Der
Prinz von Freising spricht zu seinen Gästen, doch ich kann ihren Worten
nicht folgen. Was habe ich da vor? Wie kann ich...
Mein Name fällt. Der Prinz hat mich angesprochen. Verwirrt trete ich vor.
Habe ich etwas falsch gemacht?
"Hiermit bestimme ich Katinka Malekin zur Harpyie von Freising."
Was? Mich? Wie...? Warum?
Harpyie?
Mein Blick sucht Malekin, doch im Dunkeln kann ich seine Augen nicht sehen.
Harpyie. Würde es ihm gefallen, wenn sein Kind in seine Fußstapfen
tritt?
Dann setzt mein Denken wieder ein. Ich kann wohl kaum ablehnen, wenn mein Prinz
mir ein Amt verleiht. Stotternd bedanke ich mich, und bin Harpyie.
Kann ich das überhaupt? Mit einem leisen Anflug von Panik wird mir klar,
dass ich mir jetzt alle Namen, Titel, Ämter und den Status jeder einzelnen
Person merken muss, nicht nur hier in Freising, sondern auch in München,
und von allen Gästen. Ob Malekin mir helfen wird? Oder muss ich das jetzt
alleine können?
Ich suche seine Nähe. Seinen Blick. Ist das Stolz? Und... Wehmut?
"Du bist flügge geworden", sagt er lächelnd, und seine Worte
versetzen mir einen Stich. Verlass mich nicht, Vater. Ich will immer dein Kind
sein. Nie wieder will ich in einer Welt sein, in der es kein Salz gibt.
Ich kämpfe das Bedürfnis nieder, mich vor ihm zu Boden zu werfen und
seine Knie zu umklammern, und versuche, mich statt dessen meinem neuen Amt entsprechend
für die Dinge zu interessieren, die zwischen den Wichtigen unter den Anwesenden
gesprochen werden. Es scheint irgendeinen Streit zwischen Herrn Krell und Herrn
McConnor zu geben. Schließlich fordert der Ventrue den Brujah zum Ehrenduell.
Den Fehler hat schon einmal jemand begangen. Ich weiss nicht mehr, wer mir diese
Geschichte wann erzählt hat, aber Krells Wahl der Waffen ist diesmal genauso
tödlich wie damals: er wählt das Schachbrett. Man kann McConnor ansehen,
dass das nicht seine erste Wahl ist. Aber was will er dagegen tun? Doch er ist
einfallsreich: er legt den Zeitpunkt des Duells fest. Auf 10 Minuten vor Sonnenaufgang.
Das bedeutet, dass nicht der bessere Schachspieler gewinnt, sonder der mit dem
höheren UV-Schutz. Schiebung.
Bevor ich darüber nachdenken kann, habe ich schon den Mund aufgemacht.
Befreie
Krell - in meiner neuen Funktion als Harpyie - von der Ehrenpflicht, das Duell
unter diesen Umständen abzuhalten. Das war ja einfach. Die Anwesenden -
bis auf McConnor - sind amüsiert und manche spenden sogar Beifall. Vielleicht
ist dieses Amt ja gar nicht so übel.
Vielleicht verleiht es dem, was ich gleich tun will, auch etwas mehr Gewicht.
Falls es nötig ist. Zumindest beim Prinzen, der mich ja ernannt hat.
Der offizielle Teil scheint beendet. Jetzt oder nie.
Ich knie vor dem Prinzen nieder. Hebe die Stimme. Und bitte sie offiziell um
die Erlaubnis, Anna zu einer der unseren zu machen.
"Es ist schon lange an der Zeit", sagt sie. Und erteilt mir die Erlaubnis.
Mein.
Jetzt kann ich nicht mehr zurück. Schon gar nicht, wenn ich das Leuchten
in Annas Augen sehe. Werde ich dieses Licht brechen und zum Erlöschen bringen?
Mond, was willst du mit einem Kind aus Fleisch und Blut?
Thomasso spricht zu den Anwesenden. Er stellt klar, dass die Familie niemandem
etwas schenkt. Dass Anna der Preis ist für das, was Malekin für ihn
getan hat. Dass er sie als Zeichen des guten Willens der Familie uns überlässt.
Auf dass wir in Zukunft... gute Beziehungen... Zusammenarbeit... Wohlwollen..
Ich finde seine Augen, und sehe, dass es anders ist. Sehe, dass er Anna liebt
und sie deswegen frei sein lässt. Frei sein. Das, was Toth am meisten wollte.
Wird sie frei sein, wenn sie mein ist? Mein.
Ich werde Thomas Kantner auf ewig dankbar sein. Für sein Geschenk an Anna.
Und dafür, dass es unter Vampiren Freundschaft gibt, denn niemand verkörpert
diese Tatsache mehr als er. Mille grazie, amico.
Malfeis steht hinter mir. Wie so oft. Gleich wird er mich ansehen, wissen, was
mich bewegt, und mit wenigen Worten dem Ungeheuer Zweifel mehr Macht über
mich verleihen, als ich jemals selbst hatte. Doch - er schweigt. Regel Nummer
2?