Der Ausdruck auf seinem Gesicht bewegt mich dazu, das Gespräch zu unterbrechen und die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Was sehen diese beängstigend verschleierten Augen? Er blickt durch Malekin hindurch, während dieser sich fängt und ihn anspricht. Doch die einzige Antwort, die er bekommt, ist 'Das ist nicht wichtig'.
Was ist wichtig, Christopher?
Mein Blut! Hexer! Er gab Dir das Blut aus meiner Gurgel, nein?
Er sieht mich an, als hätte ich die Frage ausgesprochen. Doch auch durch mich blickt er hindurch. Anna scheint die einzige hier zu sein, die nicht durchsichtig ist. Haben wir alle ein Herz aus Glas?
'Was tut sie hier?'
'Sie lernt.'
'Was lernt sie?'
'Daß wir alle Ungeheuer sind.' Jedenfalls hoffe ich, daß sie das begreift.
Etwas blitzt in Christophers Augen auf.
'Stimmt. Und du bist gefährlicher als sie alle zusammen, Katinka.'
Ich muß mich an einer Stuhllehne festhalten, um diesen Schlag zu verkraften. Wie komme ich darauf, daß ich die Lehrerin bin, nur weil jemand da ist, der lernt? Wie kann ich mir gestatten, meine eigenen Lektionen zu vergessen? Ich sollte Christopher dankbar sein, daß er mich daran erinnert. Ich bin keinen Deut besser als alle anderen Anwesenden.
Anna legt tröstend den Arm um mich. Ich muß mit ihr sprechen. Ich kann ihr nicht klarmachen, was sie erwartet. Aber ich kann ihr wenigstens sagen, was wir vorhaben, ihr anzutun.
Thomas schafft es, sich von seinen Geschäften loszureißen, und bittet uns an seinen Tisch. Doch kaum sitzen wir, wird er schon wieder von Belmonte entführt. Jetzt sitzen wir allein am Tisch der Familie Giovanni. Hoffentlich ist das nicht wieder ein Etikettebruch. Nachdem ich schon Herrn Belmonte nicht respektvoll genug begrüßt habe (zum Glück war Malekin da, um den Fehler zu bereinigen), sollte ich mich hüten, den selben Clan am selben Abend noch einmal zu beleidigen. Anna fragt, was Thomas damit gemeint hat, daß sie den Kreis schließen würde. Jetzt ist die Zeit für etwas Ehrlichkeit gekommen.
Also erzähle ich ihr von Hvar, und von Malekin, der dort schon immer seinen Haven hatte, und von den Venezianern Djovani, die eines Tages wie so viele Eroberer dort ankamen. Eroberer, die jeden Baum auf der Insel für ihre Schiffe fällten, und sie karg und vertrocknet zurückließen wie ein Räuber die geschändete Leiche seines Opfers.

Eroberer, die den Bewohnern das wenige, was sie besaßen nahmen und sie versklavten. Eroberer, die sich selbst in die versteckten Höhlen in den Bergen wagten, die zu betreten sich keiner der Bewohner jemals erdreistet hatte. Doch während Seeräuber, Türken und Griechen entweder bald das Interesse verloren oder von der jeweils nachfolgenden Eroberungswelle vertrieben wurden, waren die Venezianer anders. Sie bauten Befestigungen und setzten sich in allen Häfen fest. Sie machten Pharos zu ihrer Hauptstadt jenseits des Meeres. Und sie brachten andere Kainiten auf die Insel. Das konnte Malekin nicht zulassen. Als die Bevölkerung genug gelitten hatte, und Annas Vorfahr bereit war, sich für sie zu opfern, als er das Monster in der Höhle aufsuchte, verriet ihm Malekin nur zu bereitwillig, wie man die Besatzer loswerden konnte. Und als es zum Aufstand kam, und treue Diener ihre Herren zu schützen glaubten, indem sie sie weit aufs Meer hinaus brachten, wurden die Eroberer zu Leuchtfeuern der Freiheit, die auf den Wellen tanzten. Keine Freiheit für die Bevölkerung, wohlgemerkt, denn der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, und den Leuchtfeuern auf dem Wasser setzten die Venezianer einen Wald aus Galgen auf den kahlen Hängen der Küste entgegen. Aber das erzähle ich Anna nicht.
Immerhin versteht sie Kantners Worte jetzt besser.
'Du bist unsere Königshochzeit', sage ich ihr. Und beschließe, so ehrlich zu sein, wie es mir nur möglich ist.
'Die Malekins können keine Kinder mehr schaffen. Sie nennen mich die Erste, doch in Wirklichkeit bin ich die letzte. Du wirst nicht unser Kind werden. Malekin und Thomas sind einen Handel eingegangen. Sie wollen das Schicksal entscheiden lassen. Wessen Kind du sein wirst, wird keiner von uns bestimmen.'
Ich sehe, daß ihr das nicht gefällt.
'Ich glaube nicht an Schicksal. Ich glaube nur an das, was man tut.'
Dann stirb.

'Ich weiß. Und das ist wichtig. Aber trotzdem, ob wir daran glauben oder nicht, tut das Schicksal manchmal Dinge mit uns. Auch ich hatte keine Wahl. Malekin hätte mir die Wahl gelassen, doch ich hätte nicht anders wählen können. Selbst wenn ich nicht dem Tode nahe gewesen wäre, hätte ich nicht anders wählen können. Und es ist gut so.'

Aufnahme

Entlassung