[Katinka erwacht an einem trüben Februarmorgen. Ihr Kopf schmerzt. Um ihr Bett sind zahllose Kerzen aufgestellt, halb abgebrannt. Die CD-Anlage blinkt im Standby-Modus, die Lautstärke ist auf maximaler Stärke. Ihre CDs sind durcheinander auf dem Boden, genauso ihre Bücher. Ihr Arm schmerzt und sie entdeckt eine bläulich verfärbte Einstichstelle in ihrer Ellenbeuge. Ein wenig Blut hat auch das Laken benetzt. Sie hustet, wie jeden Morgen, bis sich ihre Bronchien wieder etwas beruhigt haben. Sie weiß, wer sie besucht hat. Doch keine Bißspur an ihrem Hals, keine Nachricht auf ihrem Nachttisch. Sie mustert wieder das Chaos und irgendwie entdeckt sie eine Art seltsames Muster, daß sich ihr auch sofort wieder entzieht, so das sie ihren Blick immer wieder über die angeordneten Bücher, herausgerissenen Seiten und zerbrochenen CDs wandern lassen muß, aber niemals die Nachricht fassen kann, die vielleicht irgendwo zu finden sein mag. Nur ein weiterer, böser Scherz.
Nur ihr Computer wurde nicht in das Chaos einbezogen. Auch er auf Standby, irgendein lächerlicher Bildschirmschoner flackert über den Monitor. Sie steht auf und so fällt das Atmen etwas leichter. Ihr Herz schlägt, als sie die Maus antippt. Ein Dokument.]

Katinka!
Ich wünsche Dir einen guten Morgen! Ich danke Dir für Deine Gastfreundschaft, wir hatten eine schöne Nacht! Ich habe Dein Tagebuch gelesen.
Doch quid pro quo, nein?
Es ist nur gerecht. Was von meinem Tagebuch Wahrheit oder Lüge ist, kann ich Dir nicht sagen. Ich habe Dir kein Leid angetan, während Du schliefst.
Noch ein Rat. Carpe diem.
Malekin


Samstag, 27.11.96
Der Kunstpark. Ich streife durch die Menge, bin einer von ihnen. Universen treiben zwischen den Fabrikgebäuden, kollidieren, fusionieren, implodieren, explodieren. Letzteres ist meistens unappetitlich. Wie sehr ich mir wünsche, nur ein Universum unter ihnen zu sein. Aber sie alle sind nur durch mich existent und wenn ich verlösche, dann verlöschen sie auch. Dieser Gedanke stimmt mich traurig, ich will nicht, daß das Netz zerreißt. Malfeis nennt sie meine Xenopersönlichkeiten, Maria meine Spinnerei und ich nenne es Lüge.

Ich wandle unter ihnen, lasse mich anrempeln, unterziehe mich den prüfenden Blicken der Türsteher, nehme Anteil an der Masse. Ich muß nicht Vampir sein, um mich einem Fremdkörper gleich in ihre Gesellschaft einzuschleichen. Ich bin Phobiker, Neurotiker, Schizoider. Aber das ist die falsche Abgrenzung, all das sind sie auch. Aber ich war in der Anstalt. Bei Malekin.
Mich dürstet und ich lasse mich in die Dunkelheit treiben. Ein Universum taumelt heran, zweifelsohne schon jetzt betrunken. Es explodiert vor meine Füße. Ich sagte ja. Unappetitlich. Ich gehe, durstig, aber eine Erfahrung reicher. Noch etwas, daß ich üben muß. Zunächst aber: Atmen. Kondensation ist alles.
Auf dem Weg ins Shockers habe ich das Vergnügen, Malfeis bei der Jagd zu beobachten. Wie typisch! Sie ist bleich und ich wittere ihre Krankheit, als sie an mir vorübergeht. Ich dehne meine Wahrnehmung aus und der schale Duft von mürbem Wachs hängt in der Luft, quillt träge aus ihrem Mund und ihrer Nase. Tuberkelbakterien. Doch darum kümmert sich Malfeis nicht, es ist ihre Blässe, die ihn anzieht.
Planänderung.

Sonntag, 28.11.96
Aufregung! Wie erquicklich. Die Schwindsüchtige erinnert sich, wie man vernimmt. Ach, natürlich mag es nur Zufall sein, daß sie just in dieser Nacht wieder im Shockers ist und Malfeis und Maria beobachtet. Ah, Malfeis, Du spielst also. Wird sie wie eine Maus hypnotisiert in Deine Augen blicken? Wirst Du sie verschlingen, mit Haut und Haar? Oder wird wieder dieser melancholische Zug in deine Augen treten?
Ich sollte mich bereithalten. Vielleicht muß ich in Kürze wieder jemanden von seinen Erinnerungen kurieren. Und dann wie immer: Der Malk' hat seine Schuldigkeit getan, der Malk' kann gehen...
Aber halt! Er spricht mit ihr. Oder besser - sie mit ihm. Hat sich den ganzen Abend ein Herz gefaßt, das arme Ding. Und jetzt wendet sie sich ausgerechnet an die Schlange!
Gut, ich gebe es zu, meine Neugier ist geweckt. Wie sonst soll ich etwas über mich lernen, wenn nicht durch meine Xenopersönlichkeiten. Blödes Wort.


Aufnahme

Entlassung