15.
Juni 2002
Grelles Licht.
Ich schließe meine Augen.
Bum-Bum-Bum-ba-Bum. Mein Herzschlag tut was er will.
Schmerz in meine Kopf. Was ist geschehen?
Wieder dieses Licht.
Ich öffne meine Augen und sehe zu ihm.
Der Wahnsinn hat einen Namen. Malekin.
Was ich sehe, ist mehr als mein Verstand fassen kann. Meine Lippen öffnen
sich, und ein Schrei dringt aus meinem Innersten - so laut - so gellend... Und
dennoch drückt er nicht mal im Ansatz aus, welcher Schrecken mich plagt.
Ich bin nicht die einzige die schreit. Alle schreien. All die mächtigen
Monster liegen am Boden, wie quiekende Mäuse. Meine Knie versagen. Meine
Hände legen sich auf mein Gesicht. Keine Sekunde länger. Keine Sekunde
länger will ich DAS ansehen müssen.
Malekin et Malfeis...
Und das zwischen ihnen... Schlimmer als sterben.
Katinka klagt, wie die Weiber auf Hvar, die um ihre toten Söhne trauern.
Ihr Weinen bricht mir das Herz und Tränen rinnen über mein Gesicht.
Malfeis steht im Raum, wie der Wahrhaftige selbst und ich begreife, warum
Menschen an Götter glauben. Wir liegen dar - uns windet im Schmerz. Eine
kleine Bewegung seiner Hand, und die letzten, die widerstanden haben, beugen
wimmernd ihr Knie. Wolfenstein. Malekin muss tot sein. Er war es, dem dieses
Geschenk galt. Wir, die im Raum waren, erfuhren nur einen Abklatsch des Wahnsinns
- nur ein Hauch dessen, was IHN berührte. Kann man Wahnsinn mit Wahnsinn
bekämpfen?
Mein Kopf tockt leise gegen die Wand hinter mir. Von einer Sekunde auf die
andere wurde aus einer Party ein Schlachtfeld.
Alles, was vorher war,
scheint Jahre vorbei. Die nette Kulisse. Das Theaterstück. Der Gedichtwettbewerb.
Die amüsanten Gespräche. Kantinkas Ehrlichkeit. Sam, die lacht.
Wolfenstein, mit den blitzenden Augen. Thomasso, der auf mich achtet. Lyra,
die mir immer noch so menschlich scheint. Josephas wärmende Nähe.
Eine Farce. Alles ist Nichts. Unwirklich im Vergleich zu dem was ich gerade
fühle.
Schon vorbei. Malfeis verlässt die Bühne und lässt uns zurück,
ohne sich nur einmal umzuwenden.
Er
macht sich nicht einmal die Mühe, unsere Jämmerlichkeit zu belächeln.
Applaus, Applaus! Malfeis gleich Malekin hat seine Vorstellung beendet.
Und schon bald danach rappeln sich die ersten auf. Kriechen sie aus ihren Höhlen,
wie die Würmer nach dem Regen das schützende Erdreich verlassen. Auch
Malekin.
Aber an mir geht das alles vorbei. Keine Tränen auf meinem Gesicht. Die,
die ich Freunde nenne, greifen nach mir, streicheln über meinen Kopf. Ich
weiß, was sie denken. Sie denken, wenn es für sie schon so schlimm
war, wie muss es dann für mich gewesen sein? Ich armes Kind. Arme Anna.
Besorgte Fragen. Fragen, Fragen, kann nichts sagen, Plagen, Klagen, kann's nicht
wagen zu versagen. Ich lache unberührt und schiebe sie von mir. Für
was halten sie mich? Meine Knie sind noch immer weich, doch ich erhebe mich,
ohne zu wanken. Unruhe in mir. Josepha blickt mich verwirrt an, noch nie habe
ich ihre helfende Hand von mir geschoben. Noch nie hatte ich weniger Hilfe nötig.
In mir brennt es. Wut. Hass. Ich bin es leid. So leid. Ein Wahn, kein Sinn...
sieh was ich bin... ich lebe, ich bebe. Ja ich bebe. Ich hole Luft und drehe
mich einmal um mich selbst. Überblick gewinnen. Die fragenden Blicke derjenigen,
die mich kennen, ignoriere ich geflissentlich. Hilf dir selbst dann hilft dir.....
Malfeis? Wie? Egal.
Ah. Wolfenstein. Er hängt in einem Stuhl, wie ein benutzter Waschlappen.
Ein seltsames Grinsen huscht über mein Gesicht, ich wische mir die Hände
an meinem Rock sauber und gehe zielstrebig auf ihn zu. Es gibt ein Buch, das
da heißt ' Vom richtigen Zeitpunkt'... Ich brauche so was nicht. Ich WEISS,
wenn die richtige Zeit gekommen ist. Ob mir irgendwer im Weg steht, bis ich
bei ihm bin, bemerke ich nicht. Ich bleibe zwischen seinen Beinen stehen, stütze
eine Hand links von ihm, eine rechts von ihm auf seiner Stuhllehne, beuge mich
vor und blicke ihm in die Augen.
"Wann hast du mich von dir trinken lassen...? " Flüstre ich leise,
so zärtlich als würde ich zu einem Geliebten sprechen.
Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Ein Wolf, der von seiner gerissenen
Beute spricht. Ein Vater, der stolz die Cleverness seiner Tochter würdigt.
Ein gebrochenes Tier, dass eine Wunden leckt und nicht die Kraft hat zu lügen....
Und ich hab's gemerkt.