26. Mai 2001
Kopfschmerzen. Nicht stark, nur ganz leise im Hintergrund, wie das enervierende Summen einer Wasserleitung in einem stillen Wohnhaus in der Nacht. Ich ignoriere sie so gut es geht und versuche, das Bild aus einem Traum beiseite zu schieben, von dem ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn überhaupt geträumt habe: Malekin, im blaukalten Licht des Monitors über die Tastatur gebeugt, zusammengekrümmt, wie besessen schreibend, und überall Blut, alles voller Blut, sein Gesicht, seine Kleidung, die Tastatur, der Boden, die Wand...
Wenn ich das wirklich geträumt hätte, hätte ich sicher nicht so gut geschlafen.
Ich schüttle diese düsteren Gedanken ab und verlasse den schattigen Hauseingang, in dem ich innegehalten habe, in Richtung des Gästehauses der Geschwister Leberecht. Der Prinz hat eine Konklave einberufen. Eine Konklave, kein Elysium. Will sie wirklich nur die Primogene sprechen?
Malekin hat mich vorausgeschickt. Er denkt, es könnte heute einige wichtige Ereignisse geben, die wir nicht verpassen sollten. Er selbst wird später nachkommen, weil er... Migräne hat. Er hat oft Migräne am frühen Abend. Ich wünschte, ich könnte ihm etwas davon abnehmen, doch er läßt mich nicht an sich heran, als hätte er Angst davor, daß ich sehen könnte, wie sehr er darunter leidet. Und er hat recht, ich hasse die Vorstellung, daß ihm etwas Schmerzen zufügt.
Es wird ihm bald besser gehen.
Im hell erleuchteten Gästehaus sind bereits einige Vampire versammelt, die Stimmung ist angenehm ruhig, die Anspannung und Aufregung des letzten Treffens, an das ich mich nur sehr ungern erinnere, ist nur noch sehr schwach zu spüren. Ich forsche in den Gesichtern nach Reaktionen auf mein Erscheinen. Mißt irgendjemand meinem peinlichen Ventrue-Auftritt vom letzten Mal Bedeutung bei? Doch statt dem erwarteten Spott finde ich nur höflich geheucheltes Interesse. Mein Glück, daß mein Clan nicht ernstgenommen wird? Oder mein Pech?
Josefa springt auf, als sie mich sieht, stürzt auf mich zu und fällt mir um den Hals. Und läßt mich gar nicht mehr los. Habe ich etwas verpaßt?
Ja, natürlich geht es mir gut. Ist etwas passiert? Geht es Dir gut, Josefa?
Jetzt wo ich da bin, geht es ihr wieder gut, sagt sie. Muß ich das verstehen?
Sie fragt ungewöhnlich besorgt nach Malekin. Ich entschuldigen ihn und sage, er wird später nachkommen. Warum zuckt sie bei dem Wort Migräne zusammen?
Thomas Kantner gesellt sich zu uns, packt mich und drückt mich fast so heftig an sich wie Josefa. Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Sind sie so froh, mich nicht mehr als Ventrue erleben zu müssen? Doch keiner verliert ein Wort darüber. Auch Thomas fragt nach Malekin. Ich überzeuge ihn, daß es ihm gut geht. Warum fällt es mir so schwer, das zu sagen? Bei dem Wort Migräne wechseln die beiden vielsagende Blicke, und mein Magen zieht sich zusammen.
Es geht ihm gut. Es geht dir gut.
Dabei fällt mir ein, ich sollte diese Gelegenheit nutzen, um vor Publikum zu üben, was ich kürzlich gelernt habe. Ich lehne das von Johann (wessen Ghoul ist er eigentlich?) angebotene Glas Blut ab und bitte statt dessen um ein Glas Mineralwasser. Kohlensäure ist eine ziemliche Herausforderung. Aber es funktioniert. Thomas gibt mir gute Ratschläge und legt mir ermutigend die Hand auf die Schulter. Josefa greift nach meinem Arm. Warum können sie heute die Hände nicht von mir lassen? Habe ich was verpaßt?
In dem Moment, als mich beide gleichzeitig berühren, verändert sich der Raum. Es ist dunkel, wir sind an einem See. Ein Spiegel, den man nicht zerbrechen kann. Ein Ort, den man nicht betritt, wenn man nicht...
Ihr wart hinter dem Spiegel!
Ich spüre eine lange vergessene Gegenwart, spüre ihre erstickende Nähe, spüre wie sie alle ihre Töchter um sich versammelt, aber das Muster ist falsch, nicht ich bin es, mit der sie tanzen wollen, ich spüre ihren Spott und ihre Genugtuung darüber, daß sie jemand anderen in ihren Armen halten, spüre kaum, wie Josefa und Thomas mich nach draußen zerren, spüre den Blick der Königin in meinem Nacken.
Ihr wart auf der anderen Seite! Habt ihr sie gesehen? Habt ihr sie mitgebracht? Habt ihr Sie mitgebracht?
Sie wissen, wovon ich spreche, aber sie verstehen nicht. Das ist gut. Denn wenn sie verstünden...
Aufnahme

Entlassung