Erschöpft lehne ich mich gegen eine Leitplanke. Ich weiß nicht, was anstrengender war, die Verdunkelung oder der Kampf gegen meine eigene Furcht.
Doch ich bekomme keine Pause, Lasalle will wieder nach drinnen, noch mehr Gefangene machen, während die anderen den ersten befragen. Ist das vielleicht eine Chance? Je mehr Leute wir rausholen, desto weniger werden bei dem Angriff sterben. Aber was, wenn die Vampire es hier draußen mit der Befragung übertreiben?
Lasalle drängt zum Aufbruch. Es wird nicht lange dauern, bis sie drinnen bemerken, daß einer fehlt.
'Ich werde ihnen nochmals helfen, Herr Lasalle', sage ich laut, so daß mich jeder hören kann. 'Aber nur unter einer Bedingung.' Ein Kainit nach dem anderen wendet sich mir zu.
'Ich helfe Ihnen nur unter der Bedingung, daß die Gefangenen nicht getötet werden.'
Schweigen. Ich fange einen Blick des Prinzen auf. Sie nickt. Sie versteht nicht, aber sie hat meine Bedingung gehört und akzeptiert. Ja! Zumindest ein paar werde ich retten können!
Mit neuem Enthusiasmus packe ich Lasalle beim Arm, und wir wiederholen das Spiel. Die Ghoule scheinen sich zu fragen, wo ihr Kamerad geblieben ist, aber nicht wirklich ernsthaft. Sind sie wirklich so wenig mißtrauisch? Oder vermuten sie uns schon hier, und versuchen uns in Sicherheit zu wiegen?
Lasalle macht Anstalten, das Haus zu betreten, doch ich zögere, und die Gelegenheit ist vorbei. Von dort drinnen können wir sicher niemanden unbemerkt mitnehmen. Statt dessen wählt er ein neues Opfer direkt am Tor aus. Auch diesen Mann können wir aus dem Lager bringen, ohne entdeckt zu werden. Ich bin erleichtert zu sehen, daß der andere Gefangene noch wohlauf zu sein scheint. Noch hat ihn keiner gewaltsam befragt, jedenfalls nicht so, daß Spuren davon sichtbar wären. Zu meiner Freude erklärt sich Herr Kantner bereit, seine Fähigkeiten zu benutzen, um mehr aus den Gefangenen herauszubekommen. Doch ein Blick in seine Augen sagt mir, daß das kaum angenehmer für den Befragten wird als eine handfeste Folter. Irgendwas an dem Giovanni ist beängstigend anders als sonst. Großmutter, warum hast Du nur so große Augen? Ich habe keine Zeit, mich damit zu beschäftigen, denn Lasalle drängt weiter. Aber ich habe ja ihr Versprechen, daß den Gefangenen nichts passiert, also sollte ich mir lieber Sorgen um andere Dinge machen.
Zum Beispiel, wie lange ich mich noch ausreichend konzentrieren kann, um unsere Tarnung aufrecht zu erhalten. Am Tor ist es mir schon zu anstrengend, die Gespräche der Ghoule zu verfolgen, und beinahe lasse ich Lasalle los, als er geistesgegenwärtig den Moment, als zwei Wachen auf die Suche nach ihren verschwundenen Leuten gehen, nutzt um durch die Öffnung im Tor zu schlüpfen.
Es gelingt uns, einen dritten Menschen aus dem eingezäunten Gelände zu entführen, ohne daß jemand Alarm schlägt. Aber ich spüre, daß es mir schwerfällt, mich in diesem Zustand zwischen den Schatten zu halten, ohne in die eine oder andere Richtung abzugleiten. Lange wird das nicht mehr gut gehen. Ich versuche, meine Bedenken zu äußern, doch Lasalle ist zu begeistert von den Möglichkeiten, die ihm meine Hilfe bietet, um wirklich darauf zu achten.
Als wir ein viertes Mal beim Zaun ankommen, steht das Tor offen. Jetzt haben sie bemerkt, daß wir hier sind, warum würden sie uns sonst so offen einladen? Ich sehe Angst in den Augen der Männer, die am Tor stehen, Anspannung, wütende Hilflosigkeit. Warum müssen wir das tun?
Wir laufen dicht an den Männern vorbei, die darauf warten, daß wir auftauchen, und nicht ahnen, wie knapp sie dem Tod gerade entgehen. Oder der Rettung?
Lasalle steuert wieder auf die Tür des Hauses zu, und bevor ich mich sträuben kann, sind wir drin. Mitten unter ihnen. Wie ging noch die Fabel? Die kleineren Tiere lockten den Wolf in den Vorratskeller, um sich mit ihm zusammen den Bauch vollzuschlagen, und als der Hausbesitzer kam, konnten alle flüchten außer ihm, weil er zu fett geworden war. Der Wolf wurde zu Tode geprügelt, daran erinnere ich mich noch.
Nicht, daß ich das Verlangen hätte, zu essen, aber das mit dem Flüchten könnte wirklich schwierig werden.
Wir stehen inmitten von schwerbewaffneten Menschen in Uniform, und sie unterhalten sich miteinander - durch uns hindurch. Jeden Augenblick muß einer von ihnen einen Schritt nach vorne machen und gegen uns prallen. Doch nichts geschieht, wir können uns auf die Treppe retten. Die Treppe, auf der keine zwei Personen nebeneinander passen. Wenn jetzt jemand von oben kommt... Oder noch besser, von oben und von unten.

Aufnahme

Entlassung