Die
Musik verblasst, und ihre Bewegungen zeichnen eine eigene, wundersame Melodie
in den Raum. Ihr langes Haar fällt ihr ins Gesicht, teilt es in zwei perfekte
Hälften, hell unter dunkel, schwarz auf weiss. Ich will die Vollkommenheit
dieses Bildes mit ihrem roten Blut unterstreichen. Will mir einbilden, dass
ich sie um der dunklen Hälfte willen haben will, um der Düsternis
und der Verzweiflung und der Sehnsucht willen. Nicht um der strahlend reinen
Helligkeit willen. Spieglein, Spieglein...
Nur langsam dringt die Erkenntnis zu mir vor, dass Gregor Ponte mit mir spricht.
Mit halbem Ohr höre ich ihm zu, beantworte seine Fragen. Er hat von mir
gehört.
Diablerie. Haben Sie eine Ahnung, wie es ist, von einem Vampir zu trinken? Natürlich
hat er, sonst wäre er nicht hier. Kann er sich erinnern, wie unmöglich
schwer es war aufzuhören? Natürlich, wie könnte er vergessen.
Versteht er mich? Kaum. Kann ich es ihm verübeln? Nein. Nichts ändert
etwas an der Tatsache, dass ich ein abscheuliches Verbrechen begangen, dass
ich getötet habe. Aber das scheint ihn nicht so sehr zu interessieren.
Viel mehr hält er mir zugute, dass ich fähig bin zu kämpfen.
Ist er sich sicher, dass er mich als Kampfgefährtin will? Vielleicht sollte
er Jacques de Molay fragen, was ich bereit bin, um gewisser Prioritäten
willen zu verraten. Doch meine Skepsis kann seine Zuversicht nicht erschüttern,
er verlässt mich zufrieden, um weitere Streiter anzuwerben.
Anna kommt zu mir. Sie ist das eine, was ich nicht verraten würde. Sie
und Malekin. Oder? Oder?
"Anna. Ich möchte, dass Du mir etwas versprichst. Ich weiss, die Frage
ob du eine von uns wirst, stellt sich wahrscheinlich schon nicht mehr. Aber
ich will, dass du frei entscheiden kannst, was du wirst. Es liegt nicht in meiner
Macht, dir diese Freiheit zu geben, aber ich möchte, dass du mir versprichst,
dass du nur tust, was du für dich willst, wenn du kannst."
Sie lächelt und
Gerdas Tränen wuschen den Splitter des Spiegels aus Kais Auge
nimmt meine Hände.
"Es ist schon lange keine Frage mehr, was ich werden will. Wen ich will.
Es ist nur noch eine Frage der Zeit."
Anna! Sag nicht solche Dinge!
"Sie
kommen! Sie kommen hierher! Sie werden uns alle töten!"
Noch bevor ich erkenne, wessen Stimme das ist, explodiert der Raum in Maschinengewehrfeuer.
Der Vampir, der schreiend hereingestürmt ist, geht zu Boden, aber er hört
nicht auf zu schreien.
"Sie kommen! Die Militia kommt!"
Herr Krell! Am Rande meines Bewußtseins dämmert die Erkenntnis, dass
er uns vor etwas warnen will, aber sie wird von der Freude verdrängt, dass
er wohlauf und wieder hier ist. Nicht wohlauf. Sie haben ihn niedergeschossen!
Ist die Gefahr so groß, dass sie so nervös sein müssen? Nein,
wahrscheinlich sind ihnen die Streuverluste einfach nur egal, und sie sind immer
so trigger-happy.
Herr Wolfenstein hilft Krell, bevor ich bei ihm sein kann.
"Die Militia Angelorum ist unterwegs hierher! Sie werden uns alle vernichten!"
Militia Angelorum? Klingt nach Kirche.
"Vampirjäger", erklärt jemand. Und jemand anderes drückt
mir eine Maschinenpistole in die Hand. Als ob ich mit so einem Ding umgehen
könnte! Ich kann es kaum halten. Soll ich wieder töten?
Anna! Ich muss auf Anna aufpassen. Sie hat sich mit ein paar anderen hinter
der Bar verkrochen. Der Rest bezieht Stellung um die Tür. Die einzige Eingangstür.
Wir sind gefangen!
Ich lege die Waffe auf den Tresen. Für das was ich tun muss, kann ich sie
nicht gebrauchen.
"Anna, ich kann uns hier rausbringen. Du musst dich ganz dicht bei mir
halten und still sein, dann schaffen wir das. Und wenn mir etwas passiert...
Wenn es Vampirjäger sind, werden sie dir nichts tun wollen. Du musst ihnen
sagen, dass du ein Mensch bist."
Sie schüttelt unwillig den Kopf, aber ich weiss, dass sie sich daran halten
wird, was ich sage. Ich nehme sie beim Arm und ziehe sie mit mir hinter die
Schatten, zur Tür... Und erstarre. Dort steht ein großes, haariges,
monströses Etwas. Es hat uns den Rücken zugekehrt und steht nur da,
aber etwas an seiner Haltung sagt mir, dass er sich schneller umdrehen und springen
kann, als ich das Wort Werwolf denken könnte. Wie kommt dieses Ding hierher?
Und Großmutter, warum hast du so grosse Zähne?