02.10.2002
Eine Einladung von Herrn Wolfenstein. Ein Ravnos lädt zum Feiern. Die einzige Feier, die ich mir momentan vorstellen könnte zu ertragen, ist eine mit vielen starken Drogen. Also ist das hier wohl die Gelegenheit. Haha.
Der wirkliche Grund, warum ich hier bin, ist Anna. Ich will sie nicht dort allein lassen. Mit ihm. Dem bösen Wolf. Treusorgend wie ich bin.
Der wirkliche Grund, warum ich hier bin, ist meine neue Domäne. Mein Prinz ist eingeladen, und ich halte es für angemessen, dieser Einladung ebenfalls zu folgen. Präsenz zeigen.
Der wirkliche Grund, warum ich hier bin, ist die Tür. Sie ist geschlossen, aber sie öffnet sich in unregelmäßigen Abständen, und diese qualvolle, süße halbe Sekunde, bevor ich sehe, wer hereinkommt, in der ich mir einbilden kann, es wäre Malekin, ist es wert, mein neues Domizil zu verlassen und die Gesellschaft der anderen zu ertragen.
Anna sieht müde aus. Blass. Spürt sie, was Malekin spürt? Oder muten wir ihr zu viel zu? Kann ich überhaupt noch ermessen, wie vernichtend unsere Gesellschaft sich auf die geistige Verfassung eines Menschen auswirkt? Wie können wir von ihr erwarten, mit all dem einfach so fertigzuwerden?
Aber sie beklagt sich nicht. Sie lacht. Drückt mich. Warm. Lebendig. Immer noch.
Und sie sorgt sich um mich. Bemerkt sofort meine eigene Blässe, meine blutig gekratzen Hände und die abgebissenen Fingernägel. Und meinen Husten. Gutes Kind. Und wenn Dir ein frierendes Kindlein begegnete, würdest Du ihm Deine Kleider geben, bis Du nichts hättest als ein Leibchen.
Herr Wolfenstein reicht mir ein Glas mit Blut. Ich unterdrücke den Impuls, abzulehnen. Ich bin kein Kind mehr. Ich muss das jetzt alleine können. Es spielt keine Rolle, ob ich die Fähigkeit besitze, festzustellen, ob dieses Blut irgendwelche schädlichen... Dinge enthält. Es geht darum, erwachsen zu werden. Auf mich selber aufzupassen. Weil er es nicht mehr tut.
Herr Wolfenstein ist weit gereist, und hat Nachholbedarf bezüglich der aktuellen Lage in München. Die aktuelle Lage scheint schlimm, denn fast alle Anwesenden sind schwer bewaffnet. Ist es wieder soweit? Die Unruhe vor dem Sturm.
Setiten. Sagen sie. Sabbat. Sagen sie. Und versuchen darüber hinwegzutäuschen, dass keiner so recht weiss, was uns eigentlich bedroht.

Wir sprechen über die Ereignisse in Dortmund - nicht meinen Verrat, keiner scheint das bemerkt zu haben. Es ist ja auch kein Malkavianer ausser mir hier. Und Nikolai wird sich hüten, herumzuerzählen, dass er einem Malkavianer etwas verdankt. Auch egal, ich will gar nicht mehr daran denken.
Gina erzählt von einem Ahn aus Konstantinopel, der auf dem Weg nach München sei, Lasalle abholen. Aber Herr Vanderbilt will Lasalle nicht herausgeben. Also könnte es grossen Ärger geben. Doch keiner ist bereit, Herrn Vanderbilt irgendeinen Gegenwert für Lasalle zu bieten, um diesen Ärger abzuwenden.
Sie werden schon wissen warum.
Frau Velazquez spricht davon, dass die Patrizier einen Großteil der deutschen Domänen kontrollieren, und wie unerträglich dieser Zustand sei. Anna schaut mich fragend an. "Sind die Patrizier etwas schlimmes?"
Ja, bin ich versucht zu sagen, denn sie sind Vampire.
"Auch nicht schlimmer oder besser als die anderen. Ob die Patrizier oder die Plebejer regieren, ist genauso folgenlos wie das Ergebnis der Bundestagswahl neulich. Aber es ärgert die einen, wenn die anderen an der Macht sind."
Anna lacht und treibt kleine Spiegelsplitter in mein Herz. Ich würde gerne mit ihr über eine Sache sprechen, die mir nicht aus dem Kopf geht. Nur einer in jeder Generation... Wenn unser Blut zu dünn wird... Du bist die letzte... Unsere Regeln, die ungeschriebenen, sind zersplittert und setzen sich neu zusammen. Was wenn aus der Asche dieses Chaos' ein Phönix der Möglichkeit aufsteigt? Könnte Anna dann...? Ich wage es nicht einmal zu Ende zu denken.
Sie steht auf und fordert mich zum Tanzen auf.
Tanzen. Das letzte Mal habe ich mit Malekin getanzt, so lange her, so weit weg. Höllisches Verlangen. Wie soll ich tanzen, wenn die Musik in mir übertönt wird von einem einzigen, höllischen, verlangenden Schrei? Malekin. Doch Anna beginnt zu tanzen, und wie Kaa die Affen zieht sie mich in ihren Bann. Dann kommt die Sonne, singt Rammstein. Ich hole mir ein zweites Glas und tanze mit ihr, gebe mich dem schmerzvollen Rhythmus der Musik hin, dem grellbunten Licht, und kann mich doch nicht verlieren, denn meine Augen hängen an der Tür. Ich gebe auf und setze mich. Anna tanzt für mich weiter.
Aufnahme

Entlassung