31.10.02
Samhain. Der Prinz von Freising lädt zu einem religiösen Fest. Soll dieses heidnische Ritual dazu dienen, uns vom Christentum abzusetzen, dessen Anhänger uns vor so kurzer Zeit beinahe ausgelöscht haben? Und ausgerechnet ein Fest, das dazu da sein soll, böse Geister auszutreiben. Richtet sich das nicht genau an uns?
Und doch... ich mag Halloween. Habe es immer dem Fasching vorgezogen, der uns so vertraut und selbstverständlich ist, dass er seinen Wurzeln so viel ferner ist als sein herbstliches Pendant.
Vielleicht werden wir heute nacht tatsächlich Geister austreiben. Oder, wahrscheinlicher, neue Geister rufen. Besen, Besen, seid's gewesen...
Wir kommen gemeinsam an. Wieder zu zweit. Das Beil des Zauberlehrlings hat uns entzwei gespalten, und jetzt können wir mit vereinten Kräften noch besser Wasser tragen. Und aus irgendeinem Grund mache ich mir überhaupt keine Sorgen, was geschieht, wenn der Meister zurückkehrt, um die Sache zu beenden. Bin ich verrückt? Wahrscheinlich.
Anna steht vor der Tür und wartet. Nervös. Aufgebracht. Und mit diesem Glitzern in den Augen, das sagt, ich habe etwas gesehen, das ich nicht sehen will, aber es wird mehr brauchen, um mich zum Umkehren zu bewegen. Tapferes Kind.
Es riecht nach Blut. Es muss etwas passiert sein, aber das interessiert mich nicht so recht. Was mich interessiert, ist Anna. Die Art, wie sie dasteht. Das Funkeln in ihren Augen. Das Mondlicht in ihrem Haar. Das Feuer in ihrem Herzen. Mein.
Wir stehen eine Weile reglos und betrachten sie, sind um sie herum wie eine Vorahnung, bis die Spannung die Luft zum Knistern bringt. Knusper, Knusper, Knäuschen...
Warum Spannung? Ich lasse die Wahrnehmung dessen, was ausserhalb von Anna zu existieren scheint, zu mir durchdringen, und mir wird klar, dass etwas schlimmes geschehen sein muss. Der Boden vor dem Eingang ist schwarz von Blut, und es ist kein menschliches.
Wir lassen den Schleier aus Schatten los, der uns so angenehm von der Realität getrennt hat. Anna nimmt sich nicht die Zeit für Überraschung, erst recht nicht für förmliche Begrüßungen.
Gregor hat Georges angegriffen. Ihm seine Klauen in den Leib gerammt und sein Innerstes nach außen gekehrt.
Warum?
Wegen mir, sagt Anna leise. Weil Georges mich beschützen wollte.
Gibt es eigentlich Regel Nummer 8? Alles wiederholt sich? Jeder Fehler, jeder Kampf, jeder Schmerz. Und jede Lüge.
Der einzige Grund, warum Georges' Blut den Boden ziert, warum Josefa, sicherlich zornentbrannt, das Elysium verlassen musste, um ihren fast vernichteten Bruder in Sicherheit zu bringen, ist, dass Gregor Ponte Brujah ist. Dass er Klauen hat, die zerfetzen können, Kraft um zu zerquetschen, und diese wütende Flamme in sich, die jedes vernünftige Denken auffrißt. Weil er es kann. Das ist der Grund. Ich weiss es. Ich lerne von den Brujah.
Aber darüber will ich mit Anna jetzt nicht sprechen. Sie wirkt so... glücklich? Eine Mischung aus friedlich und aufgedreht, die schwer zu beschreiben ist.
Ich habe heute morgen den Sonnenaufgang gesehen, sagt sie. Es war so schön. Ich wünschte, ich könnte es dir richtig beschreiben?
Weißt du denn nicht, dass jedes Wort aus deinem Mund schöner ist als tausend Sonnenaufgänge? Dass du die Sonne bist, um die wir kreisen? Mein.

Wir begrüßen die anwesenden Ahnen - Darwin Arrum ist gekommen, wohl, um der jungen Domäne, die von einem nicht mehr ganz Camarilla-Clan regiert wird, einen Hauch von Autorität und Existenzberechtigung zu verleihen. Gut. So lange er nicht wieder jemanden zum Mord anstiftet.
Malfeis ist auch hier. Doch nicht etwa aus Neugier? Sollte seine Gegenwart Unheil verheißen? Mein Magen krampft sich zusammen. Ich kann förmlich seine Stimme hören: Sind Sie sicher, dass Sie das tun können, was Sie vorhaben?
Kann ich es? Ich habe keine Ahnung, ob ich es technisch kann.
Kann ich es? Wie könnte ich --- sie töten? Niemals.
Kann ich es? Wie könnte ich nicht. Mein.

Ich versuche, meine eigenen Gedanken zu ignorieren und unterhalte mich mit Anna. Verliere mich in ihren Worten wie sich meine Hände in ihren Haaren verwickeln würden, würde ich sie berühren. Mein.
Malekin kommt an unseren Tisch und bringt uns etwas zu Trinken.

Aufnahme

Entlassung