Obwohl
ich weiß, daß es überlebenswichtig ist, kann ich nicht richtig
zuhören, während sie verschiedene Taktiken diskutieren. Ich kann nur
in den friedlich fallenden Schnee starren und fürchten, was mich heute
nacht erwartet. Grünes Feuer? Oder rotes...? Wie viele Töchter die
Angst doch hat.
Angst vor dem, was mir geschehen wird. Vor dem Schmerz, dem Besiegtwerden, der
Vernichtung. Bringt mein totes Herz zum Schlagen.
Angst, viel größere Angst vor dem, was ich heute nacht tun werde.
Vor dem Geruch des Blutes, dem schwindelerregenden, unstillbaren Verlangen nach
Vita. Ich habe seit Tagen nicht mehr Essen geübt, und doch ist mir so übel
wie nach einem Glas Prosecco.
Angst, namenlose Angst davor, daß das, was wir tun, grundfalsch ist. Daß
es eine andere Möglichkeit gibt. Einen Weg, das Töten zu vermeiden.
Daß wir nicht so sicher sind, wie wir vorgeben, und daß wir nur
zu bequem sind, uns etwas besseres auszudenken. Schlimmer: daß ich nur
den Mund aufmachen müßte, um die anderen von diesem entsetzlichen
Vorhaben abzubringen. Angst? Gewißheit...?
Mein Name fällt. Ich verlasse das Tanzparkett und kehre zurück in
das, was die anderen als Wirklichkeit bezeichnen. Lasalle hat offenbar etwas
über meine Fähigkeiten herausgefunden. Ist wirklich niemand anders
in der Lage, das selbe zu tun? Alle sehen mich erwartungsvoll an. Der Blick
des Prinzen sagt unmißverständlich, daß sie heute abend keine
Zurückhaltung und kein Kneifen dulden wird. Ich spüre, wie meine Hände
anfangen zu zittern. Kann ich nicht wieder zurück in den Ballsaal? Doch
die Wirklichkeit hält mich gefangen. Der Schnee hüllt mich mit seiner
Stille ein, erhellt die Nacht, berührt kalt meine kalte Haut, fällt
um mich herum wie die Scherben des Spiegels. Ich höre eine Krähe schreien
und spüre, wie sich ihre Blicke auf mich richten.
Ich spüre - Malekin. Einen kurzen Augenblick lang nur, ein Aufflackern
wie die Reflexion einer Kerze im Spiegel, doch das genügt. Was immer heute
nacht geschieht, ich werde ihn nicht noch einmal enttäuschen. Ich darf
nicht. Ich bin Malekin.
Ich nehme Lasalle am Arm und wir werden eins mit der Nacht. Wir nähern
uns dem Gelände, das von hohen Zäunen umgeben ist. Ist das ein stillgelegter
Truppenübungsplatz? Ich sehe Stacheldraht, Überwachungskameras, Absperrungen,
Schranken... Und Menschen.
Menschen,
die von unserem Blut abhängig sind. Die durch unsere Schuld zu etwas wurden,
das wir nicht mehr als Menschen ansehen.
Sie stehen hinter der Schranke, automatische Waffen in den Händen, und
warten auf uns. Dabei unterhalten sie sich über Dinge, die sie tun werden,
wenn diese Nacht vorbei ist. Dinge, die Menschen tun. Fernsehen, Ausgehen, Essen,
Sex. Das sind die Ungeheuer, die einen der ihren lobotomieren, um einen vertrauenswürdigen
Boten aus ihm zu machen? Die brutalen Killer, die Hagen Schneider umgebracht
haben? Die verabscheuungswürdigen Junkies, die alles für einen Schluck
unseres Blutes tun würden? Ich sehe nur Menschen vor mir. Ich kann das
nicht!
Doch ich bleibe neben Lasalle stehen, warte mit ihm auf eine Gelegenheit, bis
wir durch das Tor schlüpfen können, und wir sehen uns auf dem Gelände
um. Ich versuche, die Ghoule zu zählen, 20, 30, viel mehr. Und sie haben
Flammenwerfer. Wie sollen wir hier heil rauskommen?
Lasalle sieht, was ich sehe, er zählt die Gegner und schätzt ihre
Feuerkraft ein, denkt über Taktiken und Vorgehensweisen nach, während
ich nur den Drang niederkämpfen kann, schreiend wegzulaufen. Wir schleichen
um das vordere Gebäude herum und stoßen weiter hinten auf ein zweites,
hell erleuchtetes. Durch die Fenster bietet sich ein Bild des Grauens: ein medizinisches
Labor, überall halbverweste Körperteile und monströse Untersuchungsinstrumente.
Auf dem Tisch fixiert liegt ein nackter Mann, blutüberströmt, aber
offenbar bei Bewußtsein. Eine Frau im Krankenschwestern-Kittel steht über
ihn gebeugt und hat ein Skalpell in der Hand... Lasalle zieht mich weiter, wir
können dem Mann jetzt nicht helfen. Ich muß alle meine Konzentration
aufbringen, um uns verborgen zu halten.
Der Sheriff beschließt,
daß wir zunächst einige Gefangene machen sollten, um noch mehr Informationen
zu bekommen. Wieder müssen wir warten, bis eine der Wachen sich etwas von
den anderen entfernt. Lasalle schlägt ihn mit dem Knauf seines Schwertes
nieder, und bevor jemand etwas bemerkt, ist der Mensch bei uns hinter den Schatten.
Ohne größere Mühe schleift Lasalle ihn nach draußen und
läßt ihn schließlich vor die Füße des Prinzen fallen.