Und dann geht der Raum in Flammen auf. Oder ist das die Sonne? Der Werwolf vergeht wie eine Fata Morgana im Winter. Ich muss die Augen schliessen, und doch blendet mich das Licht weiter, verbrennt meine Haut, meine Haare, mein Innerstes. Ich höre Schreie, Schüsse, Stimme, die Gebete sprechen und mich damit von innen versengen. Ich muss Anna beschützen, will sie mit meinem Körper decken, und kann mich doch nur wimmernd an sie klammern. Dann trifft mich etwas am Bein, glühend, kalt, so lähmend, dass ich mich kaum umwenden kann. Ein Mann mit einem Schwert steht über mir und holt zum nächsten Schlag aus. Er sieht mir direkt ins Gesicht. Er kann mich nicht sehen können! Wie kann er mich sehen? Wieder trifft mich seine Waffe, etwas höher diesmal, unerträglich, brennend, und raubt mir jede Kraft.
Jemand packt mich am Arm und reisst mich mit sich. Zerrt mich in die Richtung der Quelle dieses grauenerregenden Lichts. Nein, nicht dorthin, alles nur nicht dorthin. Anna klammert sich an meine Hand, und ihr angstvolles Gesicht gibt mir die Kraft, mich zusammenzureissen. Ich stosse sie fort. "Lauf. Lauf weg!", schaffe ich zu schreien, anstatt um Gnade zu flehen, bitte, bringt mich nicht zu diesem Licht, nicht dortin, alles nur das nicht, bitte
Ein Schatten über mir, eine Hand mit einem grob zugespitzten Holzscheit, dann stülpt sich meine Welt von aussen nach innen und das Licht, dieses grässliche Licht verlässt mich mit ihr.

Bin ich im Krankenhaus? Dieser Anfall muss ein besonders schlimmer gewesen sein. Ich kann mich an gar nichts erinnern. Und wie oft habe ich ihnen gesagt, wie sehr ich es hasse, wenn man sich über mich beugt... Ein kurzer stechender Schmerz in meiner Brust, dann ist alles wieder da, in unerträglicher Klarheit. Ich weiche vor dem Mann zurück, der mir den Pfahl aus dem Herzen gezogen hat, doch hinter mir stosse ich an eine Wand, und um mich herum... ist etwas, das mich zurückhält. Wie ein bitterer Geschmack oder ein stechender Geruch umgibt es mich, lässt nicht zu, dass ich mich weiter als einen Schritt in jede Richtung bewege. Auf dem Boden um mich herum stehen Worte geschrieben, die mich schaudern machen. Unreine Seelen. Dämonen. Kinder des Drachen und der Schlange. Austreiben. Vernichten.
Der Raum ist hell von Kerzen erleuchtet, überall hängen Bilder mit christlichen Motiven, und am anderen Ende ist ein Altar aufgebaut.

Alles ist voller Bewaffneter, die meisten tragen Kettenhemden und das Abzeichen der Kreuzritter. Einige davon sehen aus wie Priester. Die Luft ist schwer von fanatischem Glauben. Und auch hier habe ich das Gefühl, geblendet zu sein, gelähmt, erstickt. Als könnte die blosse Nähe dieser Menschen mich wie trockenes Stroh entzünden. Ich verabscheue diese unüberwindbare Furcht, die mich umklammert, denn sie ist keine der Töchter der Königin. Sie ist lebendig. Und sie spricht zu mir vom Tod.
Ausser mir sind weitere Gefangene gemacht worden. Gregor Ponte. Herr Calloway. Frau Damiroff. Und ein Kainit, den ich auf dem Treffen von Herrn Kramer gesehen habe. Er ist neu in der Stadt, aber ich kann mich nicht an seinen Namen erinnern.
Die Kreuzritter scheinen einen Angriff zu fürchten, stellen draussen Wachen auf. Heisst das, es besteht Hoffnung? Immerhin ist Herrn Pontes Nachwuchs da. Wenn ihn jemand informiert hat, wird er bestimmt kommen, um Gregor zu holen. Ich schließe die Augen und denke an Malekin.
Die Priester sprechen zu uns. Sagen uns, dass wir verderbte Kreaturen sind, dass unsere Existenz allein eine Sünde vor dem Herrn ist. Als wenn wir das nicht wüssten. Aber sie wollen uns nicht töten. Es ist viel schlimmer. Sie wollen unsere Seelen retten.
Wie soll das gehen? Selbst wenn wir zu Lebzeiten eine Seele besessen hätten, wäre es jetzt längst zu spät für uns. Und das bedeutet, dass sie uns doch töten müssen. Oder schlimmeres?
Ich kann die beiden Priester kaum ansehen, ohne dass sich mein Herz vor Furcht zusammenkrampft. Ich umarme meine Knie und kauere mich dicht an die reale Wand meines Gefängnisses. Ich schließe die Augen und flüstere Malekins Namen wie ein Gebet um Rettung.
Einer der Priester befiehlt, dass mit der Läuterung begonnen werden soll. Sie wählen den Neuling als erstes Opfer. Er wird in einen Bannkreis gebracht, der vor dem Altar auf den Boden gezeichnet ist. Probeweise strecke ich die Hand aus, und ziehe sie schnell wieder zurück. Die Luft um mich herum ist eine Wand aus tausend Nadeln, und es dauert lange, bis der Schmerz in meinen Fingern nachläßt. Die Furcht läßt nicht nach. Sie schlingt sich immer enger um mich, drückt langsam und genüsslich zu, dringt wie in Fremdkörper in mich ein. Woher kommt sie?
Aufnahme

Entlassung