Nur einer wandte sich an die anderen und fragte: "Was ist mit der Sonne?"
Und die anderen wußten es nicht. Jedem von ihnen war gesagt worden, das Ritual würde sie vor ihren Strahlen schützen, doch konnten sie sich sicher sein? Nein. Wurden sie mißtrauisch? Nein.
Ich dagegen spürte das Erwachen des Tages und wandte mich zu eiliger Flucht ins Dunkel von Katinkas - nun denn, es hilft nicht zu leugnen - Badewanne.
Was noch zu sagen bleibt - die Kainskinder wurden mißtrauisch. Als die Sonne sie verbrannte. Zumindest entnahm ich das den Schreien, die ich im Park vernahm, als die Sonne die Himmel rötete.

O! Kluger Malekin! Spotte über die anderen, aber vergiß nicht, Dir selbst ein gerüttelt Maß zu bedenken. Schon wähntest Du Katinka in ihrer Hand, schon war der Handel mit Thomas abgeschlossen, schon hattest Du sie aufgegeben!
Sie, die eine eigene Existenz hat. Die dich dementieren kann. Die zu Dämonen spricht. Sie, die graue, kranke Schwindsüchtige!
Es sollte ein Scherz sein, sie für eine Nacht ihrem neuen Herren zu stehlen. Scherze sind die Aufgabe des Narren. Sie sollen erheitern und lehrreich sein und man sollte auf den Narren hören, will man nicht wie ein Affe am Kronleuchter verbrennen. Sie hat mich eines besseren belehrt. Ihr Weg führt in den Tod oder in unsere Arme. Wo ist der Unterschied?

Jetzt lasse ich sie allein. Es gibt noch viel vorzubereiten. Malekins Stimme.

Donnerstag, 23.12.96, 18:03
Weihnachten steht vor der Türe. Soll ich mir ein Kostüm besorgen, einen Schornstein suchen und Blut und Kekse essen gehen? Ho. Ho. Ho.
Besser Kontrastprogramm. So viele Gottesdienste wie möglich besuchen. Heilige Kommunion. Dies sei mein Blut.
Gedanke: Ob sie Familie hat? Ich muß ihre Auslöschung vorbereiten. Süße Erinnerungen werden wach. Der nächtliche Gang der Geschlossenen. Nur die schale Notbeleuchtung. Krankenhausgeruch. Der Fernseher der Nachtpfleger. Blaues Flimmern auf Milchglasscheiben. Ich warte und friere. Der Boden ist kalt. Endlich der Kontrollgang.

In 5 Minuten haben sie meinen Ausriß entdeckt, aber in 5 Minuten habe ich telefoniert und bin hier weg! Sie verlassen das Stationszimmer, die Türe schwingt träge zurück. Für einen Moment können sie mich sehen, aber sie müssen den Pflegewagen erst aus seiner Nische ziehen. Irgendwas verklemmt die Räder. Mullbinden sind was praktisches.
Die Tür fällt hinter mir ins Schloß und verriegelt sich. Mühsam unterdrücke ich ein hysterisches Lachen und den Drang, meine Erleichterung herauszuschreien. Das Telefon. Ein Amt nach draußen. Die Nummer des Anwalts. Privat. Bitte sei da. Bitte sei da. Bitte sei da.
Seine Stimme, müde, und ich rede los, ja, es hat geklappt, aber zu gut, sie halten mich für schizophren, aber jetzt haben sie mit der Krampftherapie begonnen und ich will hier raus, bitte holen Sie mich raus und er sagt: Ich kenne Sie nicht. Und ich denke, klar, er kann ja nicht alles im Kopf behalten und ich nenne ganz ruhig meinen Namen und meinen Professor und das Experiment und selffulfilling prophecy und Tränen laufen über mein Gesicht und er sagt: Sie müssen sich verwählt haben und legt auf und die Wärter packen mich und zerren mich raus und die Kanüle bohrt sich in meinen Arm und als ich fixiert bin und alleine kommt er unter dem Bett hervorgekrochen und lacht und ich bin ausgelöscht und ich schreie nach Hilfe aber keiner kommt denn der Abt ist bei mir denn Malekin ist bei mir in mir und er tut die bösen Dinge und ich schreie und schreie und

[Eindruck: Malekin liegt am Boden und krampft. Sein Körper zuckt, als ein Rigor mortis durch seinen Körper fährt, immer wieder andere Areale versteift. Erinnerungen.]

Freitag 31.12.96
Diese Nacht will ich alleine sein. Kein falsches Fest, auf dem wir mit leeren Gläsern auf ein neues Jahr anstoßen. 96 oder 97 oder 2000 oder 2012 ist vollkommen egal. Ich weiß ja, daß es diese Nacht nicht passieren wird, und dennoch bin ich gespannt. Denn vielleicht wird der Mond ja doch blutige Hörner haben, vielleicht wird doch die Alte wieder kommen, vielleicht wird Kain kommen und ich werde ihm mein Blut geben.

Aufnahme

Entlassung