Testet den Inhalt des
Glases, bevor er es vor uns hinstellt. Wie früher. Das Blut schmeckt
bittersüß, denn in die süße Erinnerung mischt sich die
Erkenntnis, dass es nicht mehr so ist wie früher. Du mußt das jetzt
alleine können.
Meine nostalgischen
Gedanken werden unterbrochen, als ich von der Tür her eine vertraute
Stimme höre. Und etwas in dieser Stimme läßt mich schnell
aufstehen und nachsehen.
Dort im Halbdunkel sehe ich Thomasso, nicht den, den ich in den letzten Wochen
kennengelernt habe, nicht den beängstigenden, kalten, heiseren, toten,
sondern Thomas Kantner, den jungen Vampir aus der jungen Domäne München,
den Mann, der mit einem verschmitzten, unaufdringlichen Lächeln einen
Werwolfkopf als Gastgeschenk vor die Füße des Innsbrucker Prinzen
wirft. Ich unterdrücke den Impuls, ihn zu umarmen. Denn da ist noch etwas
anderes, dicht, viel zu dicht unter der Oberfläche, etwas das Thomas
Kantner anspannt wie eine Bogensehne, und nur darauf wartet, zum tödlichen
Geschoss zu werden.
Anna spürt was ich spüre, denn auch sie zögert. Flüstert
einen Namen. Antonio.
Ich wünschte, wir könnten etwas für ihn tun, sage ich. Weißt
du, was er für dich getan hat, Anna?
Ich erzähle ihr von seinem Brief, und jetzt hält sie nichts mehr.
Sie fällt Thomas um den Hals. Gutes Kind. Er schiebt sie weg, und ich
kann selbst auf die Entfernung sehen, welche Überwindung es ihn kostet.
Das kann so nicht weitergehen. Ich weiss nicht, was wir tun können, aber
irgend etwas müssen wir tun. Wenn es einem allein nicht einfällt,
dann vielleicht allen zusammen. Josefa ist schon bei ihm, und ich gehe Herrn
Krell holen. Auch wenn er erst kaum glaubt, dass es wirklich sein alter Freund
Thomas ist. Einen Augenblick lang überwältigt mich die Erkenntnis,
dass Thomas einmal Krells Ghoul war, und dass er wahrscheinlich vorhatte,
ihn zum Vampir zu machen. Was muss es für ihn bedeuten, Thomas als Kind
der Giovanni zu sehen? Ständig vor seiner Nase, und doch meilenweit entfernt?
Was muss es für Thomas bedeuten, in einer so streng organisierten Familie
gelandet sein, anstatt bei dem Clan, den bestehende Hierarchien am wenigsten
interessieren? Einem Clan, der seinem früheren Wesen vielleicht viel
besser entsprochen hätte? Ich muss die Monstrosität dieser Erkenntnis
abschütteln, bevor ich Krell nach draussen folgen kann.
Josefa spricht beruhigend auf Thomasso ein. Verzweifelt beruhigend. Ich kenne
diesen Tonfall.