Was für ein Experiment kann das von Malekin gewesen sein? Selffulfilling Prophecy. In dem dicken Psychologie-Wälzer in der Bibliothek war ein Versuch beschrieben, der passen könnte: Mehrere völlig gesunde Ärzte (wer ist schon völlig gesund!?) gaben sich als psychisch krank aus und ließen sich in verschiedene Anstalten einliefern. Das einzige Symptom, von dem sie berichteten, waren seltsame Träume, ansonsten benahmen sie sich wie immer. Fast alle wurden als behandlungsbedürftig eingestuft und in der Anstalt behalten, bis sie den Fehler aufklärten. Aber wurde jeder dieser Fehler aufgeklärt...? Schauderhaft!
Vita
Leben. Blut. Gänsehaut. Verlangen. Wahnsinn.

Ich habe das Gefühl, immer weniger zu verstehen. Und doch... je öfter ich das Chaos um mich herum betrachte, desto klarer wird mir, daß ein gewisses Muster dahintersteckt. Vielleicht muß ich es nicht verstehen. Es genügt, wenn ich beginne, die Schönheit darin zu erkennen.

Samstag, 25.02.97, 9:38
Die Sonne scheint.
Carpe Diem.
Ich sollte das sehr wörtlich nehmen.

Samstag, 25.02.97, 15:25
Wie schön und klar alles in diesem hellen Licht aussieht. Im Winter kann man das beinahe vergessen. Die kahlen Bäume, der schlammig-braune Boden, der schmutziggraue Eisbach - alles bekommt eine ganz eigene Schönheit, sobald die Sonne scheint. Wer bekommt schon einen Sonnentag als Abschiedsgeschenk?
Einen Sonnentag und viele Parkbänke. Gut, daß es im Englischen Garten genug davon gibt. Unvorstellbar, daß ich noch vor ein paar Wochen eine ganze Nacht lang auf den Beinen war. Heute habe ich kaum mehr als eine halbe Stunde am Stück geschafft. Trotzdem habe ich den Spaziergang genossen.
Ein heißes Bad. Gift für meinen schwachen Kreislauf, aber ich bilde mir eines ein. Ich tauche unter und lausche meinem eigenen Blut. Unter Wasser klingt es so laut, so stark... Sogar das Geräusch meines Atems ist hier besser zu ertragen.

Ich tauche auf und verbringe fast eine Stunde in der Wanne, mit ein paar Zeitschriften - und diesmal habe ich mir wirklich alles gegönnt, was das Herz der modernen Frau von heute begehrt: nicht nur habe ich von Amica bis Brigitte all diese dummen Illustrierten gekauft, sondern zusätzlich auch noch jede Menge der darin empfohlenen Placebo-Kosmetika. Ich wende sie alle an und befolge jeden einzelnen Schönheits- und Wohlfühltip, den ich in den Zeitschriften finden kann.
Ich glaube, es wirkt schon.
Zu schade, daß alle Spiegel im Haus zerbrochen sind. Zumindest diese Botschaft scheint klar: verlasse die Wohnung nicht mehr! Im Moment kann ich darüber lachen und betrachte die Ergebnisse meiner Kur in unzähligen Facetten.

Die Sonne scheint immer noch, als ich aus dem Bad komme. Das Zimmer ist richtig aufgeheizt. Wozu brauche ich Bademantel und Handtuch? Weg damit! Ich genieße die Wärme auf meiner nackten Haut, ausgestreckt auf dem Boden zwischen den Scherben meiner Besitztümer.

Sonntag, 26.02.97, 11:54
Die Sonne scheint heute schon wieder. Der Abschied wird hinausgezögert? Ich habe nichts dagegen einzuwenden. Ich setze mich ins Auto und besuche alle meine Lieblingsplätze in der näheren und weiteren Umgebung.
Gut, daß ich wenigstens noch ein paar Kassetten im Auto habe. Fast alle meine schönen CDs sind zerstört. Was für eine Verschwendung.
Doch selbst der ganze Müll, der so im Radio läuft, scheint auf einmal einen Sinn zu geben. Unglaublich, wieviele Popsongs mehr oder weniger explizit vom Tod handeln.
Muster überall...

Sonntag, 26.02.97, 18:08
Durchhalten! Ganz ausatmen, dann langsam wieder einatmen. Nur noch ein paar Tage. Diese Nacht kann nicht schlimmer werden als die letzten. Ich muß mich irgendwie ablenken.
Oh ja, die Angst ist mir eine treue Geliebte. Und sie hat so viele Töchter.

Aufnahme

Entlassung