Ich erwache. Zu spät, sagt mein Gefühl. Zu spät, sagt auch meine Armbanduhr, denn es ist bereits nach 21h. Bereits seit mehr als 4 Stunden dunkel. Ich habe verschlafen?
Ich richte mich auf, versuche, mir klar zu werden, wie so etwas kommen kann. Lasse meinen Blick durch das Zimmer schweifen, und muss ein Husten unterdrücken. Mein Herz krampft sich zusammen.
Um mein Bett stehen Kerzen, fast völlig heruntergebrannt. Fast kann ich die Hand sehen, die sie löscht, die verbrannte Haut riechen... Die Stereoanlage ist eingeschaltet, der Lautstärkeregler auf Maximum, das CD-Fach offen. Auf dem Boden liegen die wenigen CDs, die ich noch besitze. Ein Scherbenhaufen. Genauso wie alle Bücher. Lustiges Konfetti, das mit einem vertraut lieblich-schmerzvollen Muster den belanglosen Teppichboden in eine Nachricht verwandelt. Ein Buch, wie Anna sagen würde.
Ein Buch ist noch da, steht unberührt im Bücherschrank. Kein Wunder, denn es ist nicht meins. Ich habe es von Thomasso - d.h. von Thomas. Eine Leihgabe aus einem Museum, das Zeugnis ablegt von einem längst vergangenen Menschenleben.
Der kleine Prinz.
Plötzlich fühle ich eine entsetzliche Sorge, und kann nur mit Mühe dem Impuls widerstehen, aufzuspringen und nach Brunnen und Mauern und Schlangen zu suchen. Ich habe es nicht gesehen, wie er sich in der Nacht auf den Weg machte. Er war lautlos entwischt...
Instinktiv suche ich nach einer Einstichstelle in meinem Arm, doch ich finde nichts. Auch keinen Schlangenbiss an meinem Knöchel.
Anna sitzt am anderen Ende des Zimmers mit angezogenen Knien auf einem Stuhl und sieht mich mit großen Augen an. Wie jemand, der ein ihm vertrautes Zimmer betreten wollte, und statt der gewohnten Tür nur eine Mauer gefunden hat.
War er wegen ihr hier? Und warum jetzt? Ich stehe auf und gehe zu Anna, um mir ihren Arm anzusehen. Und vor allem, um ihr zu erklären, was geschehen ist. Regel Nr. 4, mein Kind. Doch ich werde abgelenkt. Der Bildschirmschoner, der über den Computermonitor flackert, hatte ich nicht installiert. Derselbe wie damals. Mir wird schwindelig.
Kann die Zeit sich rückwärts abspielen? Ist das der Punkt des Rings, an dem ich begonnen habe? Wie, wenn er doch zerbrochen war? Wird sich alles wiederholen? Oder un-geschehen?

Beginnt die Sehnsucht erneut, genauso wie sie damals geendet hat?
Die Tastatur wirkt schmutzig im bläulichen Licht des Monitors. Purpur-braune Flecken, die jemand notdürftig wegzuwischen versucht hat. Ich bewege die Maus, obwohl ich es nicht will. Und gleichzeitig brenne ich darauf, die Nachricht zu lesen, denn sie ist von Malekin.

Malekin.

Hörst Du mich?
Gut.

Dinge geschehen.
Gute Dinge.
Amüsante Dinge.
Böse Dinge.

Oh! Ich werde die Tastatur reinigen müssen. Soviel rote Fingerabdrücke.
Ist das jetzt gleichbedeutend mit in Blut geschriebenen Lettern?

Ich bin Regensburg.
Achte auf Dinge.
Erforsche neue Muster.

Zeit - sie zerrinnt zwischen den Fingern. Eigentlich müßte sie sich Rot färben.
Ich habe nun weniger.
Ich vermeine zu spüren, wie Alter, das nicht mein ist, in mir gärt.
Der Abt.

Nein, fürchtet nicht.
Er ist in mir, aber er selbst hat mich stark gemacht, damals, als ich schwach war und sein Opfer.
Sein 'Ich' ist verloren und wird nie mehr zurückkehren, so wie Antonio bei Thomas.
Denn Malekin hat ihn zerrieben, zerfasert, verhungert.

 

Aufnahme

Entlassung