Es ist seltsam, allein in München zu sein. Natürlich, da sind all die anderen Vampire. Nächste Woche ist ein Elysium, sogar mit internationalen Gästen. Christopher hat uns eingeladen, und ich habe zugesagt. Ohne mich besonders vor dem zu fürchten, was an diesem Abend passieren könnte. Ich habe kein Problem, ohne Malekin dorthin zu gehen, auch wenn ich den wenigsten der Münchner Vampiren vertraue. Und am wenigsten mir selbst. Und doch... ich weiß, daß ich es kann. Ich kann mich selbst kontrollieren. Ich werde Malekin keine Schande machen. Weder ihn noch mich blamieren. Jeden Test bestehen. Wenn ich an seinen Blick denke am Abend des Tribunals, an den Unterton in seiner Stimme - Du hast was getan? - an das Schweigen zwischen ihm und dem Abt in St. Vitus, dann weiß ich, daß ich alles kann, alles können muß, um so etwas nicht noch einmal auszulösen.
Seit Malekin fort ist,
bin ich mir sicher, daß Vampire träumen. Ich zumindest. Und das
nicht nur im Schlaf. Regel Nr. 6. Ich sehe
ihn oft, wenn ich tags die Augen schließe. Als könnte ich beobachten,
was er gerade tut. In einem Sektionssaal, zusammen mit anderen Vampiren in
einem Lokal, auf nächtlichen kahlen Hügeln, am Fluß, der das
Mondlicht einfängt und tausendfach zerbricht....
Und ein Traum kehrt immer wieder. Einer dieser Träume, aus denen man
aufwacht und nach Luft schnappt, als hätte man im Schlaf vergessen zu
atmen. Was eine sehr menschliche Sichtweise der Dinge ist. Oder sehr typisch
für mich. Doch im Schlaf kann ich nicht gegen den erstickenden Durst
nach Sauerstoff an. Ich sitze aufrecht in der Badewanne und ringe nach Atem,
gefangen in diesem Traum...
Ein dunkles Gebäude, alt, etwas heruntergekommen. Es kommt mir bekannt
vor, aber ich kann mich nicht erinnern, wo ich es schon
einmal gesehen habe.
Die Fenster sind vergittert, dicke Mauern, die selbst die größte
Sommerhitze abhalten müssen. Die Wände unverputzt, voller undichter
Stellen - oder sind das keine Wasserflecken? Trotz der Stille scheint das
Gebäude erfüllt von leidvollen Erinnerungen. Es ist niemand hier
außer Malekin und mir. Ich drehe mich zu ihm um, will ihn fragen, wo
wir sind, und warum es mir so bekannt vorkommt, und warum ich so ein ungutes
Gefühl habe, und erstarre, als ich den Schrecken in seinen Augen sehe.
Eine Tür ist plötzlich zwischen uns, und sie fällt ins Schloß,
bevor ich bei ihm sein kann. Durch das vergitterte Fenster in der Tür
kann ich sehen, wie die Mauern zum Leben erwachen, wie sich Konturen abzeichnen,
Gestalten sich aus den Wänden schälen, auf ihn zukommen, ihn einkreisen
-
Das ist der Moment, wo ich aufwache und nicht schreien kann, weil ich keine
Luft bekomme. Ich wünschte, ich wüßte, was dieser Traum zu
bedeuten hat. Ich wünschte, Malekin wäre hier, um mit mir darüber
zu sprechen.
Doch er ist nicht
hier, und ich weiß, daß es ihm gut geht, also macht es keinen
Sinn, Träumen nachzuhängen.
Ich sollte ausgehen und etwas über die Welt lernen. Oder das Buch Nod
studieren. Doch ich bin abgelenkt. Starre in die Flamme der Kerze, die neben
meinem Computer brennt. Es ist wichtig, in der Öffentlichkeit keine Angst
vor Feuer zu zeigen, hat Malekin gesagt. Also nutze ich die Zeit seiner Abwesenheit
zum Üben. Vielleicht freut er sich, wenn er wiederkommt. Malekin...
Ich verliere mich im Flackern der Flamme, tanze mit den Schatten um sie herum,
lasse ihre Hitze die Wellen der Angst, die sie verursacht, verdampfen, tanze
mit dem Feuer...
Es war einmal.
Wer hat das gesagt? Woher kam diese Stimme? Es war nicht mehr als ein Flüstern,
aber so deutlich, als stände jemand direkt hinter mir. Und sie klang
so... vertraut? Das ist nicht der richtige Ausdruck. So wenig fremd? Ich kannte
die Stimme nicht, aber der Tonfall, in dem sie sprach, war mir vertraut. Was
hat das zu bedeuten? Wer möchte mir eine Geschichte erzählen? Wo
soll ich den Erzähler suchen?
Ist das ein Spiel? Curiosity killed Katinka...
Ich wünschte, ich könnte Malekin fragen. Doch das muß ich
wohl alleine herausfinden.