Es
gelingt mir mühelos, in den Schatten meiner eigenen Dunkelheit Zuflucht
zu nehmen. Ich weiß, daß auch andere diese Fähigkeit heute
nutzen. Hoffentlich stoße ich nicht mit jemandem zusammen.
Josefa und ich haben vereinbart, daß wir uns dicht bei McKinley halten,
so daß wir immer in der Nähe des anderen sind, auch wenn wir uns
nicht sehen können. Aber so, wie er sein Schwert schwingt, könnte
das schmerzhaft für uns beide werden. Trotzdem, mit einem gewissen Sicherheitsabstand
werde ich mich an unsere Vereinbarung halten. Und immer schön hinten bleiben.
Malekin ist bei mir. Was soll mir schon passieren?
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Nicht mir. Malekin. Etwas geschieht
mit Malekin. Er verläßt mich, zieht sich zurück. Er ist verletzt!
Sie greifen das Elysium an! Sie werden ihm wehtun! Sie werden Malekin etwas
antun! Wir müssen zurück!
Jeder Wunsch, mich zu verstecken, ist verschwunden, ich packe, wer gerade neben
mir steht, am Arm, schreie sie an, versuche ihnen begreiflich zu machen, was
passiert, daß wir sofort umkehren müssen, daß wir Malekin helfen
müssen daß ihm nichts geschehen darf daß ohne ihn alles aufhört
zu existieren sie alle daß ich nichts ohne ihn bin daß wir sofort
zurückmüssen bitte bitte bitte bitte!
Mit erstaunlicher Kraft hat mich Josefa nach draußen gezerrt und gegen
die Wand gedrückt. Sie will mir helfen, aber sie versteht nichts. Sie versteht
nicht, daß ich zu Malekin muß, daß der Sabbat hier völlig
egal ist, daß sie mich meinetwegen alle hören können, daß
sich verstecken sinnlos ist, daß ihre Versuche, mich zu dominieren, an
mir abprallen wie Wassertropfen an einem Spiegel, daß ich nicht aufhören
werde zu schreien, bis sie mich gehen lassen.
Malekin ist hier. Faeselius. Schweigen. Sei still, dummes Mädchen. Mein
Kind ist jetzt nicht wichtig. Du bist hier. Du wirst mit den anderen dort hinein
gehen und deinen Sire für diese Nacht vergessen. Du bist Malekin.
Ruhe breitet sich in mir aus. Die Schwester der Angst. Erstickend. Was mit Malekin
geschieht, ist weit entfernt. Ich kann das Gefühl dafür nicht festhalten.
Hilflos lasse ich mich von Josefa Malekin wieder nach drinnen führen.
Drinnen. Dunkle Gänge, Staub, Nebel - Rauch? - ein dumpfer Geruch in der
Luft. Angstvolles, atemloses Schweigen. Das Geräusch eines Bohrers. Und
immer wieder Schreie. Jenseits von Verzweiflung. Zu hause.
Angst,
Schmerz, Erleichterung, Angst vor neuem Schmerz. Wann wird dieser Ring zerbrechen?
Mein Ring! Ich habe meinen Ring vergessen! Was nützen mir Waffen und Kettenhemden
und Glücksamulette, wenn ich meinen Ring nicht habe?
Keine Zeit darüber nachzudenken. Im Schatten neben mir bewegt sich etwas,
und ich höre Josefa leise aufstöhnen. Dann verschmilzt, was auch immer
es war, wieder mit der Wand und ist verschwunden. Ich würde mich gerne
um Josefa kümmern, aber ich kann sie nicht sehen. Wenn sie Hilfe bräuchte,
würde sie sich hoffentlich zeigen?
Wir treffen auf die zweite Gruppe, und das Chaos beginnt. Keiner weiß,
wohin, und wie, und wo die erste Gruppe abgeblieben ist. Beratschlagungen, geflüsterte
Strategien, gezischte Anweisungen, leere Luft. Von Gegnern ist nichts zu sehen,
aber das will nichts heißen, vielleicht sind sie ja alle so verdunkelt
wie ich. Haben wir dann überhaupt eine Chance? Fast wäre es mir lieber,
schnell durch die Gänge zu laufen, anstatt jeden Schritt dreimal zu überlegen,
nur damit es vorbei ist. Fallen hin oder her.
Und auf Fallen stoßen wir. Das ist mehr als nur Absicherung des Hauptquartiers.
Es ist eindeutig klar, daß man uns erwartet. Nicht nur wegen der schweren
Eisenkugel, die an einer Kette von der Decke hängt - wen hat sie überrascht?
-, nicht nur wegen des blendenden Blitzlichts am Ende eines Ganges, nicht nur
wegen der Schatten am Eingang, sondern vor allem wegen der vielen Leichen, auf
die wir an jeder Ecke stoßen. Die erste Gruppe war wohl recht erfolgreich.
Jedenfalls ist keiner von ihnen darunter.
Ich halte mich so weit wie möglich hinten, schleiche geduckt an der Wand
entlang, versuche nahe bei McKinley zu bleiben, und trotz der allgemeinen Verwirrung
alle im Auge zu behalten. Ist diese Nacht eine Lektion? Eine ziemlich geschmacklose,
würde ich sagen. Und doch... es ist hochinteressant, zu beobachten, wie
sie sich gegenseitig mißtrauen, wie sie Pläne schmieden, ohne zu
wissen, wofür, wie sie versuchen, sich gegen das unausweichliche abzusichern.
Und wie sie zögern, als sie ahnen, daß wir fast am Ziel angekommen
sind.
Das Ende des Ganges
ist beleuchtet. Dort, hinter der Ecke, sind die Schreie. Und man hört Stimmen.
Lachen. Irres Lachen, das mir durch Mark und Bein geht. Und von Roelfs' Stimme.