Ein
Mensch, in seinem eigenen Blut auf dem mit Plastikfolie abgedeckten Teppich
liegend. Und... Krell.
Ich sehe Wiedererkennen in Thomas' Augen aufleuchten.
Ja, weiter so, die Tür ist zu, lobt Josefa. Jetzt wirf musst du eine Mauer
bauen, du musst die Tür zumauern, so dass das, was dahinter ist, niemals
durchkommen wird.
Eine Mauer... so schwere Arbeit. Das wird er allein nicht schaffen, nicht schnell
genug. Er braucht unsere Hilfe. Er kann die Steine schleppen, aber wir müssen
dafür Sorge tragen, dass sie zusammenhalten. Er kann die Brotkrumen streuen,
aber wir müssen dafür sorgen, dass die Krähen sie nicht auffressen.
Dass der Mond auch hell genug scheint.
Ich halte seine Hand, die Hände der anderen fest, und spüre den Mörtel,
der uns die Steine aneinander bindet, und der sie uns nie wieder
loslassen wird.
Es ist vollbracht. Antonio ist hinter der Mauer, und wenn er tobt wie ein Zwerg
mit eingeklemmtem Bart,
so wird er sie doch nicht durchdringen. Und nur ganz hinten in meinem Kopf regt
sich ein kleines, zwölfzüngiges Ungeheuer namens Zweifel. Wo ist Christopher?
Doch es wird von einem anderen, ungewohnten Gefühl in die Ecke gedrängt.
Was ist das? Erleichterung? Entspannung? Hier, unter so vielen Vampiren?
Ich schlendere durch die Menge der Anwesenden, und fühle mich auf einmal
sehr fremd. Wo ist die Angst, die ich verspüren sollte? Wo die Abscheu
vor all den menschenfressenden Ungeheuern? Wohin muss ich zurückgehen,
um Katinka zu finden?
Meine Füße tragen mich nach draussen, ohne besondere Absicht. Dort
sind Malekin und Anna. Er beobachtet sie, und etwas in seinem Blick versetzt
mich zurück in eine andere Zeit. Katinka?
Sie trinkt. Red Bull. Anna. Mein.
Er nimmt ihr die Dose aus der Hand. Führt sie an die Lippen, nimmt ihren
Geruch, ihr Annas Wesen in sich auf. Lächelt. Erzählt Anna, wie es
ist, Blut zu trinken. Der Schrecken und die Sehnsucht, die in Annas Stimme liegen,
als sie antwortet, versetzen mich zurück in eine andere Zeit. Finde ich
dich hier wieder, Katinka?
Malekin fragt Anna, ob sie töten könnte, doch eigentlich stellt er
mir diese Frage. Er fragt sie, ob sie im richtigen Moment aufhören könnte,
doch die Frage ist an mich gerichtet, und die Erinnerung in mir nimmt mich mit
in eine andere Zeit. Die Nacht färbt sich rot wie Blut.
Ich
knie über ihr und schlage meine Zähne in ihren Hals und oh nein, ich
kann nicht aufhören, niemals, und oh ja, ich kann töten, es ist ganz
leicht und es schmeckt so gut... Katinka?
Gregor Ponte steht neben mir. Will mich wissen lassen, dass es seine Waffe war,
die den Priester - Bruder Paulus - getötet hat. Er hätte keinen passenderen
Zeitpunkt wählen können. Adieu Katinka.
Dann schulde ich Ihnen wohl etwas. Ich werde Sie in meine Gebete einschließen,
verspreche ich. Ob ihn das glücklich macht?
Was für einen Wahnsinn habe ich da nur vor? Wie kann ich Anna, ausgerechnet
Anna das antun? Sie zu einem Monster wie ich es bin machen? Werde ich mich dann
besser fühlen, weil ich nicht mehr allein das Monster bin?
Der Prinz hat Ankündigungen zu machen, und wir folgen seinem Aufruf.
Gina. Die wenigsten sehen wohl auf den ersten Blick den Prinzen in ihr. Aber
ich muss sagen, die Rolle steht ihr nicht schlecht. Zumal es nicht wie eine
Rolle wirkt. Es ist, als hätte sich eine schmale Person auf einen breiten
Thron gesetzt, und würde ihn unerwarteterweise völlig ausfüllen.
Sie begrüßt die Anwesenden, und beginnt ein Ritual, nicht um Magie
zu wirken, sondern um ein Fest zu begehen. Tod und Wiedergeburt, Vergehen und
Entstehen, der ewige Kreis. Jeder kann teilnehmen und etwas beisteuern. Ich
glaube nicht an Rituale, und bringe Anna mit meinem Spott zum Lachen, doch ich
kann nicht ganz verhindern, dass es mich in seinen Bann zieht. Vor allem als
die Tremere gemeinsam auftreten und dem Ritual etwas... wirklich mächtiges
hinzufügen.
Malekin steuert stellvertretend für die Malkavianer eine unserer größten
Stärken bei: unseren Zweifel. Boshaftes, zwölfzüngiges Ungeheuer.
Und ich zweifle. Aus vollem Herzen. Werde ich tun können, was ich heute
abend tun will? Nicht anders kann als zu wollen. Mein.
Ich habe getötet. Vampir. Den ich fürchtete. Mensch. Den ich nicht
kannte. Doch Anna? Die ich liebe? Wie könnte ich?
Und während Malekin spricht, schleicht sich ein neuer Schrecken in meine
Gedanken: Was, wenn mein Blut trotz allem nicht stark genug ist? Das Ungeheuer
richtet sich zu seiner vollen Größe auf, und verschlingt mich zärtlich.