Sie sind. Alle. Der verkrampfte Berliner, der sich vorhin mit der Hysterikerin aus Bayern in die Haare gekriegt hat, die vier Grazien aus Düsseldorf, die jeden schulmeisterlich ermahnen, sich doch zu entspannen, die Oma in engen rosa Radlerhosen - Panoptikum des Schreckens. Gut, daß ich viel zu lesen dabei habe. Hoffentlich kann ich mich bei den Besichtigungen abseilen!
Kairo.
El Cahira, die Siegreiche. Diese Stadt kann jeden besiegen, nur nicht sich
selbst.
Sie liegt unter einer undurchdringlichen Kuppel aus Smog. Daß die Sonne
es überhaupt schafft, die Luft so aufzuheizen, ist ein Wunder. Alles
ist von einer feinen, grauen Staubschicht bedeckt, als wollte die Wüste
daran erinnern, daß dieses Land ihr gehört und daß sie es
sich eines Tages zurückholen wird.Abgesehen von Staub und Smog ist die
Stadt, jedenfalls die Teile, die wir zu sehen bekommen, unerwartet sauber.
Alles andere ist genauso, wie man es sich vorstellt: dichter Verkehr, der
offenbar nur durch Hupen geregelt wird, Geschrei, Garagenläden, die Obst,
Zeitungen oder Tabak anbieten und den Besitzern gleichzeitig als Wohnung dienen,
olivhäutige Männer mit wilden Bärten, wie man sie im Fernsehen
sieht, wenn es wieder mal ein Bombenattentat gegeben hat, Frauen in allen
Verschleierungsgraden... Zu hause macht mich der Anblick einer verschleierten
Frau immer auf eine unbestimmte Weise ärgerlich. Hier ist das komischerweise
anders. Einmal steht in einer engen Gasse plötzlich eine von oben bis
unten in beige Tücher
gehüllte Gestalt dicht vor mir. Einen Augenblick sehen mich die cremebraunen Augen - das einzige, was von ihr sichtbar ist - forschend an, das Tuch über ihrem Mund bewegt sich kaum merklich, und ein paar endlose Sekunden lang bin ich überzeugt, daß sie die schönste Frau ist, die ich je gesehen habe.
Alabastermoschee.
Ich war noch nie bewußt in einer Moschee. Als ganz kleines Kind vielleicht
mit meinem Vater, aber ich kann mich nicht erinnern. Kein bleibender Eindruck.
Mit meinen staubigen Schuhen in der Hand betrete ich zögernd den Innenhof.
Wie gedämpft hier alle Geräusche wirken, trotz der vielen Menschen,
trotzt der Renovierungsarbeiten, trotz des Verkehrs der übervölkerten
Stadt. Ich habe das Bedürfnis, ehrfürchtig niederzuknien, wie manchmal
in großen Kirchen. Dasselbe Gefühl, trotz der völlig unterschiedlichen
Umgebung. Und das, obwohl ich nichtmal an irgendwelche Götter glaube.Der
Ausblick auf die an sich selbst erstickende Stadt ist nicht halb so deprimierend
wie die Kommentare meiner z.T. unglaublich primitiven Mitreisenden.
Ich verzichte auf
beides und ziehe mich in den Schatten eines Mimosenbaumes zurück, wo
ich dem Gespräch zwischen zwei Ägyptern lausche - rauhe, heisere
Laute in dieser tiefen, harten Sprache, die klingt, als ob sie streiten, obwohl
sie sich anlächeln...
Langsam beginne ich, Ägypten zu fühlen.
Ägyptisches Museum.
Die Gesellschaft meiner Reisegruppe ist nicht zu ertragen. Sie lärmen,
beschweren sich, daß die Dinge hier nicht so wie zu Hause sind (warum
sind sie nicht daheimgeblieben?), schießen nur Fotos, wenn mindestens
einer von ihnen im Bild ist, haben wahrscheinlich sogar Schwierigkeiten, Ägypten
zu buchstabieren. Eigentlich sollte ich dankbar sein und es genießen
- ich fühle mich unvergleichlich intelligent,
gebildet, überlegen. Doch anstatt mir die dummen Kommentare über
diese wundervollen Artefakte anzuhören, setze ich mich lieber ab und
erkunde die Geheimnisse der Vergangenheit für mich allein.