[Malekins Wohnung. Alles ist für ein Fest vorbereitet, abgestimmt auf den besonderen Geschmack der Gäste. Die Wohnung wirkt irreal, bizarr. Bilder hängen schief. Auf dem Kopf. Überall Zettel mit seltsamen Notizen. Spiegel, kein Raum ohne Spiegel. Soll diese Einrichtung die Gäste täuschen? Nur eine Wand ist noch weiß.]

04.03.97
Eine weiße Wand.
Jungfräulich, wenn ich mir diesen Scherz erlauben darf. Er trifft auf seine Weise zu, selbst, wenn es nur eine weiße Wand ist. Meine Leinwand.

Ich will versuchen, einmal so klar wie möglich zu sein. Versuchen, zu erklären.
Vor Jahrhunderten kroch eine Fähigkeit durch das malkavianische Blut. Wir waren alle davon befallen. Oder gesegnet. Einige sagen, es wäre Malkavs Erbe, da wir sein Blut aus der feuchten Erde saugten. Andere führen es auf Kain zurück.Oder personifizierte sich nur unsere Krankheit in uns?

Tatsache bleibt: Wir können es nicht mehr. Nur wenige noch. Aber es werden wieder mehr werden. Wie dem auch sei. Wir alle spüren den Nachhall in unserem Blut. Das ferne Echo unserer verlorenen Disziplin. Um ihr einen Namen zu geben, nahm man das Wort 'Dementis'. Dementation.
Technisch gesprochen befähigte sie die Alten, den Wahnsinn wahrzunehmen, zu focusieren, zu kanalisieren. Sie wenden sie an in fester Absicht und ohne jede Kontrolle, gegenüber anderen und gegenüber sich selbst. Wie wirkt sie sich aus? Gibt es eine schwierigere Frage? So wenig greifbar wie die Frage: "Was ist Wahnsinn, Irrsinn?" Ich wähne mich in der Irre? Ich irre im Wahn. Wirrsinn? Unsinn.
Was ich weiß. In Malekin ist der Nachhall lauter. Und manchmal sehen wir Dinge, die mehr sind als Photome oder Pareidolie. Zumindest bilden wir uns das so lange ein, bis wir es glauben. Ich sehe die Zeichen. Ich lese die Welt als Rätsel. Lasse mich treiben in einem Fluß, dessen Strömungen mich in alle Richtungen zerren und mehr. Lasse mich fangen in einem Netz, dessen Fäden mich durchbohren.

Klarer geht es nicht. Verzeih.
Bald aber wirst Du so wenig verstehen wie ich.

Die Wand. Es ist nicht viel Zeit, denn meine Gäste werden bald eintreffen. Ich komme zu mir.
Schon die Einladungen hat sie zum Lachen gereizt, zum Schmunzeln, zur Verachtung. Ich mache mich über mich selbst lustig. Gut so.
Die Wand.

Manchmal geht es von ganz alleine. Für heute wähle ich Musik. Sie macht vieles leichter.
Ich lege die CD ein und programmiere die ewige Wiederholung eines Liedes. Was für eine schöne Vorstellung. Die Umarmung als Druck auf die Repeat-Taste. Monotonie kann sehr hilfreich sein. Ich gönne es mir, auf den Text zu hören. Ich weiß natürlich, jeder Text kann auf die eigene Situation bezogen werden. Man muß nur lange genug hinhören.
Gut, schuldig.

[I was angry when I met you / I think I'm angry still / We can try to talk it over / If you say you'll help me out]

Zorn. Ein gutes Gefühl. Ich beginne mit den Bösen Dingen. Die linke untere Ecke scheint mir passend. Seltsam. Ich habe noch nie versucht, die Dementation umzusetzen. Sonst sehe ich etwas und empfinde es. Hier empfinde ich und mache es sichtbar. Spannend.
Von St. Vitus habe ich berichtet. Von Faeselius. Malekin. Das wird sie verstehen.

[Don't worry baby / No need to fight / Don't worry baby / We'll be all right]

Malekin, mein Vater. Bin ich nicht ein guter Schüler? Hatten wir nicht viel Freude in den leeren Gängen der Klinik. Mit Rollstühlen rasten wir vorbei an den Türen, hinter denen die Patienten schliefen! Unsere Patienten. Und gelernt habe ich durch Dich. Von Kain. Von den Büchern. Vom Land Nod.

Aufnahme

Entlassung