Als sie mir außerdem noch zwei Holzpflöcke gibt, muß ich ein hysterisches Lachen unterdrücken. Niemals kann ich so ein Ding in jemanden reinstecken!
Die Scherze verstummen, jeder konzentriert sich auf seine Vorbereitungen. Ich bin nicht die einzige, die ein nervöses Husten nicht unterdrücken kann. Und wer mir heute Abend erzählt, er rauche nur um der Maskerade willen, dem werde ich einen längeren Aufenthalt in St. Vitus zur tiefenpsychologischen Selbstanalyse empfehlen.
Der Gedanke an die Klause macht mich noch nervöser. Ich kämpfe gegen den Impuls, über meine Schulter zu schauen - da ist nichts hinter mir! - und suche Trost am Himmel. Genau in diesem Moment bricht die Wolkendecke auf und der Mond kommt zum Vorschein. Genau in diesem Moment kommt Malekin.
Die Welt um mich herum verändert sich. Das Mondlicht wird klarer, heller, die Kälte deutlicher zu spüren, das unterdrückte Flüstern um mich herum lauter. Gleichzeitig weicht alles vor mir zurück, als würde die Realität einen Augenblick lang überrascht den Atem anhalten.
Seit dem letzten Elysium habe ich mir nichts anderes gewünscht, als daß Malekin dasselbe mit mir tun würde wie unser Ahn an jenem Abend. Ich habe nicht gewagt ihn darum zu bitten oder auch nur zu fragen, ob er es kann, vielleicht aus Angst, daß er es sich nicht ebenso wünschen würde wie ich. Doch jetzt ist er hier, in mir, und alles ist ganz anders als an diesem Abend. Damals war es schmerzvoll, furchterregend, ich war machtlos, hilflos ausgeliefert. Etwas Fremdes war in mir, ein Eindringling. Jetzt bin ich sicher, geborgen. Erfüllt. Glücklich. Komplett. Die Scherben des Spiegels fügen sich zu dem Wort 'Ewigkeit'. Wir sind Malekin.
Vor mir liegt die gefährlichste Nacht meines Unlebens, und ich bin wunschlos glücklich. Regel Nummer 4 oder Regel Nummer 5? Vielleicht auch Nummer 6. Oder das Gegenteil davon.
Wir brechen auf. Eine stumme Wagenprozession schleicht mit 80 auf der Autobahn ihrem Ziel entgegen. Schweigen in den Autos. Keiner weiß mehr etwas zu sagen. Was sagt man im Angesicht des Todes, das nicht belanglos klingen würde?
Der nächste Parkplatz, wieder warten. Immer noch Schweigen.
Nur um die Zeit totzuschlagen frage ich Christopher nach seinem Glücksbringer, den er nervös in der Hand hin und her dreht.
Niemals hätte ich erwartet, daß er ihn mir geben würde.
Er hat ihn selbst geschenkt bekommen, sagt er.
Was ist mit der passiert, die ihn Ihnen geschenkt hat?
Er versteht nicht. Glück verschenkt man nicht, erkläre ich.
Offenbar ist das in diesem Fall nicht anwendbar. Doch über die genaue Wirkung des Amuletts kann er mir selbst nichts sagen. Gut, dann werde ich es eben für ihn testen. Ich wünsche ihm Glück und hoffe, daß Hans seinen Goldklumpen nicht gegen einen Schluck Wasser getauscht hat. Warum sind nur alle so rührend nett zu mir?
Malekin ist in mir, um mich, überall. Die Sonne meines Universums, um die alle meine Planeten kreisen. Nichts kann mir so etwas anhaben. Nicht das Warten, nicht die sorgenvollen Blicke der anderen, das nervöse Spielen mit den Waffen, die geflüsterten Anweisungen aus den Funkgeräten. Nicht einmal der schwierige Aufstieg über die vereisten Treppen.
Ein Kreuzgang. Stationen des Leidens. Blut und Tränen. Die gedämpfte, klagende Stimme einer einzelnen Glocke. Fast zu offensichtlich für ein Muster, in dem man lesen könnte. Grünes Feuer heute Nacht? Beobachten? Oder mehr...?
Josefa wird immer langsamer, als würde sie das Treppensteigen wirklich anstrengen. Ich kann tatsächlich lachen, als sie tut, als wäre sie außer Atem und auf die verdammten Zigaretten flucht. Alte Gewohnheiten. Aber auch die anderen zögern, als würde sie etwas physikalisch davon abhalten, zügig weiterzugehen.
Ich spüre mein Herz schlagen, als wir endlich oben ankommen, und ich weiß, daß es vor Angst schlägt, aber ich spüre die Angst nicht. Hast du es vergessen, Geliebte? Wir haben dich besiegt. Wir sind Malekin.
Als letzte Gruppe betreten wir den Bunker. Ich bemerke den Fehler in dem Moment, in dem die Tür hinter uns ins Schloß fällt, aber es ist zu spät. Die Tür ist verschlossen, kein Weg, sie zu öffnen. Angeblich gibt es noch einen zweiten Ausgang. Doch dazu müssen wir unweigerlich den Bunker durchqueren. Also Augen zu und durch?
Noch auf der Treppe nach unten hören wir die Schreie. Wer kann so schreien? Oder vielmehr, was kann jemanden dazu bringen, so zu schreien? So gequält. So anhaltend. So kurz vor der Grenze des Wahnsinns.

Aufnahme

Entlassung