Das Tal der Königinnen.
Wir besichtigen das unterirdische Grab eines Sohnes von Ramses II. Bei seinem
Tod war er höchstens 12 Jahre alt. Die Wandreliefs sind phantastisch
klar und die Farbe kein bißchen abgeblättert oder verwaschen. Sie
zeigen die Reise des Toten in die Unterwelt. Für die meisten Rituale
ist der Königssohn zu jung. Deswegen hilft ihm sein Vater, er steht zwischen
dem Jungen und den Göttern, bringt sein Kind sicher nach Hause, an den
Ort, an dem er ihm erst so viel später folgen kann.
Nur in einem kleinen Nebenraum fehlt der Vater. Der Sohn, nackt bis auf den
Lendenschurz und mit rasiertem Kopf, steht alleine Anubis gegenüber.
Aufrecht und stolz sieht er dem schakalköpfigen Totengott in die Augen.
Tapferer Junge. Aber warum sieht er mich so an?
Die Luft in dem Grab steht seit Jahrtausenden, nur unwesentlich bewegt durch
die Touristenmassen. Eine Horde Italiener fällt in die Kammer ein, lärmend
drängen immer mehr nach. Verstopfen den Raum und verbrauchen die wenige
Luft, die da ist. Mir wird schwindelig, ich kann ganz plötzlich nicht
mehr atmen. Italiener blockieren den Ausgang, drängen mich zurück,
ich muß Schultern und Ellbogen einsetzen, um herauszukommen. Ich tue
es ohne zögern, untypisch brutal. Bloß raus hier! Atmen!
Kom Ombo.
Ein Tempel für Krokodile. Natürlich ist es in Wirklichkeit ein Tempel
für Götter, sogar für zwei gleichzeitig, Sobek, das Krokodil,
und Horus, den Falken. Aber Krokodile beherrschen den Tempel. Der unterirdische
Zugang zum Nil, die Becken, in die Treppen hinunterführen - wozu?? -
und die dreitausend Jahre alten Krokodilmumien lassen keinen Zweifel, dieser
Tempel wurde nicht von Menschen geleitet.
Beeindruckend wie
alle anderen Tempel. Aber langsam werden es einfach zu viele, um es noch genießen
zu können. Dann noch die Hitze, die vielen Treppen und der Staub... ich
muß dauernd husten. Vielleicht ist das auch die Klimaanlage, ich sollte
sie zum Schlafen ausschalten.
Lästig.
Der Tempel von Edfu.
Ein fast quadratischer Bau, gigantische Reliefs an den Außenwänden,
Horus in Gestalt eines Falken bewacht den Eingang. Die Innenwände zeigen
den Kampf zwischen ihm und seinem Bruder Seth. Kein Wunder daß Seth
Horus beneidet hat. Ich hätte auch lieber den Kopf eines Falken als den
eines Erdferkels. Allerdings glaube ich wirklich, daß dem Forscher,
der diesen Kopf als Erdferkel identifiziert hat, grundlegende Biologiekenntnisse
fehlten. Das ist eindeutig ein Krokodil. Oder eine Schlange?
Monotheistische Religionen verherrlichen ihre Götter (oder muß
das heißen: ihren jeweiligen Gott) viel mehr als pantheistische. Im
Christentum etc. müssen es die Menschen sein, die die Sünden begehen,
Fehden beginnen, gegen Gebote verstoßen. Gott steht nur drüber
und schaut voller Tadel und völlig tatenlos zu. Bei Religionen mit mehreren
Göttern sind es die Götter selbst, die sich benehmen wie die Menschen.
Sie sind uns ähnlicher, lebendiger, viel weniger berechenbar und viel
besser zu verstehen.
Kain und Abel - Seth und Horus, wo ist der Unterschied?
Die menschlichen Brüder - ein heimlicher Mord auf einem Feld, von der
Welt kaum bemerkt, eine entsetzliche Sünde, die den Mörder auf immer
verdammt.
Die göttlichen Geschwister - ein tagelanger, aufsehenerregender Kampf,
der den Nil aufwühlt, die eigentlich unbeteiligten Menschen in Gefahr
bringt, und doch haben sie keine Wahl, als den Sieg des einen über den
anderen als glorreichstes Ereignis ihrer Geschichte auf immer in Stein zu
verewigen.
Macht das, was ich schreibe, irgendeinen Sinn? Es liest sich nicht so wie
das, was ich schreiben wollte. Religion ist etwas seltsames.
Das innere des Tempels ist hoffnungslos überfüllt. Mir wird schon
wieder mulmig, aber ich kann mich zusammenreißen. Einer Italienerin
gelingt das nicht; ich kann in Zeitlupe beobachten, wie sie ohnmächtig
wird.
Ihr Blick wird starr, unfokussiert, auf etwas gerichtet, das nur sie sieht.
Ihre Knie knicken ein, doch noch funktionieren die Reflexe, sie fängt
sich, greift nach dem Arm ihrer Freundin, die erschrocken aufschreit. Sie
macht noch einen Schritt in die Richtung, in die sie gerade gehen wollte.