Es
dauert einige Momente, bis ich mir seiner Worte so richtig bewusst werde.
Unsere Versammlung löst sich auf. Ich tappere mit dieser Dose in der Hand
herum.
Meine letzte. Es KÖNNTE meine letzte sein. Was wäre, wenn es die letzte
ist? Was wäre, wenn ich heute mein Leben aushauchte? Was würde ich
tun?
Wenn ich nur noch ein, wenn ich nur noch einen Tag... zu leben hätte? Was
würd' ich tun, was würd' ich tun?
(Du würdest ganz früh aufstehen!)
Ich lächle Katinka an, schnappe mir meinen Mantel und flüchte nach
draußen.
Was würd' ich tun?
(Durch den Morgennebel laufen... leben... den Sonnenaufgang ansehen!)
Ich lehne mich gegen eine Hauswand. Dieses Kleine Stück Chemie in Dose
in beiden Händen haltend. Beinah andächtig. Was wäre, wenn es
die letzte wäre?
Meine Finger streichen ernstlich zärtlich über das kühle Metall.
Wenn es die Letzte ist, wenn es das letzte Mal ist, dass ich diese Drogenunart
ernstlich genießen kann. Dann muss ich es bewusst tun. Nicht wahr? Mir
alles merken. Auf dass ich mich später erinnere.
Auf einen Unbeteiligten würde dieses Bild eigenartig wirken. Ich atme tief
ein und aus, hebe die Dose an, als würde ich sie segnen wollen. Dann schiebe
ich meinen Zeigefinger unter die Lasche...halte die Luft an...und öffne
den unter Druck stehenden Behälter. Es zischt und ich merke mir dieses
Geräusch, rieche die entweichende Kohlensäure, die diesen süßlich
künstlichen Duft mit sich nimmt. Langsam. Blech auf meinen Lippen, dann
die Flüssigkeit, kühl, süß, mir schon so lange bekannt,
fließt aus der Dose in meinen Mund, über meine Zunge in meinen Hals.
Leichtes Kribbeln an den Geschmacksnerven. So vertraut. Ich schließe meine
Augen und halte diese Eindrücke fest. Auf immer und ewig. Always after.
Dann legt sich eine Hand um meine, entnimmt mir, was ich halte. Malekin. Er
hat mir zugesehen. Und er versteht.
"Ich trinke dieses Zeug schon mein ganzes Leben.." Erzähle ich.
(Und du weißt, du wirst es nimmermehr so tun können wie jetzt. Nie
wieder wird es dir auf diese Weise schmecken. Das LETZTE Mal.)
Trauer. Wie kann man darum trauern.
Wie
kann man darum trauern, das letzte Mal Red Bull zu trinken? Ich erinnere mich
an Bruchstücke östlicher Philosophien. Alles ist dasselbe. Es macht
keinen Unterschied, ob ich kämpfe oder Tee trinke. Diese unscheinbare gefüllte
Dose ist mein Leben. Ich leere sie Schluck für Schluck für Schluck...
Malekin zu meiner Linken. Er führt den Red Bull an seine Lippen, schnuppert,
und ich glaube fast, er versucht... Nein, er versteht was in mir vorgeht.
Malekin zu meiner Rechten. Wie sie mich ansieht. Gier in ihren Augen?
Leise.
"Es zischt nicht so, wenn du Deine Lippen auf die Haut legst und das Gefäß
öffnest" flüstert er und gibt mir zurück was noch meins
ist. Ich schlucke und blicke ihn an.
"Aber es ist soviel mehr. Der Moment, in dem Du Deine Zähne auf die
warme lebendige Haut drückst, den Druck verstärkst und der Widerstand
plötzlich nachgibt. Wenn Du in das Fleisch dringst. Durch die Muskeln hindurch,
das Nervengewebe zerteilend. Und Du suchst nach der Ader, die das Leben enthält."
Er beschreibt es und ich fühle es. Wie es mir geschieht. Wie ich es tue
und es giert mich. Mir ist heiß. Mir ist kalt. Ein seltsames Verlangen
breitet sich in mir aus und jemand zieht mir den Boden unter den Füßen
weg. Aber ich falle nicht. Seine Worte halten mich. Aber meine Umwelt verschwindet
und wird unwichtig.
"Du zwingst Dich, die kleine Spannung der Ader überwindend, hinein...
Und dann nimmst Du das Leben in Dich auf. Es erfüllt Dich. Und Du willst
nie wieder aufhören. Kannst Du das?"
Beschwipst. Ich fühl' mich wie angetrunken. Ob ich töten kann? Jaha.
Ob ich aufhören kann? Sicher. Ich denke darüber nach. Doch natürlich
könnte ich aufhören.
"Alles eine Frage der Kontrolle", erwidere ich und sein Blick liegt
fragend auf mir.
"Hast du die Kontrolle ?"
Natürlich.
"Es ist nicht erlaubt zu töten, nicht wahr? Ich würde es Katinka
nicht antun. Ich würde niemandem Schaden zufügen, der es nicht verdient
hätte." Würde ich wirklich nicht wollen. Klingt alles logisch
oder?
"Und wie entscheidest du das?"