Urlaub dafür genommen, mich richtig vorbereitet, den Jahresbericht auswendig gelernt, mich in mein bestes Kostüm geworfen (oder eher gezwängt - seufz), und mich dann auf dem Weg dorthin sowas von völlig verlaufen, dass ich ein gutes Stück zu spät und ob des berühmten Hamburger Wetters klatschnass dort angekommen bin. Hätte mich nicht gewundert, wenn die mich sofort wieder weggeschickt hätten. Haben sie aber nicht, und ich war, vielleicht angesichts der sowieso schon völlig verkorksten Situation, im Gespräch so ruhig und souverän, dass ich das Zuspätkommen offenbar tatsächlich wieder wettgemacht habe. Nächsten Freitag ist das zweite Gespräch.
So, jetzt sitzt Kodama auf meinem Schoß. D.h. ich kann nur noch mit einer Hand schreiben. Bitte entsprechend langsamer lesen.
Naja, jedenfalls hoffe ich, dass die sich nach dem zweiten Gespräch recht schnell entscheiden, dann kann ich noch im Februar kündigen.
Dummerweise habe ich eine Kündigungsfrist von 3 Monaten. Mal sehen, ob ich da irgendwie rauskomme, legal ist diese lange Frist wohl, und ich wage zu bezweifeln, dass mich mein Arbeitgeber bei unserer derzeitigen Personalsituation mit Begeisterung früher gehen lassen wird... Mal sehen.
Leo ist momentan in der gegenteiligen Situation: sein Vertrag läuft über volle zwei Monate. Allerdings versucht sein Chef gerade, einen längerfristigen Vertrag für ihn rauszuschlagen - ganze 10 Monate, der längste Vertrag den er bisher hatte. Aber selbst wenn dadraus nichts wird, behalten wollen sie ihn auf jeden Fall. Fraglich ist noch, wie sich der Ausstieg der Hamburger Krankenhäuser aus dem Tarifvertrag auswirken wird. Weniger Gehalt, dafür weniger Urlaubstage, wird voraussichtlich das Resultat sein. Vielleicht sollte er auch mal streiken, aber für die 40-h-Woche...
Aber auch hier gibt's wieder Positives: Ich bitte darum, Leo ab sofort nur noch mit Herr Dr. B. und mit höchster Ehrfurcht anzusprechen. Alle Prüfungen sind (magna cum laude) bestanden, alle Formalitäten sind (magna cum Aufwand) erledigt, und die Urkunde (komplett in Latein) konnte die Uni München sogar per Post hierher ins nichtbayrische Ausland schicken. Also, bitte magna cum Ehrfurcht.

So, und jetzt kommt zum Abschluss noch die allerbeste Nachricht, die ich mir extra bis zum Ende dieses Eintrags aufgehoben habe: Mein Bruder ist Vater geworden. Am 16.2. ist Marlin Oliver in Portrush (Nordirland) mit zwei Wochen Verspätung (ob zu spät kommen bei uns in der Familie liegt?) auf die Welt gekommen. Eltern, Kind, Großeltern und Tante sind wohlauf, und der Kleine ist extrem niedlich, verfressen (beides liegt auch in der Familie ;-)) und sehr Fortschritts-förderlich. Motiviert von seiner nahenden Geburt habe ich es tatsächlich geschafft, unsere beiden Computer hier zu vernetzen, eine Webcam sowie diverse PC/Mac/Video-taugliche Chatprogramme zu installieren. Ob das Baby irgendwie von der Software-Industrie gesponsort wird? Wenn nicht sollte man schleunigst drüber nachdenken.
Jedenfalls bin ich jetzt stolze Tante, und ihr werdet in nächster Zeit sicherlich einiges an Schwärmereien von mir ertragen müssen. Damit ihr's besser nachvollziehen könnt, gibt's hier ein Foto von dem Kleinen. Herzig, oder? Ausserdem gibt's unter Neuigkeiten Fotos von unseren Dänemarkurlaub (letztes Jahr im Juni!!!) und neue Bebi-Fotos.

Samstag, 25. Februar 2006

Gestern war das zweite Vorstellungsgespräch bei meinem Wunsch-Arbeitgeber. Diesmal war ich pünktlich, hab mich viel zu früh aus dem Büro geschlichen, und dann eine halbe Stunde im Empfangsbereich des sehr eindrucksvollen Gebäudes rumgedrückt, in dem die Firma ihren Sitz hat. Das Gespräch lief ziemlich gut, die Marketing-Leiterin wirkt zwar recht kühl und tough, aber ich denke, ich konnte sie einigermaßen überzeugen. Meine potentielle direkte Chefin wirkt sehr nett, sehr energiegeladen, aber auch bodenständig und nicht zickig oder verkünstelt und schon gar nicht divenhaft, wie so einige Leute, mit denen ich momentan zusammenarbeiten muss. Die Firmenphilosophie, was die Einstellung des Managements gegenüber den Mitarbeitern angeht, scheint auch sehr angenehm zu sein, man wird gefördert wo's nur geht, und dafür gibt's offizielle Prozeduren und Verfahren, so dass das ganze nicht nur Theorie bleibt. Gehaltstechnisch sieht's leider nicht so gut aus, ich würde gerade mal 20 EUR brutto mehr verdienen als bei der Agentur. Wär auch zu schön gewesen... Aber ums Geld geht's mir ja gar nicht. Das Aufgabengebiet klingt super-interessant, ich wäre dafür zuständig, div. Auslandsniederlassung bei allen Marketingaufgaben zu unterstützen. Das geht von der Anpassung der bestehenden Broschüren, Anzeigen etc. auf landesspezifische Gegebenheiten über die Erstellung von Marketing Plänen in Zusammenarbeit mit den Niederlassungsleitern bis zur Organisation von Messen und Events vor Ort. Leider bringt das wohl sehr viel Arbeit mit sich, d.h. viel mehr Freizeit als momentan werde ich wohl nicht haben. Dafür ist das Klima hoffentlich besser, und der Druck nicht ganz so hoch.
Es gibt offenbar noch mindestens einen weiteren Kandidaten, der es in die zweite Runde geschafft hatte. Die Entscheidung soll noch innerhalb des Februars, sprich bis nächsten Dienstag fallen. Es bleibt spannend!


Freitag, 03. Mrz. 2006

Ich bin ein Held.
Jedenfalls denken das meine Kollegen. Um ein (wahrscheinlich nicht besonders altes) Sprichwort abzuwandeln: Heldentum ist das Zusammentreffen von Bereitschaft und Zufall.
Aber ich sollte am Anfang anfangen.
Am Montag Vormittag war eine Email von der Firma, wo ich mich beworben hatte, in meinem Posteingang. Leider konnte ich sie nicht öffnen, so dass ich den ganzen Morgen als nervliches Wrack verbracht habe. Mittags war's dann nicht mehr auszuhalten, ich ging zu einer eingeweihten Kollegin und benutzte ihren Computer, um meine Email abzurufen. Auch nachdem ich sie dreimal durchgelesen hatte, blieb's noch eine Zusage. Danach war's schwierig, nicht die ganze Zeit nur noch dumm zu grinsen.
Vor allem, als wir nachmittags ein großes Meeting hatten, u.a. mit meinem direkten Chef und dem Japaner. Da ging's um ein Briefing für eine neue Kampagne, und nach Meinung des Japaners hatten mein Chef und ich das gründlich verbockt und es war alles unakzeptabel, was wir an Information geliefert hatten.
Erstaunlicherweise hatte mein Chef irgendwann genug, und sagte er hat's satt, immer für alles verantwortlich gemacht zu werden, aber nie Support zu bekommen. Der sagt so was sonst nie, also muss es ihm wirklich arg auf die Nerven gegangen sein. Deswegen dachte ich mir, ich muss ihn auf jeden Fall unterstützen, und schlug in die gleiche Kerbe, indem ich noch mal sagte, dass unsere Arbeitssituation unakzeptabel ist, und dass wir die Arbeit allein nicht schaffen können.
Der Japaner diskutierte eine Weile mit uns rum, dass wir ja nur mehr Umsatz machen bräuchten, dann bekämen wir schon wieder mehr Personal. (Verspricht er uns seit Monaten, aber immer mit so hohen Umsatzvorgaben, dass es unmöglich ist.) Wir hielten dagegen, dass es kaum möglich ist, die bestehenden Projekte zu bewältigen, und dass Akquise gar nicht drin ist.
Da sagt der doch glatt, wenn wir so unglücklich in unserem Job seien, und die Arbeit nicht schaffen, dann sollten wir darüber nachdenken, was wir daraus für persönliche Konsequenzen ziehen sollten.
Ich hab zweimal nachgefragt, was er meint, und er hat die Aussage zweimal so wiederholt.
Ich will ja nicht emotional sein und überreagieren, aber alle am Meeting Beteiligten sind mit mir einer Meinung: der hat gesagt, wenn's uns nicht passt, dann können wir ja gehen.
Soviel zum heroischen Aufeinandertreffen von Bereitschaft und Zufall. Den Rest des Meetings konnte ich nicht mehr aufhören zu lachen, bis der Japaner mich fragte, warum ich denn dauernd lache. Ich meinte nur, dass das alles zum Heulen sei, ich aber Lachen vorziehen würde.

Am nächsten Morgen marschierte ich mit ausgedrucktem Kündigungsschreiben in sein Büro, und sagte ihm, dass ich darüber nachgedacht hätte, was er gestern gesagt hätte, und zu dem Schluss gekommen sei, dass er recht habe. Deswegen würde ich gerne kündigen. Japaner sind ja prinzipiell recht beherrscht und lassen sich ihre Emotionen nicht an der Nasenspitze ansehen. Aber blöd geguckt hat er schon.
Auf Anraten eines schlauen Freundes hin hatte ich in die Kündigung reingeschrieben: "Bezugnehmend auf das gestrige Gespräch, in dem mir Herr K. nahe legte zu kündigen, möchte ich meinen Arbeitsvertrag... usw." Das hat ihn dann völlig aus der Bahn geworfen, er wollte mir nicht mal schriftlich bestätigen, dass er die Kündigung erhalten hat. Außerdem hat er natürlich alles abgestritten. Das habe er gar nicht gesagt, er meinte doch, wir sollen nur an uns arbeiten, und wenn wir uns nur mehr mit der Firma identifizieren würden, dann würde das schon alles klappen.
Das war der Moment, wo mir die Gesichtszüge entgleisten. Man mag mir ja das eine oder andere vorwerfen, aber mangelnde Identifizierung mit der Firma, für die ich mich fast kaputtgearbeitet habe, gehört sicher nicht dazu.
Ich sagte ihm, dass ich das für eine sehr unangemessene und unfaire Aussage halte, und erzählte ihm bei der Gelegenheit gleich noch alles andere, was mich störte. Das allerdings wieder ruhig und unemotional, worauf ich ziemlich stolz bin.
Er meinte dann noch ganz gönnerhaft, dass er es schade fände, dass ich die Firma so früh wieder verlassen würde. Ich hätte noch so viel lernen können, statt dessen müsste er mich jetzt so halbfertig in die Welt entlassen. Was für ein ignorantes Arschloch. Kann's kaum erwarten, ihm von meinem neuen job zu erzählen.
Was ich bis jetzt noch nicht getan habe, um meine Verhandlungsposition zu stärken. Ich möchte früher aus dem Vertrag raus (Kündigungsfrist von 3 Monaten). Wenn die aber merken, dass ich das will, weil ich einen neuen Arbeitgeber habe, der mich früher haben will, bin ich in der Bittstellerposition. Wenn ich aber sage, ich wurde vom Japaner rausgemobbt und sehe mich unter diesen Umständen nicht mehr in der Lage, meine Aufgaben zu erfüllen, lassen sie sich vielleicht eher drauf ein. Ansonsten muss ich noch bis Mitte Mai hier arbeiten, und abgesehen davon, dass mein neuer Arbeitgeber mich so bald wie möglich braucht, habe ich da wirklich keine Lust mehr drauf.
Wie auch immer, ich hab dem Japaner auch gleich einen Vertragsentwurf für einen Aufhebungsvertrag unter die Nase gehalten. Der hat natürlich nicht kapiert, was das ist, und wollte erst mal mit dem Rechtsanwalt checken. Der hat ihm natürlich gesagt, dass er den Vertrag nicht unterschreiben muss, und das war's. Er weigert sich, bzw. schiebt die Verantwortung auf meinen direkten Chef ab. (Der wird sich aber verständlicherweise hüten, zu sagen, dass ich früher gehen kann, weil sonst die ganze Arbeit an ihm hängen bleibt.) Dann brachte der Japaner noch das völlig überzeugende Argument, dass es ja auch bei unserem Headquarter einen besseren Eindruck machen würde, wenn ich bis zum Ende des Vertrages arbeiten würde. Ich meinte, prinzipiell sei es mir immer wichtig, auf alle einen guten Eindruck zu machen, aber was ich mir denn in diesem speziellen Fall von dem guten Eindruck im HQ kaufen könnte? Das brachte nur vage Andeutungen, dass das HQ ja vielleicht dann irgendwann mal seine Dankbarkeit zeigen könnte. Er können nichts versprechen, aber man wisse ja nie. Schon klar. Darauf verlasse ich mich ganz bestimmt, abgesehen davon, dass ich sowieso kein Extra-Geld will. Peinlicher kann man doch nicht mehr werden. Aber was erwarte ich eigentlich von so einem Idioten.
Die Nachricht, dass ich gekündigt hatte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Büro, und nach und nach kam jeder einzelne zu mir ins Büro - um mir zu gratulieren. Obwohl alle denken, ich hätte noch keinen neuen Job, halten sie es alle für das beste, dass ich gekündigt habe, viele sagen sie beneiden mich. Und alle nutzen die Gelegenheit, noch mal übereinander herzuziehen und die Schuld für die ganze Misere unserer Firma von einer Ecke in die andere zu schieben.
Gut dass ich da nicht mehr lange bin.

Meinen neuen Arbeitsvertrag habe ich mittlerweile auch schon bekommen. Die Konditionen sind ganz ok. Was mich stört ist, dass ich wieder eine dreimonatige Kündigungsfrist habe, aber da lassen die nicht mit sich reden. Was noch mehr stört ist, dass ein Teil meines Gehalts leistungsabhängig ist, und das wird erst nach Ende der Probezeit gezahlt. D.h. ich verdiene in den ersten 6 Monaten ca. 200 EUR netto weniger als vorher. Aber verhungern werde ich nicht, und ums Geld geht's mir bei dem Jobwechsel ja auch gar nicht. Trotz dieser kleinen Wermutstropfen freue ich mich schon darauf, dort anzufangen. Wer sich das Gebäude mal anschauen will, findet hier ein paar Fotos. Sieht innen genauso klasse aus wie außen, und liegt auch noch direkt am Wasser. Meine Firma belegt ca. 3 Stockwerke, alles habe ich noch nicht gesehen. Ich glaube, das ist die größte Firma, für die ich bis jetzt gearbeitet habe. Bin schon gespannt, ob man den Unterschied merkt, Dinge besser organisiert sind und alles irgendwie professioneller zugeht. Wahrscheinlich nicht, aber es kann nur besser werden. :-)


Sonntag, 19.Mrz. 2006

Leo und ich sind jetzt genau zwei Jahre und zwei Wochen in Hamburg. Haben wir uns mittlerweile eingelebt? Wir wissen in etwa, wo welches Stadtviertel liegt, haben unsere Lieblingsrestaurants, -bars, -kinos etc., und kennen vor allem inzwischen genug nette Leute, dass es sich lohnt, eine Party zu veranstalten. Also definitiv ja. Fühlen wir uns als Hamburger? Es gibt ein paar kleine, fast unmerkliche Anzeichen, die das suggerieren könnten. Oder ist doch Bier dicker als Wasser?
Ich könnte mich jetzt hinsetzen und ein seriöses, ernstgemeintes Fazit ziehen. Oder aber, ich erzähle euch, wie's
wirklich ist... ;-)


Mittwoch, 29. März 2006

Kurzes Update für alle nicht ortsansässigen Nachrichten-Seher: Die Windhose ist zum Glück im Süden von Hamburg gewesen, d.h. bei uns ist gar nichts passiert, nicht mal der Strom ist ausgefallen. Also kein Grund, sich Sorgen zu machen. Vielen Dank für die Nachfragen!

Freitag, 12. Mai 2006

Gestern gab's gleich zwei Dinge zu feiern. Erstens war Leos Geburtstag. Unsere ‚wir geben im Mai/Juni große Partys'-Tradition ist leider etwas eingeschlafen. Schon aus Zeitmangel. Aber vielleicht kriegen wir's irgendwann im Juni hin, unsere beiden Geburtstage mal so richtig zu feiern, mit vielen Leuten und exzessiven Partyspielen... In der Zwischenzeit haben wir's uns einfach so abends schön gemacht, sind in die Tapas-Bar ums Eck gegangen und haben uns da ganz luxuriös an spanischen Kleinigkeiten sattgegessen. Das Wetter war perfekt zum Draußensitzen, offenbar ist der Winter unter Auslassung des Frühlings direkt in den Sommer übergegangen. Und Kuchen gab's auch, so viel, dass wir die nächsten Tage nichts anderes essen dürfen.
Und zum zweiten war gestern mein letzter Tag in der Arbeit. Freiheit! Wobei sie's ja geschafft haben, dass ich fast ein bisschen traurig geworden bin. Ok, das war jetzt übertrieben, natürlich bin ich traurig, viele nette Kollegen nicht mehr so häufig zu sehen. Aber gestern haben sich echt alle selbst übertroffen, um mir den Abschied schwer zu machen. Ich musste mit dem Taxi heimfahren, weil ich die vielen Geschenke im Bus nicht nach hause gebracht hätte. Drei riesige Blumensträuße, die eine Diva neidisch machen würden. Einen Reisegutschein über 100 Euro. Ein Buch. Eine Flasche Wein. Eine Riesen-Packung Gummibärchen. Von meinem Kunden ein elektronisches Wörterbuch und eine Uhr. Und ganz viele liebe Abschieds-Karten. Hab ich die Blumen schon erwähnt...? Und mein Chef, der nette, nicht der irre Japaner, hat mir ein eigenes Lied geschrieben und vor allen vorgetragen. Aus copyright-Gründen zitiere ich hier nur den Refrain: "Tanja, honigsüße Tanja, wärst Du ein Brotaufstrich, kämst Du jeden Tag auf den Tisch..."
Einen Moment lang kommt man da echt ins Grübeln... Aber trotzdem, wenn ich zurückdenke, dann nur mit Grausen.
Die letzten Wochen waren erträglich, ich habe nur noch alte Projekte abgeschlossen und nichts neues mehr angefangen, deswegen war's nicht mehr so stressig. Aber der Psycho-Terror vorher... Wenn man die Japaner-Einträge auf der Website so liest, klingt das ja alles recht lustig. Aber wenn man so richtig extrem Stress hat, und dann so einen Vorgesetzten, gegen dessen sinnlose Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen man sich kaum zur Wehr setzen kann, ist das wirklich zermürbend. Und dann war der ja nicht der einzige Irre in der Agentur. Ich glaube, ich habe bisher an dieser Stelle noch nichts über unseren lieben Creative Director berichtet. Vermutlich, weil er mir einfach zu sehr zuwider ist, als dass ich Lust hätte, über ihn zu schreiben. Der Mann ist der Chef der Kreativabteilung, d.h. jeder in der Agentur ist von ihm abhängig, was ihm natürlich voll und ganz bewusst ist. Was ihm nicht bewusst ist, ist die Tatsache, dass er psychisch krank ist. Ich habe noch nie jemand getroffen, der sich benimmt, wie eine schlechte Hollywood-Version eines Schizophrenen. Aber solche Leute gibt's wohl tatsächlich. Im einen Moment ist alles wunderbar, und im nächsten wirst du angebrüllt, weil Du es gewagt hast, ihm eine Frage zu stellen. Wenn er gut drauf ist, macht er es sich zum Sport, alle davon zu überzeugen, dass sie ihren Job total schlecht machen. Und wenn er schlecht drauf ist, spielt er die Diva und stürmt beleidigt - nicht ohne vorher selber Beleidigungen auszuteilen - aus dem Zimmer, und du kannst es vergessen, an diesem Tag noch irgendwas sinnvolles von ihm zu bekommen. Und natürlich sind an allem immer alle schuld außer der selbst. Die schlimmsten Rollenspieler sind nicht so arg. Und - siehe oben - in einer extrem stressigen Arbeitsatmosphäre auch noch von so jemandem abhängig zu sein, macht auf die Dauer krank.
Naja, genug geschimpft. Von den körperlichen Stresssymptomen (Magenschmerzen, Schwindelgefühl, Übelkeit, Schlaflosigkeit usw.) habe ich mich schon weitgehend erholt, die psychischen werden sich wohl hoffentlich auch bald verflüchtigen.
Und neben der Tatsache, dass ich ab Montag in einem neuen, besseren Job sein werde, habe ich noch einen kleinen Triumph zu verzeichnen: der Japaner muss gehen. Er wird außerplanmäßig nach Japan zurückversetzt. Keine Kündigung, aber aus japanischer Sicht ein klares Zeichen, dass hier etwas fundamental nicht funktioniert hat. Ich hab ihn ganz scheinheilig gefragt, ob er sich denn freut, wieder nach hause zu gehen. Er hat ein bisschen rumgedruckst, und dann nur gemeint, dass die Umzugsorganisation recht stressig ist und er erst mal eine Wohnung finden muss, weil er seine eigene auf fünf Jahre vermietet hat, aber erst drei Jahre hier ist...
Schadenfreude ist echt nichts schönes. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich die ganze Firma angelogen habe, um es so aussehen zu lassen, als hätte ich nur wegen ihm gekündigt. Und diese Lüge auch noch aufrecht erhalten habe, als ich für mich selber keinen Vorteil mehr daraus ziehen konnte. Nur damit er Ärger kriegt. Wenn man drüber nachdenkt, ist das schon echt erschreckend; so kenne ich mich selber wirklich nicht. Aber trotzdem... freut's mich einfach. :)
Aber jetzt endgültig zu ausschließlich positiven Dingen: die letzten paar Urlaubstage, die mir noch übriggeblieben sind, haben wir in Kalifornien verbracht. Kalifornien an der Ostsee, wohlgemerkt. Das liegt ca. 25 km hinter Kiel und direkt nördlich von - Brasilien. Eigentlich sind diese Namen so albern, dass man nicht hinfahren sollte, aber es war echt schön dort. Nebensaison, d.h. kaum Touristen, aber klasse Wetter, so dass man im Strandkorb tatsächlich in kurzen Hosen sitzen konnte. Und wunderschönes tiefblaues weites Meer mit Sandstrand.
Wir hatten unsere Fahrräder dabei und sind ziemlich viel (für unsere Verhältnisse) rumgeradelt. Ansonsten haben wir die ganze Zeit gegrillt, das können wir ja hier ohne Balkon schlecht, viel gelesen und viel Kaminfeuer angemacht. Und zwischendurch die Bebis ausgeführt. Mu ist ganz begeistert auf der Terrasse rumgekrochen und hat dabei sehr klein-kätzchenhafte Fiepstöne von sich gegeben. Aus der könnte sicher schnell eine richtige Draußen-Katze werden. Kodama hat sich immerhin einmal vor die Tür gewagt, aber nicht weit und nur gaaaanz vorsichtig. Insgesamt hat's den Katzen glaub ich gut gefallen, sie haben sich schneller als beim letzten Mal an die fremde Umgebung gewöhnt und ein paar Lieblingsplätze im Haus gefunden, die sie ausdauernd vollgehaart haben. Nur das Wasser hat ihnen nicht geschmeckt, und nicht mal Mineralwasser aus der Flasche wollten sie trinken. Dabei kommen die dummen Viecher doch aus der Gegend!
Das einzige ‚leider' bei diesem Urlaub war, dass wir die Kamera vergessen hatten. Sonst gäb's jetzt hier tausend Fotos. Statt dessen findet ihr hier wenigstens Bilder von den Blumensträußen, die jetzt gerade unsere Wohnung vollduften.


Mittwoch, 17. Mai 2006

Bilanz nach drei Tagen im neuen Job.
Irgendwo weiter oben in diesem Tagebuch habe ich mich mal gefragt, ob's bei der neuen Firma wohl, zwecks Größe, anders zugeht als bei meine bisherigen Arbeitgebern. Organisierter. Professioneller. Oder so ähnlich.
Auf Professionalität wird tatsächlich viel Wert gelegt. Ich bin in der Abteilung International Marketing, die die Auslandsniederlassungen mit Marketing versorgt, und die Niederlassungen werden bei uns intern als ‚Kunden' bezeichnet.
Organisiert ist auch alles. So organisiert, dass es das reinste Chaos ist. Nichts geht ohne Formulare, für alles und jedes gibt's einen Antrag, und für jedes kleine Detail einen anderen zuständigen Ansprechpartner.
Entsprechend kompliziert ist es, eine Aufgabe vollständig zu erledigen. Ich muss bei der Arbeit häufig an einen Werbespot denken, in dem in verschiedenen Einstellungen Frauen beim Sport gezeigt wurden, Tennis, Basketball, Tischtennis... Alle mit großer Oberweite, die bei jedem Schritt und Sprung lustig in Zeitlupe auf und ab hüpfte. Zum Schluß sagt ein Sprecher: Sometimes the only thing you want to bounce is the ball. Natürlich eine Werbung für Sport-BHs. Sowas ähnliches wünsche ich mir für die Arbeit, damit ich nicht wie ein Gummiball (o.ä.) von einem Kollegen zum nächsten abprallen muss, bevor ich den gefunden habe, der mir helfen kann....
Andererseits ist es bei über 500 Mitarbeitern ja auch nicht ganz einfach, den Überblick zu bekommen. Mit der Zeit werde ich mich da schon reinfinden.
Ansonsten scheint die Stelle zu halten, was sie verspricht, viele interessante Märkte zu betreuen, alles von der Strategieausarbeitung bis zum schnöden Broschüren schicken, und neben Solarenergie erweitert die Firma ihr Spektrum gerade noch um Windenergie und Biogas. Viel Information zu verarbeiten, aber alles Dinge, die mich interessieren, also wird ich's schon irgendwie kapieren. Was mich zurückbringt zum Thema professionell: Es gibt zig Schulungen extra nur für neue Mitarbeiter, die einem die Produkte, Strategien etc. erklären. In nächster Zeit heißt's also Schulbank drücken. Mal sehen ob ich doch irgendwelche naturwissenschaftlichen Gene geerbt habe...
Die Kollegen, die ich bis jetzt näher kennengelernt habe, wirken alle recht nett. Egal wen ich frage, jeder ist hilfsbereit und erklärt mir Sachen (wenn er mich nicht grade zu einem anderen Kollegen schickt, der dafür zuständig ist), und - tada! - man geht zusammen Mittagessen und wohl auch öfters abends zusammen aus.
Einen neuen Chef für die gesamte Marketing-Abteilung gibt's auch bald, der hat sich schon vorgestellt, und wirkt ziemlich nett und locker. Ausserdem sieht er ein bisschen aus wie Toby Maguire und ist höchstens 35, deswegen werde ich ihn in Zukunft (zumindest hier) Spiderman nennen. An unserem Firmengebäude könnte man sicher schön klettern.
Insgesamt lässt sich also alles recht gut an - werde weiter berichten.


Donnerstag, 25. Mai 2006

So, die ersten zwei Wochen in der neuen Firma sind fast rum.
Mittlerweile habe ich mich schon ein bisschen eingelebt - gestern hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es möglich sein könnte, einen Überblick über den Laden zu bekommen. J
Wobei Laden schon ein bisschen untertrieben ist, die Firma ist einfach riesengroß, zumindest für meine Verhältnisse. Und wächst wie wild. Im Intranet kann man das schön mitverfolgen: jeden Tag (!) kommen zwischen drei und fünf Mitarbeiter dazu.
Man hat das Gefühl, die Firma kann kaum selber mit ihrem Wachstum mithalten.
Trotzdem ist der Stress lange nicht so schlimm wie bei der Agentur. Überstunden sind schon auch angesagt, v.a. wenn man mit dem in anderen Zeitzonen liegenden Ausland telefonieren muss. Und Terminsachen gibt's auch ohne Ende, v.a. Messen und Neugründungen von Niederlassungen. Aber der Druck ist lang nicht so hoch, weil einfach das Gefühl von verzweifeltem Überlebenskampf völlig fehlt. Und die hinterhältig-gemeinen Kollegen. Jedenfalls habe ich bisher noch keinen von der Sorte kennen gelernt.
Meine unmittelbaren Teamkollegen sind alle sehr nett, und alle, inkl. meiner Chefin, jünger als ich und mit weniger Berufserfahrung. Weiß noch nicht, ob mich das freuen soll. Die angeblich mit dem Alter einhergehende Weisheit und Gelassenheit will sich bis jetzt noch nicht so recht einstellen... Vielleicht kann ich ja mein Alter verleugnen und so den Erwartungsdruck senken - als Frau in meinem Alter ist das doch wohl legitim. ;)
Obwohl... eine Sache hebt mich schon etwas von vielen Kollegen ab: das fehlende Karrieredenken. Schon von mindestens fünf verschiedenen Leuten habe ich beschwerden gehört, dass sie mehr Verantwortung wollen, dass ihnen der Aufstieg nicht schnell genug geht (wohlgemerkt, da waren Praktikanten dabei, die nach einem halben Jahr mal eben zum Aufbau einer Auslandsniederlassung eingesetzt wurden), und dass ich bloß aufpassen soll, ja alle ‚zu einfachen' Arbeiten wie Messematerial zum Versand in einen Karton packen delegieren und am besten einen eigenen Praktikanten beantragen soll. Leute, wenn Arbeit nur Spaß machen würde, würde einen keiner dafür bezahlen. Ich packe meine Sachen brav selber in die Versandkartons ein, und nur wenn es zeitlich nicht klappt, bitte ich einen - gleich- oder andersgestellten - Kollegen um Hilfe. Und lasse die anderen fleißig die Karriereleiter raufkraxeln.
Immerhin scheinen sie das ohne nach unten Treten und Ellbogeneinsatz zu tun. Die Stimmung scheint mir recht gut. Man geht miteinander Mittagessen und es gibt jede Menge abendliche Aktivitäten zusammen; viele Kollegen sind nicht aus Hamburg und haben die Firma auch gleich zu ihrem neuen Freundeskreis gemacht. Wirkt vielversprechend.
Jetzt bräuchte ich bloß noch ein bisschen Urlaub, dann wäre die Sache perfekt. Ich merke, dass ich schon recht erschöpft bin, und dass es mir schwer fällt, die nötige Energie aufzubringen, mich schon wieder neu zu bewähren und zu beweisen... Mal sehen, vielleicht können wir ja diesen Sommer doch noch mal Urlaub machen, und ein bisschen die Reserven auftanken...


Samstag, 15. Juli 2006

So lange nichts geschrieben...
Danke für eure Geduld.
Mittlerweile habe ich mich im neuen Job gut eingelebt, ganz langsam gewinne ich einen Überblick über das riesige Unternehmen, in dem ich da gelandet bin. Die Arbeit passt mir sehr gut, so ziemlich die richtige Mischung aus Routine (z.B. ein großes Paket mit Geschäftsausstattung von Visitenkarten bis Kaffeetassen an unsere neue Niederlassung in Singapur verschicken), "Projektmanagement" (z.B. die Teilnahme an einer Messe in China organisieren) und richtig Anspruchsvollem (mal eben eine Marketingstrategie für den türkischen Markt entwickeln). Das Unternehmen ist grade ein bisschen im Umbruch, Produktmanagement und Marketing wurden z.T. neu organisiert, und manches ist noch recht chaotisch. Aber das meiste wird sich schon finden, und Chaos bin ich ja eh gewöhnt. Apropos Chaos: mit der Chefin komme ich auch gut aus, obwohl wir unterschiedliche Auffassungen von Arbeitsorganisation haben (ich bin kein ordentlicher Mensch, wirklich nicht, aber wenn ich ihre Ablage auf unserem Server sehe, bzw. mich da durchwursteln muss, kann ich nur den Kopf schütteln). Was ich allerdings gar nicht mehr gewöhnt bin, ist so unselbständig zu arbeiten. Nicht, dass ich was gegen Kontrolle hätte, ist ja grade am Anfang schon wichtig. Aber es bringt mich richtiggehend draus, dauernd gefragt zu werden, wie ich vorankomme, hilfreiche Ratschläge zu bekommen, was ich bei einer Sache noch alles machen/beachten/wen fragen könnte, wo ich grade dachte, ich hätte sie fast abgeschlossen, und vor allem andauernd zu irgendwelche Meetings mitgeschleift zu werden. Die sind ja alle nötig und wichtig und kommunikationsförderlich, aber man kommt so wenig zum Arbeiten...
Und eine Sache, die ich auch sehr gewöhnungsbedürftig finde, ist dass ich für jeden Arbeitsschritt tausend andere Kollegen irgendwie mit einbeziehen muss, und natürlich ist nicht jeder immer da und hat Zeit, und dann hängt die endgültige Entscheidung wieder an jemand anderem, und man verbringt einen Großteil seiner Projekte nur damit, auf andere zu warten und nix geht voran und man kriegt nix erledigt.
Immerhin, das Arbeitstempo ist ein anderes als beim letzten Arbeitgeber. V.a. ein wesentlich angenehmeres. Überstunden fallen schon einige an, aber die paar Deadlines, die wir haben, sind lang nicht so schlimm und schwierig einzuhalten.
Langsam erhole ich mich auch einigermaßen von dem Schaden, den der ganze Stress so angerichtet hat, und finde wieder etwas zu mir selbst zurück. Wird wohl noch eine Weile dauern, bis ich das ganz überwunden habe, aber zumindest ist Licht am Horizont.

Genug der Arbeit, trotz allem haben wir auch noch ein Privatleben. Und das ist zur Zeit sehr bevölkert: letztes Wochenende waren wir auf einem Con in Bayern mit lauter lieben Leuten, die wir am liebsten eingepackt und mitgenommen hätten. Wir waren NSCs, hatten aber mindestens so viel Spaß wie als Spieler auf anderen Cons, wenn nicht mehr. Ich sage nur: ein kleines Dorf widerspenstiger Irrer... Schon lange kein so lustiges, stimmiges Rollenspiel mehr gehabt.
Dieses Wochenende ist MIB hier, auf Wohnungssuche. Endlich klappt das mit dem Umzug, und wir bereiten schon mal die offizielle Gründungsfeier für unsere bayrische Kolonie vor.
Im August kommt uns Anke besuchen, außerdem mein Bruder mit Freundin und Kind - ich freu mich so den Kleinen endlich mal ohne Webcam dazwischen zu sehen! - und Wompfie und Tinka kommen wieder auf Urlaub an die Nordsee. Dann ist vielleicht auch noch Regina in Deutschland, d.h. wenn wir's noch mal nach München schaffen würden, könnten wir die auch noch treffen... Mann, dass die Leute sich alle so weit verstreut haben! Man könnte glatt zum Globalisierungsgegner werden. ;-)
Auf Wohnungssuche sind wir übrigens auch, denn wir wollen endlich einen Balkon, mehr Platz, eine Küche, in die eine Spülmaschine reinpasst, und vor allem einen Balkon! Letzteres ist gar nicht so einfach, weil offenbar jeder so denkt. Montag ist wieder mal eine Besichtigung. Bitte Daumendrücken, ich poste auch sofort Fotos, wenn's was wird.

 

Donnerstag, 07. September 2006

Liebes Tagebuch.
Ich habe mal wieder lange nichts geschrieben.
Ausnahmsweise habe ich einen Grund (also, einen richtigen, nicht nur ‚keine Zeit weil zuviel Arbeit'). Wobei das wahrscheinlich alles irgendwie zusammenhängt.
Was jetzt folgt, wird sehr persönlich, und kommt für viele von euch wahrscheinlich recht überraschend. Und leider wird's gar nicht so amüsant, wie ich versucht habe, die bisherigen Einträge zu halten. Ich hoffe, ihr lest trotzdem weiter.
Ich habe lange drüber nachgedacht, ob das Internet wirklich das geeignete Medium für so was ist. Immerhin lesen hier, wie ich gerüchteweise höre, auch Leute mit, die ich gar nicht oder kaum kenne. Aber ich glaube, es ist genau das richtige. Ein guter Freund hat mich vor langer Zeit mal gefragt, was ich mache, wenn ich traurig bin. Schreiben, habe ich geantwortet. Dem Papier mein Herz ausschütten und mich der Illusion hingeben, dass die Welt meinen Schmerz wahrnimmt. Und damals hatte ich noch nicht mal ein Blog.

Seit Mitte August gehe ich nicht mehr in die Arbeit. Ich bin krankgeschrieben, vorläufig bis Mitte Oktober, aber es wird wahrscheinlich noch um einiges länger werden. Diagnose: schwere Depression. Ich schlucke Antidepressiva, bin in psychotherapeutischer Behandlung und bis auf weiteres nicht arbeitsfähig.
Die Depression habe ich schon lange. Ich schätze so ca. 1,5 Jahre. Vielleicht länger. Von den ersten Symptomen bis zur Erkenntnis, dass ich krank bin, bis zu dem Schritt, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, war's ein langer, zäher Kampf. Auf der Strecke geblieben ist dabei, neben meinem Gefühlsleben, meinem Seelenfrieden und meiner Fähigkeit nachts durchzuschlafen zu guter letzt die Arbeit. Leider erst viel zu spät, nachdem ich endlich eine Stelle gefunden hatte, die mich zu einem früheren Zeitpunkt vielleicht noch hätte retten können. Aber ich musste feststellen, dass es mir nach dem Jobwechsel immer schlechter statt besser ging. Zum Schluss wachte ich morgens (lange vor dem Weckerklingeln) schon mit Herzklopfen auf, war kaum in der Lage, mich anzuziehen und den Bus zu erwischen, und saß dann blind in den Monitor starrend in der Arbeit und hoffte nur, dass mich keiner anspricht und dass der Tag schnell rumgeht. Die einfachsten Dinge überforderten mich völlig, Sachen, die ich beim vorigen Arbeitgeber mit links geschafft hatte, versetzten mich in Panik, und manchmal brachte ich keinen zusammenhängenden Satz raus, wenn mein Chef was von mir wollte. Obwohl alle nett zu mir waren und kein übermäßiger Stress herrschte.
Seit ich krank geschrieben bin, und der Druck arbeiten zu müssen weg ist, geht es mir schon ein bisschen besser. Zumindest sind die Panik und das Herzklopfen weg. Ob das mit den zusammenhängenden Sätzen schon wieder klappt, müsst ihr selbst beurteilen. ;-)
Trotzdem bin ich noch lange nicht über dem Berg. Jetzt, wo ich Zeit zum Nachdenken und zum Mit-mir-selbst-beschäftigen habe, wird manches eher schlimmer als besser. Aber das wird wohl mit der Zeit schon werden.
Ich könnte euch jetzt mit Details über Depressionen und ihre Symptome langweilen. Aber so was kann man ohne weiteres bei Wikipedia o.ä. nachlesen. Da steht genau und offiziell, wie ich mich fühle.
Statt dessen möchte ich versuchen, das ganze so zu beschreiben, wie ich es empfinde. So wie ich früher, als es mir noch gut ging, geschrieben habe. Einfach den Gedanken freien Lauf lassen und die Finger mittippen lassen, und am Ende gibt das ganze ein Gesamtbild, das mich meistens selbst überrascht. Die Art zu schreiben, zu der ich schon lange keinen Zugang mehr habe, weil mir der Zugang zu meinen eigenen Gefühlen fehlt. Wo das doch nicht nur ein hilfreiches Ventil sein könnte, sondern einfach eine der Sachen ist, die mir am meisten Spaß machen. Gemacht haben. Naja. Bevor ich jetzt depressiv werde, versuche ich einfach mal, drauflos zu schreiben. Das wird wahrscheinlich schwierig, und dauert sicher viel länger zu schreiben als zu lesen. Also, Geduld haben, ist gleich soweit:

Ein Schatten hat sich von hinten an mich angeschlichen. Heimlich, geräusch- und gefühllos hat er sich über meinen eigenen Schatten gelegt.
Ich habe es nicht bemerkt, weil ich mir nicht die Zeit genommen habe, mich nach mir umzudrehen.
Jetzt folgt mir der neue Schatten überall hin. Er hat genau die selbe Form wie mein eigener, deswegen fällt er niemandem auf. Aber ich fühle ihn. Nur noch ihn. Wenn ich etwas anderes fühlen will, legt er die Arme von hinten um mich und drückt zu. Dann fällt es mir schwer zu atmen und meine Schultern krümmen sich zusammen, damit er mein Herz nicht erreichen kann. Obwohl ich weiß, dass das der Ort ist, wo er wohnt.
Wenn ich eine Aufgabe zu erledigen habe, legt er seine Hände über meine Augen, und lässt mich zwischen seinen Fingern hindurch den Abgrund sehen, der sich vor mir auftut. Der unüberwindlich ist, egal wie einfach die Aufgabe scheint. Ich weiche ein paar Schritte zurück um Anlauf zu nehmen und bleibe dann stehen, weil ich mit dem schweren neuen Schatten nicht springen kann.
Wenn ich mich schlafen lege, kriecht er auf meinen Rücken und schlägt seine spitzen Klauen zwischen meine Schultern. Das tut er um besseren Halt zu haben, wenn meine Erschöpfung kommt um mit ihm zu ringen. Gelegentlich gewinnt sie und ich schlafe ein. Dann wartet er, bis sie mit mir zusammen schläft, kriecht wieder auf meinen Rücken und beginnt mir ins Ohr zu flüstern. So glaubt die Erschöpfung, dass ich schlafe, während ich in Wirklichkeit hellwach liege und jeden Moment meines Lebens, in dem ich gelitten habe, noch einmal erlebe.
Wenn ich um Hilfe schreien will, legt er die Hände um meinen Hals. Er drückt nicht zu, er erinnert mich nur daran, dass er es könnte, und ich schweige.
Wenn ich gegen ihn kämpfen will, hält er sich wie ein guter Schatten immer hinter mir, so dass ich mich hilflos um mich selber drehe, und am Ende nicht mehr weiß, ob ich ihn verfolge oder vor mir selbst davonlaufe oder vielleicht doch nur einen lustigen Tanz aufführe, auf den ich mich nur einlassen müsste, dann wäre es nie wieder nötig zu kämpfen. Denn wenn der Schatten immer hinter mir ist, dann müsste die Sonne ja immer vor mir sein. Alles wird besser, singt er mir dann ins Ohr, und ich will ihm so sehr glauben.
Wenn ich allein bin, hält er mich im Arm. Kalt und zärtlich.
Wenn mein Herz blutet, ist er mein Druckverband: rettend, tröstend, alles erstickend.

Bitte nicht missverstehen: das ist kein Hilferuf. Ich bin in Therapie und nehme ganz brav meine Medizin und es wird mir sicher bald besser gehen.
Aber ich wollte euch wissen lassen, wie es in mir aussieht, und es hat mir sehr gut getan, das aufzuschreiben.
Und natürlich freue ich mich, wenn sich jemand von euch meldet. Es gibt keinen Grund, warum das Thema peinlich sein sollte oder man nicht drüber reden sollte. Ich weiß, es ist trotzdem so, ich weiß auch immer gar nicht, wie ich davon anfangen soll. Aber es tut auch gut, drüber zu reden.

Bleibt die Frage nach den Ursachen. Die versuche ich gerade in der Therapie zu erarbeiten. Der Hauptgrund ist sicherlich Überarbeitung/Burnout, was sich die meisten von euch sicher schon denken konnten. Und dann halt noch so diverse Kleinigkeiten, die alle irgendwie zusammengekommen sind... Aber wie gesagt, so genau kann ich das selber noch nicht sagen.

So, Mu ist grade mit viel Kralleneinsatz auf meinen Schoß gehüpft, was zum einen heißt, dass ich zu schief auf meinem Stuhl sitze, und zum anderen, dass es längst Zeit ist ins Bett zu gehen.

 


Montag, 16. Oktober 2006

Vielen Dank. Für alle Emails, Anrufe, Nachfragen und Unterstützung die ich von euch bekommen habe. Das alles hat mir sehr gut getan.
Viele haben mir gesagt, dass sie meinen letzten Tagebucheintrag sehr mutig fanden. (Ihr solltet erst mal den kommenden lesen - was ich letzte Woche gemacht habe, fand ich viel mutiger.)
Tatsächlich war das gar nicht so mutig, sondern eher ein Versuch, zu vermeiden, dass ich meine Situation immer wieder neu erklären muss. Eine Sache, die mir gar nicht so leicht fällt. Leider hab ich mich selbst überholt, und die meisten von euch getroffen, bevor ihr den Eintrag gelesen hattet. Kein Wunder, wenn ich diesen Blog nur so selten update. Andererseits hat mir die ‚Übung', meine Depression euch allen face to face zu erklären, vielleicht gar nicht geschadet.
Jedenfalls war es eine gute Vorbereitung für das Treffen mit meinem Arbeitgeber letzte Woche. Meine Chefin hatte mich gebeten, vorbeizukommen um zu besprechen, wie's weitergehen soll. Meine letzte Krankschreibung geht bis 23.Nov., auf der nächsten steht "bis auf weiteres". Und meine Probezeit läuft Mitte November aus.
Also bin ich da hinmarschiert, habe mich mit meiner Chefin und dem Marketingleiter hingesetzt, und ihnen alles gesagt. Dass ich eine Depression habe. Dass ich nicht sagen kann, wann ich wieder arbeitsfähig bin. Und vor allem, dass ich noch nicht weiß, was ich tun werde, wenn ich es wieder bin. Dass ich nicht zwingend zu ihnen zurück will. Auch wenn sie nix dafür können. Und dass ich es für alle beteiligten für das Beste halte, wenn sie mir kündigen.
Ich weiß nicht, ob die das erwartet haben, oder was ganz anderes, oder gar nichts. Jedenfalls haben sie sich sehr nett verhalten und gesagt, dass sie natürlich das tun werden, was für mich am besten ist, wenn ich das will.
Alle Kollegen haben nach mir gefragt; die, die ich auf dem Gang getroffen habe, wollte alle wissen, wann ich wiederkomme, jeder war ganz besorgt... Es war schon etwas anstrengend, so vielen Leuten zu erklären, was los ist. Trotzdem geh ich morgen noch mal hin, um die Formalitäten zu erledigen, und mich von allen zu verabschieden. Das wird der seltsamste Ausstand meines Lebens.
Aber seither schlafe ich besser. Keine Arbeits-Alpträume mehr, wie ich sie die letzten drei vier Wochen jede Nacht hatte. Das ist wohl ein Zeichen, dass ich das richtige getan habe.
Und ich bin immer noch furchtbar stolz auf mich, dass ich das so ruhig und tapfer durchgezogen habe. Schließlich habe ich jahrelang die Zähne zusammengebissen und mich selbst und meine Bedürfnisse vernachlässigt. Diesmal habe ich getan, was gut für mich, nur für mich ist. Ohne Rücksicht auf Verluste, trotz Zweifeln und Widerständen.
Eigentlich sollte ich mir Sorgen machen - wird das Krankengeld zum Leben reichen, wie lange wird mich meine Ärztin noch krankschreiben, habe ich mir meine Karriere versaut...? - aber keine Spur. Im Gegenteil: jetzt kann die Zukunft kommen!
Die allernächste Zukunft bringt erst mal etwas sehr positives: Urlaub. Seit langem mal wieder richtigen Urlaub. Zuletzt waren wir letztes Jahr im Sommer in Urlaub. Und da hat Leo sich jede Menge Arbeit mitgenommen, und ich bin die Hälfte der Zeit krank auf der Nase gelegen.
Der letzte Urlaub davor, wenn man mal von den Weihnachtsbesuchen zu hause absieht, war 2003 in Kanada. D.h. wir, v.a. Leo, haben das ganz dringend nötig. Mal rauskommen, ganz woanders - im Warmen! - sein, kein Telefon, keine Email, keine Verpflichtungen, kein Gedanke an Arbeit. (Falls sich jetzt jemand wundert: ja, ich kann Urlaub machen, wenn ich krank bin, bin ja nicht bettlägerig. Ist auch mit der Krankenkasse abgesprochen.) Jedenfalls werden wir uns in der Türkei ganz hervorragend erholen. Und natürlich viele Fotos für die Homepage machen.
Apropos Fotos: ich habe endlich neue Fotos von unserem Küchenschrank und unserer Kommode gemacht. Finden sich unter "Unsere Höhle". Außerdem - falls ich's nicht schon jedem einzelnen von euch persönlich erzählt habe - sind wir jetzt stolze Besitzer einer Spülmaschine. Ein neues Stück Lebensqualität. ;-)
So. Und jetzt geh ich packen. Freu!


Freitag, 15. Dezember 2006
Mann, der Urlaub war lang. Leider nicht der tatsächliche, sonder nur der Blog-Urlaub.
Und jetzt werde ich gleich wieder so einen ewig langen Monster-Eintrag schreiben...
Mal sehen, vielleicht habe ich ja die Zeit, mich kurz zu fassen.

Erstmal der Urlaub: niemals hätte ich gedacht, dass man sich in zwei Wochen so immens erholen kann. Sonne, Meer, frische Luft, gutes Essen, und nichts, absolut nichts zu tun. Himmlisch. Selbst die Tage, an denen wir uns so anstrengende Dinge wie die Besteigung des Hausbergs oder Shopping auf dem Bazar vorgenommen hatten, waren noch unglaublich entspannt. Von den Tagen, an denen wir nichts vorhatten, außer auf dem Balkon frühstücken, dann lesen, dann die drei Schritte bis zum Strand gehen, da rumliegen und lesen, einschlafen, an der Strandbar was essen, dann wieder lesen/schlafen, abends Essen gehen und dann wieder lesen/schlafen, ganz zu schweigen...
Auch wenn das jetzt langweilig klingt: wir haben einiges erlebt. Allein die Wanderungen, bei denen man auf versteckte Ruinen, einsame Buchten und halbwilde Ziegenherden und ebensolche sehr territorial veranlagte Hunde stieß, waren jeden Schritt wert. Die Fahrt mit dem Gület, einer traditionellen türkischen Jacht, die bei starkem Wind startete, erwies sich als sehr geruhsam, da der Wind abflaute, sobald wir unsere Heimatbucht verlassen hatten. Was gar nichts ausmachte, weil das Essen an Bord so gut war und das Wasser so herrlich türkisblau zum Baden einlud, und außerdem ein älteres Ehepaar an Bord war, das offensichtlich nicht so gut schwimmen konnte... Dann gab's noch diverse Besichtigungstouren, zu Ausgrabungen von römischen, griechischen und allen möglichen anderen Ruinen in herrlicher Landschaft, kunstvoll in steile Felswände gehauenen Gräbern, historischen Karawansereien, die zwar nicht mehr von Kamelen, aber immerhin von Hunden und Katzen bevölkert waren, und zu einer spektakulären und sehr schön hergerichteten Burg samt Unterwasser-Museum (nein, leider kein Tauchgang, das Museum war trocken, aber voller heraufgetauchter Schätze). Das Wetter war durchgehend badegeeignet, nur die letzten drei Tagen waren etwas kühl. Dadurch haben wir auch noch das luxuriös-dekadente Gefühl kennengelernt, einen kompletten Tag in einer Hotelbar zu verbringen. Nie zuvor wurde Nichtstun so schön zelebriert: in dicken Sofakissen versinken, lesen, sich gelegentlich zu einer Partie Backgammon oder Billard aufraffen, sich wichtige Entscheidungen abringen - trinke ich als nächstes einen Chai, einen türkischen Kaffee oder doch lieber einen Cocktail? - und wenn man sich Abwechslung wünscht einfach mal minutenlang ins Kaminfeuer starren. Wir haben uns gefühlt wie Hemingway und co. Und dann gab es noch eine wunderbare Kosmetik- und Wohlfühlsession für Tanja im Hamam. Lasst euch gesagt sein, Mädels, der Schmerz ist in den meisten Fällen das Geld nicht wert. War hinterher nur geringfügig hübscher, aber kurz davor, meinen Peinigern eine UN-Menschenrechtskommission auf den Hals zu hetzen. ;) Das Hamam selbst war allerdings sehr empfehlenswert: zuerst legt man sich eine Weile auf einen heißen Stein, dann wird man mit sehr heißem Wasser übergossen, daraufhin von oben bis unten mit etwas abgeschrubbt, das sich anfühlt wie die raue Seite von einem Küchenschwamm. Wenn die Haut dann so richtig roh und schutzlos ist, kommt wieder ein Guss heißes Wasser, und dann wird man mit Seifenschaum abgerieben, nicht gerade zärtlich, aber auch nicht ganz brutal. Zum Schluss noch mal heißes Wasser, und dann ist man wirklich ausnehmend entspannt. Keine Ironie. Echt.
Wer jetzt Bilder vermisst, hat völlig recht: wir haben keine Fotos gemacht. Viel besser: wir haben gefilmt. Den Film findet ihr in der neuen Rubrik Filme.

Soviel zum Urlaub. Der Alltag ist schnell wieder eingekehrt, aber es geht merklich auf Weihnachten zu, und das bedeutet neben Geschenkstress vor allem, dass es noch tausend Leute gibt, die man unbedingt dieses Jahr noch mal treffen muss. Seit wir wieder da sind, reißen die Termine nicht ab.
Nur einige Beispiele
- Unsere Cthulhu-Rollenspielrunde konnte endlich wiederbelebt (pun intended) werden, in etwas neuer Besetzung mit MIB, mit neuen Charakteren und in einem Roaring-Twenties-Setting, was sehr lustig zu werden verspricht.
- Ebenfalls mit MIB, diesmal als Leiter, starten wir eine neue Fantasyrunde, auf die ich schon ganz wibbelig bin (was der arme Spielleiter ausbaden und ungefähr 80 Seiten Charaktergeschichte lesen muss). Ganz besonders freuen wir uns alle, dass das ganze in seiner kuschligen Altbauwohnung auf dem mega-gemütlichen neuen Sofa (ja, es ist endlich angekommen!) stattfindet.
- Meine Agentur-Mädels habe ich, lang versprochen, kürzlich endlich mal auf ein echt bayrisches Essen eingeladen. Auch wenn es mit dem das Verständnis für südliche Köstlichkeiten noch etwas haperte ("Die Kruste von dem Schweinebraten kann man ja gar nicht beissen!", "Weizenbier? Hast Du auch Becks da?"), war das doch ein sehr lustiger Abend, auf dem gleich der nächste Plan entstand:
- Alle Mädels sind - nicht weiter verwunderlich - keine Rollenspieler. Aber Leo und ich haben ihnen so vorgeschwärmt, dass sie's jetzt tatsächlich mal ausprobieren wollen. Also werden wir im Januar ein Wochenende in einem wirklich ganz weit draußen mitten im Wald gelegenen Ferienhaus verbringen, und sie das Gruseln lehren...
- Einer meiner ehemaligen Kollegen, ein flensburger Original wie's im Buche steht, hat seinen Geburtstag am Hafen gefeiert, so richtig stilvoll in einer trashigen Kneipe, mit Fish and Chips, Astra-Bier und jeder Menge Motorrädern vor der Tür. Zum Glück ist das Wetter so warm gewesen, dass man vor der Kneipe rumhängen konnte, mit Blick auf den Hafen, Lagerhallen und Kräne... Muss ausgesehen haben wie eine Szene aus ‚Werner'. Könnt ihr's euch vors-tellen?
- Felix war zu Besuch, und wir hatten ein wunderbar entspanntes Wochenende, mit Shoppen in der Marktstraße (sollte eigentlich für jeden Hamburg-Besucher ins Pflichtprogramm aufgenommen werden - wer's also noch nicht gemacht hat, schnell vorbeikommen und nachholen!), viel gemütlich-lustig-gruseligem Videoschauen und einigen Lektionen in Anatomie, die sich Interessierte gern im Detail offline von Leo erklären lassen können...
- Diverse mehr oder weniger glühweinintensive Treffen auf verschiedenen Weihnachtsmärkten dürfen auch nicht unerwähnt bleiben. Besonders der auf dem Kiez klang interessant, da er sich als Erotik-Weihnachtsmarkt verkauft. Allerdings gab's hauptsächlich die klassischen Stände, mit roten Glühbirnen und leicht frivolen Verzierungen, einen Stand mit Unterhosen (nur zwei verschiedene Schnitte, hab nicht ganz kapiert, ob die Dinger vielleicht essbar sind oder auch Zugang zum Internet bieten) und einem Stand mit div. leckeren Massagezutaten.
- Ein kleines Highlight und eine dringend nötige Wiedergutmachung war auch der Saunatag inkl. Massage, zu dem mich Bettina netterweise in unser Schwimmbad eingeladen hat. Dringend nötig, weil ich dadurch mein türkisches Massagetrauma überwinden konnte. Dankeschön!
- Zusätzlich gab's dann natürlich auch noch einige lästige Termine. Arztbesuche sowieso, aber auch einige Werkstatttermine für unser Auto, das mit der eigentlich harmlosen Diagnose undichter Dichtungen schließlich nach einem mehrtägigen Werkstattaufenthalt Kosten von insgesamt 1.383 Euro für ein komplett neues Lenkgetriebe und andere Kleinigkeiten verursachte. Außerdem waren wir mit unser (im wörtlichen Sinne) ständig aufgekratzten Mukatze beim Tierdermatologen. Nach anfänglicher Skepsis bin ich sehr froh, dass wir das gemacht haben. Die Frau hat sich fast eine Stunde Zeit für uns genommen, Mu ausführlich untersucht, Haut- und Fellproben genommen, mich mit Fragen gelöchert und mir gleich zwei Futteralternativen sowie eine erste Diagnosevermutung (Allergie und evtl. ein Pilz) mitgegeben. Außerdem Antibiotika, die Mu seither zweimal täglich schlucken muss. Sie macht das etwas (aber nur etwas) widerstandsloser als Zooli, wenn man sie gut festhält, ihr das Mäulchen aufzwingt und die Tablette dann weit genug in den Hals stopft. Seit gestern macht sie's auch freiwillig, wenn man ihr die Tablette einfach vor die Nase legt. Seither bin ich auf der Suche nach einem guten Tierpsychologen, weil ich den Verdacht habe, dass Mu ein Hund gefangen im Körper einer Katze ist.
- Und nicht zuletzt habe ich mich selber vor die Herausforderung gestellt, ein Lebkuchenhaus zu backen. Nicht mit Fertigbauteilen vom Bäcker, sondern komplett selbermachen. Und das, wo ich Lebkuchen gar nicht mal so gern mag. Es ging mir nur ums Häuslebauen. Ich kann euch sagen, das ist vielleicht ein Gebatze. Allein in dem Lebkuchenteig ist 1 kg Honig drin. Und in dem Zuckerguss noch mal 1 kg Puderzucker (wobei ich 80% davon nicht gebraucht habe). Dafür ist das Haus recht nett geworden, ein bisschen windschief, aber sehr typisch für uns. Fotos gibt's hier.

So, jetzt wisst ihr, was wir in den letzten Wochen so getrieben haben. Und ich muss aufhören zu tippen, sonst fallen mir die Finger ab.

Ach so, eine Sache noch: ich plane demnächst, dieses Blog auf eine andere Adresse zu verlegen, hauptsächlich um div. echte Blogfunktionen wie Kommentare und RSS-Feed zu nutzen. Das kriege ich aber wahrscheinlich erst im nächsten Jahr hin. Werde euch auf dem Laufenden halten.