Infernal Desire
Was für ein verheißungsvoller Name für eine Party. Unheilverheißend. Was für eine Rolle werden wir dort spielen? Objekte der Begierde? Die Begierde selbst? Oder das Inferno?
Was Malfeis wohl mit seiner Einladung bezweckt? Solche Feste finden offenbar regelmäßig an verschiedenen Orten und ohne bestimmten Anlaß statt. Dieses soll seine Antwort auf die Frage sein, was es bedeutet, Vampir zu sein. Kommt mir irgendwie bekannt vor. War das in Wirklichkeit Malekins Idee? In jedem Fall wird es wohl viel zu lernen geben.
Das wenige, was ich über das Fest weiß, ist alles andere als ermutigend. Jeder Vampir muß ein menschliches Spielzeug mitbringen. Malfeis hat uns welche besorgt. An diese Art von Vokabular muß ich mich erst noch gewöhnen.
Und dann der Dress Code. Malfeis - typisch - hat sich alles andere als klar ausgedrückt, was eigentlich verlangt ist. Aber die wenigen schwarzen Kleidungsstücke, die ich besitze, waren offenbar nicht angebracht. Also hat er auch Kleidung für mich besorgt. Sagt er. Gezeigt hat er sie mir noch nicht. Ich ahne schlimmes.
Doch meine schlimmsten Befürchtungen werden übertroffen: was ich tragen soll ist kaum mehr als Unterwäsche, von der Sorte, bei der man nicht den Stoff sondern die freigelassenen Stellen zahlt und so auf einen ziemlich hohen Preis kommt. Was wird das für ein Fest, bei dem man zwingend solche Kleidung tragen muß? Was für Lektionen sind das, die ich heute lernen soll? Aber lernen muß ich, also Augen auf und durch! Ich lege Make-up auf, nicht so wie für die Arbeit, sondern nur dunklen Lippenstift, schwarzen Kajal und etwas Puder, um die Spuren meiner Krankheit zu verdecken, die zu verwischen ich noch nicht gelernt habe. Wer sieht mich da aus dem Spiegel an? Ich kenne diese viel zu großen, dunklen Augen aus zahllosen Träumen. Was wirst du dir antun, sagen sie wie jedesmal. Und zum erstenmal: Gefalle ich dir?
Nein, tust du nicht. Ich drehe mich um und lasse sie mit ihrer Schönheit allein im Spiegel zurück.
Wenigstens lacht Malekin nicht, als er mich in diesem Outfit sieht. Er hat sogar das selbe Tatoo am Hals wie ich. Ich sollte versuchen, diesen Abend mit Humor zu nehmen. Aber das ungute Gefühl in der Magengegend bleibt. Daran ändert auch Malfeis Kleidung nichts, eher im Gegenteil. Kleidung ist das falsche Wort. Stricke.
Als wir unsere Unterkunft verlassen, schlägt eine Glocke irgendwo in der Nähe. Hohl, unheimlich, mahnend. Was kündigt sie wohl an? Ich wickle mich enger in meinen Mantel und versuche mich zu erinnern, wie ich früher gefroren hätte, wenn ich so herumgelaufen wäre. Wie schnell man vergißt...
Und wie seltsam verändert alles wirkt, was mir früher so selbstverständlich erschien. Wir laufen durch die menschenleeren, neonbeleuchteten Straßen und unsere Umgebung spricht zu uns.
Aus einem Fenster starrt uns ein Stofftier an; ich versuche dem bohrenden, leeren Blick ein paar Augenblicke standzuhalten, bevor ich weitergehe. Vorbei an einer Arztpraxis für Lungen- und Bronchialerkrankungen. Ich muß lachen. Am liebsten würde ich kurz vorbeischauen, nur um der alten Zeiten willen. Aber es wird noch lustiger. Am Ende einer langen Reihe von Arztpraxen (eine Zahnarztpraxis wirbt mit einem großen Neon-Zahn!) passieren wir ein Schild: Dr. Vogler. Neu-, Gebraucht- und Leasingfahrzeuge. Darunter ein Pfeil nach rechts mit der Aufschrift ‚Zu den Ärzten'. Vielleicht wird der Abend doch amüsant.
Doch Malekin weckt meine Zweifel wieder, als wir an einem großen, beleuchteten Gebäudekomplex - ein Krankenhaus? - vorbeikommen. Er zögert, bleibt stehen, dreht sich nach dem Gebäude um. Dieser abwesende Blick in seinen Augen erschreckt mich. So sehr, daß ich fast froh bin, als wir schließlich das Gamberinos erreichen und er gezwungen ist, seine Umgebung wieder wahrzunehmen.
Nur fast froh. Meine Outfit ist im Vergleich zu dem, was hier zu sehen ist, harmlos bis langweilig. Fesseln. Masken. Halfter aus Stricken und Leder. Ketten. Verbundenen Augen. Zerschnittene Kleidung, die alles freiläßt, was normale Kleidung bedecken sollte. Verbände. Bodypaintings. Piercings an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Und nichts davon trägt dazu bei, daß ich mich in meinem Aufzug auch nur einen Deut besser fühle.
Malfeis stellt uns ‚unsere' Menschen vor, Maria und Ellen. Sie sind ein Geschenk an uns. Welpen unter dem Christbaum? Malekin lehnt das Geschenk ab, stellvertretend für uns beide. Gut so. Ich will gar nicht über die Möglichkeit nachdenken müssen, mich über Ellens Rollstuhl zu beugen, die Wärme ihrer Haut zu riechen, dem Blut in ihren Adern zu lauschen...
Aufnahme

Entlassung