Zurück in Kairo.
Ein letzter kurzer Tag in dieser wildwuchernden Stadt. Muhammed-Ali-Straße
und Seitenstraßen. Ein Markt, nicht für Touristen, sondern ein
richtiger, für Einheimische. Keine Skarabäen, keine falschen Bauchtanzkostüme,
kein gefälschter Safran. Statt dessen Säcke voller Schafwolle, billiges
Plastikgeschirr, fleckiges Obst und Gemüse, Fisch, Gebäck... Und
Schmutz. Lärm. Gestank. Fliegen. Realität.
Mopeds, Eselskarren und Pferdewagen kommen in den engen Gassen kaum gegen
die Masse von Fußgängern an. Jemand balanciert eine mannshohe Spanholzplatte
zwischen Einkäufern und Händlern hindurch, ein paar Schulkinder
rufen beim Anblick unserer hellen Haut Hello!' und freuen sich über
unsere Antwort, ohne daß wir ihnen Süßigkeiten oder Kugelschreiber
schenken. Die ausgelegten Waren sind z.T. völlig unidentifizierbar, genauso
wie die meisten Gerüche. Brennendes Holz. Pferdeäpfel. Falafel.
Tabak. Süßlicher Verwesungsgeruch vor den Metzgereien, beißender
Fischgestank an den Fischständen. Schweiß und Parfum. Eine berauschende
Mischung. Und trotz meiner hartnäckigen Erkältung extrem intensiv
riechbar. Ägypten! Die Leute lachen, wenn sie uns sehen, und es wirkt
ehrlich. Fröhlich. Spöttisch. Ein paar Männer rufen mir über
ihre Marktstände hinweg eindeutige Angebote nach.
(How many camels
for you?'). Und immer wieder Schulkinder, die ihr Englisch testen wollen.
So viel Leben!
Die Gasse wird immer enger, die Häuser neigen sich wie Bäume zueinander,
lassen kaum noch Licht durch. An der engsten Stelle werden die oberen Geschosse
durch ein Gerüst abgestützt, obwohl Gerüst für diese abenteuerliche
Konstruktion kaum das passende Wort ist. Und abgestützt vielleicht auch
nicht.
Wir landen in einem Kushary-Laden, wo außer uns nur Einheimische sind.
Endlich richtig ägypisches Essen. Kushary - gemischtes Allerlei aus Nudeln,
Reis, Erbsen, Linsen, Zwiebeln und einigen unidentifiziebaren Zutaten.
Einen Tisch weiter sitzt ein Mädchen, höchstens 16, mit seiner Mutter.
Eine hinreißende Mischung aus Schüchternheit und überschäumendem
Übermut. Das Kopftuch bedeckt nur ihre Haare und rahmt ihr weiches, ebenmäßiges
Gesicht streng ein.
Wenn sie ganz erwachsen ist, wird sie eine richtige Schönheit sein. Oder
ziemlich langweilig aussehen. Sie lacht zu mir herüber und ich lache
zurück, was mit vollem Mund gar nicht so einfach ist. Verflixter Husten!
Sie sagt etwas zu ihrer Mutter, schaut wieder her, lacht - und wirft mir einen
Kuß zu! Etwas verlegen schaue ich mich um, aber kein Zweifel, sie meint
mich. Noch ein Luftkuß. Was will sie? Jetzt schaut auch die Mutter her
und lächelt. Kinder! Sagt ihr Blick. Kurzentschlossen stehe ich auf und
setze mich zu den beiden, neben das Mädchen. Wenn sie so direkt ist,
passe ich mich eben an, gebe ihr die Hand - erstauntes Zögern, dann nimmt
sie sie schüchtern - und stelle mich auf Englisch vor. Mit etwas Dolmetschen
von der Mutter kommt Verständigung zustande. Sie heißt Ira, lacht
die ganze Zeit und kann kaum mehr als drei Worte Englisch. Die Mutter nur
geringfügig mehr, aber das reicht. Ich bin wahrscheinlich die erste Europäerin,
mit der sie spricht. I very happy see you. Sie lädt mich in ihr Dorf
ein. Wenn ich nicht heute abfliegen würde, würde ich alles stehen
und liegen lassen und sofort mitkommen. Verflucht!
Wir sprechen miteinander, sie arabisch, ich englisch, verstehen beide kein
Wort und haben jede Menge Spaß. Jedesmal, wenn ich huste, zieht sie
die Augenbrauen zusammen und schüttelt den Kopf wie eine strenge Mutter.
Ist Husten hier was unanständiges?