Ich setze mich auf den
Bettrand und er kuschelt sich zurück in die Kissen, als wäre es
völlig normal, daß jemand Fremdes nachts zu ihm kommt und ihm eine
Geschichte erzählt.
Was möchtest du denn hören?
Was, was ich noch nicht kenne.
Hm. Das wird schwierig. Kennst du die Geschichte von Malekin?
Er schüttelt den Kopf und sieht mich neugierig an.
Es war einmal..., beginne ich.
Erst nachdem ich geendet habe, wird mir bewußt, daß diese Geschichte
für ein kleines Kind ziemlich traurig sein muß. Doch er sieht mich
nur aufmerksam an, als wäre das Ende der Geschichte noch nicht erreicht.
Bist du die Malekin aus der Geschichte?
Nein, das ist nur eine Geschichte, will ich antworten, doch etwas läßt
mich zögern. Dieses Kind verwirrt mich.
Kannst du jetzt schlafen?, frage ich statt einer Antwort.
Er nickt.
Gibst du mir noch einen Gutenachtkuß?
Ich erstarre. Weiß er, was er da von mir verlangt? Warum sieht er mich
so wissend an? Oder bilde ich mir das nur ein?
Gut. Aber mach schon mal die Augen zu, damit du auch gleich schläfst.
Gehorsam schließt er die Augen, legt den Kopf etwas zurück und
spitzt die Lippen.
Ein argloses Kind, das einen Gutenachtkuß will. Ein zarter Hals, unter
dessen heller Haut frisches, süßes Blut pulsiert. Mich verwirrt.
Verlockt. Verführt.
Ich beuge mich über sein Bett. Gebe ihm einen fürsorglichen Kinderkuß
auf den Mund. Verweile einen Augenblick in dieser Stellung, beuge mich etwas
tiefer hinunter, berühre mit den Lippen vorsichtig die weiche, warme
Haut, öffne den Mund, beiße zu, sachte, behutsam, um ihm nicht
wehzutun. Höre die Melodie, die sein Herzschlag für mich singt.
Trinke sein Blut, das köstlicher schmeckt als alles andere Menschenblut
zuvor. Trinke einen Herzschlag lang, zwei, drei -
Aus! Zurück! Hör sofort auf. Es ist genug! Mehr kann er nicht vertragen.
Ich weiche zurück, bis ich mit dem Rücken gegen den Schrank stoße.
Kai liegt friedlich in seinem Bett, atmet ruhig, scheint zu schlafen. Was
hat er mit mir gemacht? Hat er mir eine Lektion erteilt?